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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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wo das Gestein, und dies ist meistens in der Nähe des Kammes der Fall,
frei zutagetritt. Auf solche W^'ise entstehen senkrechte Felswände, deren
directe Höhe auf tausend Fuß ansteigen mag, und über welchen sich weite,
steinichte Plateaus ausdehnen.

Wie abgelegen die Straße zwischen Kostendil und Radomir auch immer¬
hin sein mag: dennoch ist sie nicht ganz leer an Verkehr. Allerdings mochte
der Zufall sein Spiel mit dabei haben, wenn uns an diesem Tage ganz be¬
sonders viel jener mit Ochsen bespannten Bauerwagen und ganze Züge schwer
beladener Pferde begegneten. Letztere trugen zumeist Woll- und Baumwoll¬
ballen, mit welchen Stoffen, diesem Umstand nach zu urtheilen, in dieser Gegend
ein nicht unerheblicher Handel getrieben werden mag. Auf den Wagen be¬
fanden sich dagegen Ackerfrüchte, ja auf einem mit Säcken beladenen schienen
Kartoffeln transportirt zu werden, deren Anbau in der ganzen europäischen
Türkei nur äußerst spärlich ist. Es ist eine erwähnenswerthe Thatsache, daß
der Koran den Gläubigen vorschreibt, mit ungeschmievter tu/irrender Achse zu
fahren, und daß dieses Gebot heute noch im weitesten Sinne befolgt wird.
Diese Fuhrwerke sind meistens mit Tonnenreifen oder einem lockeren, weit¬
maschigen Flechtwerk überspannt, über welches eine weiße Plandecke gezogen
ist, etwa wie bei unsren Frachtwagen, denen sie übrigens an Größe durchaus
nicht gleichkommen. Seltsam zu sagen: wer im hiesigen Lande Reisen machen
will und nicht eigne Equipage besitzt, wird sich meistens in dem Fall-befinden,
einen derartigen Bauerwagen benutzen zu müssen. Ich selbst reiste in der
Bulgarei nie anders, und in den letzten Monaten hat mancher Brite und
Franzose sich dazu bequemen müssen, pro Tag 12---is Stunden auf diesen
nur hyperbolisch mit dem Namen Fuhrwerk zu belegenden vierräderigen Martcr-
bänken zu machen. Natürlich besitzen dieselben keine Vorrichtung, welche in
etwas unsre Federn ersetzen könnte; jeder Stoß pflanzt sich bis zum Darin¬
sitzenden ungeschwächt fort und-wirft ihn bald auf die eine bald auf die andre
Seite, wobei er noch von Glück sagen kann, wenn nicht gleichzeitig sein Kopf
gegen die niedere Wagenbedachung prallt.

Nach dem ziemlich strapaziösen Ritt war es uns ein freudiger'" Anblick,
als wir am Abend Radomir am Fuß eines weiter im Hintergrunde gelegenen
Berges wahrnahmen. Der Ort,sieht freundlich aus, beinahe wie eine kleine
deutschen Landstadt. Auch fanden wir wider alles Erwarten einen guten Hau
vor, in dem wir bald am runden türkischen Speisetisch zu Pillau (nicht
Pillaw) und Hühnerbraten uns niederließen.

Von^Nadomir nach Sofia (Sophia).

Verabredetermaßen sollten uns die Pferde am andern Morgen schon früh
erwarten, denn es lag in unsrem Interesse, sobald wie möglich unser Reiseziel


wo das Gestein, und dies ist meistens in der Nähe des Kammes der Fall,
frei zutagetritt. Auf solche W^'ise entstehen senkrechte Felswände, deren
directe Höhe auf tausend Fuß ansteigen mag, und über welchen sich weite,
steinichte Plateaus ausdehnen.

Wie abgelegen die Straße zwischen Kostendil und Radomir auch immer¬
hin sein mag: dennoch ist sie nicht ganz leer an Verkehr. Allerdings mochte
der Zufall sein Spiel mit dabei haben, wenn uns an diesem Tage ganz be¬
sonders viel jener mit Ochsen bespannten Bauerwagen und ganze Züge schwer
beladener Pferde begegneten. Letztere trugen zumeist Woll- und Baumwoll¬
ballen, mit welchen Stoffen, diesem Umstand nach zu urtheilen, in dieser Gegend
ein nicht unerheblicher Handel getrieben werden mag. Auf den Wagen be¬
fanden sich dagegen Ackerfrüchte, ja auf einem mit Säcken beladenen schienen
Kartoffeln transportirt zu werden, deren Anbau in der ganzen europäischen
Türkei nur äußerst spärlich ist. Es ist eine erwähnenswerthe Thatsache, daß
der Koran den Gläubigen vorschreibt, mit ungeschmievter tu/irrender Achse zu
fahren, und daß dieses Gebot heute noch im weitesten Sinne befolgt wird.
Diese Fuhrwerke sind meistens mit Tonnenreifen oder einem lockeren, weit¬
maschigen Flechtwerk überspannt, über welches eine weiße Plandecke gezogen
ist, etwa wie bei unsren Frachtwagen, denen sie übrigens an Größe durchaus
nicht gleichkommen. Seltsam zu sagen: wer im hiesigen Lande Reisen machen
will und nicht eigne Equipage besitzt, wird sich meistens in dem Fall-befinden,
einen derartigen Bauerwagen benutzen zu müssen. Ich selbst reiste in der
Bulgarei nie anders, und in den letzten Monaten hat mancher Brite und
Franzose sich dazu bequemen müssen, pro Tag 12—-is Stunden auf diesen
nur hyperbolisch mit dem Namen Fuhrwerk zu belegenden vierräderigen Martcr-
bänken zu machen. Natürlich besitzen dieselben keine Vorrichtung, welche in
etwas unsre Federn ersetzen könnte; jeder Stoß pflanzt sich bis zum Darin¬
sitzenden ungeschwächt fort und-wirft ihn bald auf die eine bald auf die andre
Seite, wobei er noch von Glück sagen kann, wenn nicht gleichzeitig sein Kopf
gegen die niedere Wagenbedachung prallt.

