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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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rulam, den er mit englischer Selbstüberschätzung statt des Aristoteles als
Schöpfer der Naturwissenschaft darstellt und dem Plato vergleicht, behauptet er
-- wir bitten jeden Ungläubigen selbst nachzulesen -- die Schüler des Plato,
worunter er die speculativen Philosophen überhaupt zu verstehen scheint, hätten
gar keine Leistungen aufzuweise", die des Bacon, die Naturforscher, adeo alles
Verdienst um die Menschheit. Für solche Behauptungen hat selbst der Natur¬
forscher nur ein Lächeln zur Antwort. Richtiger haben Schlosser n. a. unsre
Zeit der alerandrinischen verglichen, und darauf hingewiesen, das; hier wie dort
die schöpferische, philosophische und künstlerische Thätigkeit der forschenden und
kritischen Platz machen mußte. Diese Aehnlichkeit ist vor -18i8 vielfach benutzt,
um unsrem Zeitalter gleiche Erschlaffung und gleichen Verfall wie jenem zu
prophezeihen; seitdem aber jener gewaltsame Stoß Menschen und Staaten er¬
schüttert und gekräftigt hat, scheint vielmehr eine Periode geistiger Verjüngung
und neuen Aufschwungs uns bevorzustehen. In dieser werden voraussichtlich
die Naturwissenschaften eine große Rolle spielen, aber sie werden nicht, wie
manche glauben oder zu glauben vorgeben, die geistigen Interessen, Religion
und Sittlichkeit, zerstören. Denn wodurch sollte das möglich werden? Etwa
durch den Materialismus, der darauf ausgeht, die Materie unter die Herr¬
schaft des menschlichen Geistes zu bringen? Ober dadurch, was wenige
Wissenschaften von sich rühmen können, daß sie die Wahrheit ohne Rücksicht
suchen und sie wirklich zu finden vermögen? Denn es gibt keine Wissenschaften,
als die der Natur, in welcher Lüge und Täuschung sowenig geduldet würden,
in welchen die. feinsten Sophistereien so kurze Zeit nur Bestand gewinnen
könnten. Jede neue Erkenntniß kann uns die Unvollkommenheit ber früheren
kundthun, aber das einmal Bewiesene ist ein Gewinn für alle Zeiten und kein
Sophist kann uns Recht in Unrecht und Aberglauben in Glauben verwandeln.
Wer die Wahrheit fürchtet, dem mögen die Naturwissenschaften und ihre mächtige
Entwicklung ein Gegenstand des Schreckens sein, solange es aber christlich und
sittlich sein wird, die Wahrheit zu suchen, solange werden es auch die Natur¬
wissenschaften sein.




Die Bedeutung der Kunstgeschichte für unsre Zeit.
Franz Knglers Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Gro>
ßer. Zweite Auflage, unter Mitwirkung des Verfassers umgearbeitet und
vermehrt von Jacob Burckhardt. 2. Bd. Berlin, Duncker u. Humblut. --
Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte von Franz Kugler. Mit
Illustrationen und andern artistischen Beilagen. 3 Bde. Stuttgart, Ebner
u. seubert. --

Schon mehrmals haben wir auf die vermischten Schriften von Kugler


rulam, den er mit englischer Selbstüberschätzung statt des Aristoteles als
Schöpfer der Naturwissenschaft darstellt und dem Plato vergleicht, behauptet er
— wir bitten jeden Ungläubigen selbst nachzulesen — die Schüler des Plato,
worunter er die speculativen Philosophen überhaupt zu verstehen scheint, hätten
gar keine Leistungen aufzuweise», die des Bacon, die Naturforscher, adeo alles
Verdienst um die Menschheit. Für solche Behauptungen hat selbst der Natur¬
forscher nur ein Lächeln zur Antwort. Richtiger haben Schlosser n. a. unsre
Zeit der alerandrinischen verglichen, und darauf hingewiesen, das; hier wie dort
die schöpferische, philosophische und künstlerische Thätigkeit der forschenden und
kritischen Platz machen mußte. Diese Aehnlichkeit ist vor -18i8 vielfach benutzt,
um unsrem Zeitalter gleiche Erschlaffung und gleichen Verfall wie jenem zu
prophezeihen; seitdem aber jener gewaltsame Stoß Menschen und Staaten er¬
schüttert und gekräftigt hat, scheint vielmehr eine Periode geistiger Verjüngung
und neuen Aufschwungs uns bevorzustehen. In dieser werden voraussichtlich
die Naturwissenschaften eine große Rolle spielen, aber sie werden nicht, wie
manche glauben oder zu glauben vorgeben, die geistigen Interessen, Religion
und Sittlichkeit, zerstören. Denn wodurch sollte das möglich werden? Etwa
durch den Materialismus, der darauf ausgeht, die Materie unter die Herr¬
schaft des menschlichen Geistes zu bringen? Ober dadurch, was wenige
Wissenschaften von sich rühmen können, daß sie die Wahrheit ohne Rücksicht
suchen und sie wirklich zu finden vermögen? Denn es gibt keine Wissenschaften,
als die der Natur, in welcher Lüge und Täuschung sowenig geduldet würden,
in welchen die. feinsten Sophistereien so kurze Zeit nur Bestand gewinnen
könnten. Jede neue Erkenntniß kann uns die Unvollkommenheit ber früheren
kundthun, aber das einmal Bewiesene ist ein Gewinn für alle Zeiten und kein
Sophist kann uns Recht in Unrecht und Aberglauben in Glauben verwandeln.
Wer die Wahrheit fürchtet, dem mögen die Naturwissenschaften und ihre mächtige
Entwicklung ein Gegenstand des Schreckens sein, solange es aber christlich und
sittlich sein wird, die Wahrheit zu suchen, solange werden es auch die Natur¬
wissenschaften sein.