Nach dem ziemlich strapaziösen Ritt war es uns ein freudiger'" Anblick,
als wir am Abend Radomir am Fuß eines weiter im Hintergrunde gelegenen
Berges wahrnahmen. Der Ort,sieht freundlich aus, beinahe wie eine kleine
deutschen Landstadt. Auch fanden wir wider alles Erwarten einen guten Hau
vor, in dem wir bald am runden türkischen Speisetisch zu Pillau (nicht
Pillaw) und Hühnerbraten uns niederließen.

Von^Nadomir nach Sofia (Sophia).

Verabredetermaßen sollten uns die Pferde am andern Morgen schon früh
erwarten, denn es lag in unsrem Interesse, sobald wie möglich unser Reiseziel


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[0316] wo das Gestein, und dies ist meistens in der Nähe des Kammes der Fall, frei zutagetritt. Auf solche W^'ise entstehen senkrechte Felswände, deren directe Höhe auf tausend Fuß ansteigen mag, und über welchen sich weite, steinichte Plateaus ausdehnen. Wie abgelegen die Straße zwischen Kostendil und Radomir auch immer¬ hin sein mag: dennoch ist sie nicht ganz leer an Verkehr. Allerdings mochte der Zufall sein Spiel mit dabei haben, wenn uns an diesem Tage ganz be¬ sonders viel jener mit Ochsen bespannten Bauerwagen und ganze Züge schwer beladener Pferde begegneten. Letztere trugen zumeist Woll- und Baumwoll¬ ballen, mit welchen Stoffen, diesem Umstand nach zu urtheilen, in dieser Gegend ein nicht unerheblicher Handel getrieben werden mag. Auf den Wagen be¬ fanden sich dagegen Ackerfrüchte, ja auf einem mit Säcken beladenen schienen Kartoffeln transportirt zu werden, deren Anbau in der ganzen europäischen Türkei nur äußerst spärlich ist. Es ist eine erwähnenswerthe Thatsache, daß der Koran den Gläubigen vorschreibt, mit ungeschmievter tu/irrender Achse zu fahren, und daß dieses Gebot heute noch im weitesten Sinne befolgt wird. Diese Fuhrwerke sind meistens mit Tonnenreifen oder einem lockeren, weit¬ maschigen Flechtwerk überspannt, über welches eine weiße Plandecke gezogen ist, etwa wie bei unsren Frachtwagen, denen sie übrigens an Größe durchaus nicht gleichkommen. Seltsam zu sagen: wer im hiesigen Lande Reisen machen will und nicht eigne Equipage besitzt, wird sich meistens in dem Fall-befinden, einen derartigen Bauerwagen benutzen zu müssen. Ich selbst reiste in der Bulgarei nie anders, und in den letzten Monaten hat mancher Brite und Franzose sich dazu bequemen müssen, pro Tag 12—-is Stunden auf diesen nur hyperbolisch mit dem Namen Fuhrwerk zu belegenden vierräderigen Martcr- bänken zu machen. Natürlich besitzen dieselben keine Vorrichtung, welche in etwas unsre Federn ersetzen könnte; jeder Stoß pflanzt sich bis zum Darin¬ sitzenden ungeschwächt fort und-wirft ihn bald auf die eine bald auf die andre Seite, wobei er noch von Glück sagen kann, wenn nicht gleichzeitig sein Kopf gegen die niedere Wagenbedachung prallt. Nach dem ziemlich strapaziösen Ritt war es uns ein freudiger'" Anblick, als wir am Abend Radomir am Fuß eines weiter im Hintergrunde gelegenen Berges wahrnahmen. Der Ort,sieht freundlich aus, beinahe wie eine kleine deutschen Landstadt. Auch fanden wir wider alles Erwarten einen guten Hau vor, in dem wir bald am runden türkischen Speisetisch zu Pillau (nicht Pillaw) und Hühnerbraten uns niederließen. Von^Nadomir nach Sofia (Sophia). Verabredetermaßen sollten uns die Pferde am andern Morgen schon früh erwarten, denn es lag in unsrem Interesse, sobald wie möglich unser Reiseziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/316>, abgerufen am 22.07.2024.