Die Bedeutung der Kunstgeschichte für unsre Zeit.
Franz Knglers Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Gro>
ßer. Zweite Auflage, unter Mitwirkung des Verfassers umgearbeitet und
vermehrt von Jacob Burckhardt. 2. Bd. Berlin, Duncker u. Humblut. —
Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte von Franz Kugler. Mit
Illustrationen und andern artistischen Beilagen. 3 Bde. Stuttgart, Ebner
u. seubert. —

Schon mehrmals haben wir auf die vermischten Schriften von Kugler


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[0295] rulam, den er mit englischer Selbstüberschätzung statt des Aristoteles als Schöpfer der Naturwissenschaft darstellt und dem Plato vergleicht, behauptet er — wir bitten jeden Ungläubigen selbst nachzulesen — die Schüler des Plato, worunter er die speculativen Philosophen überhaupt zu verstehen scheint, hätten gar keine Leistungen aufzuweise», die des Bacon, die Naturforscher, adeo alles Verdienst um die Menschheit. Für solche Behauptungen hat selbst der Natur¬ forscher nur ein Lächeln zur Antwort. Richtiger haben Schlosser n. a. unsre Zeit der alerandrinischen verglichen, und darauf hingewiesen, das; hier wie dort die schöpferische, philosophische und künstlerische Thätigkeit der forschenden und kritischen Platz machen mußte. Diese Aehnlichkeit ist vor -18i8 vielfach benutzt, um unsrem Zeitalter gleiche Erschlaffung und gleichen Verfall wie jenem zu prophezeihen; seitdem aber jener gewaltsame Stoß Menschen und Staaten er¬ schüttert und gekräftigt hat, scheint vielmehr eine Periode geistiger Verjüngung und neuen Aufschwungs uns bevorzustehen. In dieser werden voraussichtlich die Naturwissenschaften eine große Rolle spielen, aber sie werden nicht, wie manche glauben oder zu glauben vorgeben, die geistigen Interessen, Religion und Sittlichkeit, zerstören. Denn wodurch sollte das möglich werden? Etwa durch den Materialismus, der darauf ausgeht, die Materie unter die Herr¬ schaft des menschlichen Geistes zu bringen? Ober dadurch, was wenige Wissenschaften von sich rühmen können, daß sie die Wahrheit ohne Rücksicht suchen und sie wirklich zu finden vermögen? Denn es gibt keine Wissenschaften, als die der Natur, in welcher Lüge und Täuschung sowenig geduldet würden, in welchen die. feinsten Sophistereien so kurze Zeit nur Bestand gewinnen könnten. Jede neue Erkenntniß kann uns die Unvollkommenheit ber früheren kundthun, aber das einmal Bewiesene ist ein Gewinn für alle Zeiten und kein Sophist kann uns Recht in Unrecht und Aberglauben in Glauben verwandeln. Wer die Wahrheit fürchtet, dem mögen die Naturwissenschaften und ihre mächtige Entwicklung ein Gegenstand des Schreckens sein, solange es aber christlich und sittlich sein wird, die Wahrheit zu suchen, solange werden es auch die Natur¬ wissenschaften sein. Die Bedeutung der Kunstgeschichte für unsre Zeit. Franz Knglers Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Gro> ßer. Zweite Auflage, unter Mitwirkung des Verfassers umgearbeitet und vermehrt von Jacob Burckhardt. 2. Bd. Berlin, Duncker u. Humblut. — Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte von Franz Kugler. Mit Illustrationen und andern artistischen Beilagen. 3 Bde. Stuttgart, Ebner u. seubert. — Schon mehrmals haben wir auf die vermischten Schriften von Kugler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/295>, abgerufen am 22.07.2024.