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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Zeit, wo das Thema der Judenemancipation in den Gemüthern aller Gebildeten
und Ungebildeten ans das vielseitigste angeregt worden ist, kann man sich nicht
wol erwehren, in dem Schicksal Shyloks ein tragisches Moment zu erkennen, und
unsere Schauspieler verfehlen es in der Regel auch nicht, dieses Moment hervor¬
zuheben. Das hat offenbar nicht in Shakespeares Absicht gelegen. Herr Hehler
entwickelt vollkommen richtig, daß Shylok im wesentlichen eine komische Person
zu nennen ist. "Er fällt in die Grube, die er einem andern gegraben, selbst
hinein; darob alle, die zugegen sind, über die Maßen sich freuen, und ein jeder
foppt und verspottet den Juden. Dieses Publicum ist in unsrem Drama in
Graziano personificirt, welcher nicht blos an dem vereitelten Plan, sondern auch
an der Aussicht Shyloks auf den Galgen seinen Spaß hat. Gleichwol dürfen
wir ungenirt mitlachen, denn der Charakter der übrigen Gegner Shyloks ist uns
Bürge, daß diesem kein allzugroßes Weh droht. Sein Schicksal fallt in der That
verhältnißmäßig nicht härter, sondern eher gelinder ans, als das, welches andere
komische Figuren bei Shakespeare z. B. den Falstaff zuletzt trifft. Für einen
solchen Ausgang ist Shylok von vornherein angethan; seine Furchtbarkeit erweist
sich am Ende als ein hohler Popanz, weil sie von Anfang an hohl ist... Man
erleichtert sich das Verständniß Shyloks, wenn man sich ihn als eine. Art Bestie
vorstellt, die' in blinder Wuth anrennt und mit Schaden abfährt." --

Diese vollkommen richtige Darstellung rechtfertigt den Dichter und weist un¬
sre Darsteller, die aus einer episodischen Figur einen Helden machen wollen, in
ihre Schranken zurück. Von einer andern Seite aber her dürfte es schwerer
fallen, eine absolute Ueberwindung des Stoffs durch den Dichter zu erweisen.
Das Recht, welches sich Shylock durch seinen unsinnigen Schein erkauft, erweist
sich allerdings am Schluß als ein unhaltbares; aber so glänzend die dramatische
Wirkung dieses Rechtsprocesseö ist, so sündigt er doch gegen die Natur der
Dinge. Der Rechtsgelehrte Bellario findet nnter alten Rechtspergamenten das
Gesetz, wonach einem Juden verboten ist, einem Christen nach dem Leben zu
trachten. Es ist ganz merkwürdig, daß dieses Gesetz den gewöhnlichen Richtern
Venedigs unbekannt ist, daß daher Shylock nicht ohne weiteres wegen seiner
unsinnigen Anforderungen abgewiesen und wegen seiner bösen Absichten bestraft
wird. Niemals kaun aus einem Contract ein Recht hergeleitet werden, welches
mit einer Criminalstrafe bedroht ist. Das Recht, den Antonio auf eigne Hand
umzubringen, wenn er sich dafür der Todesstrafe unterziehen wollte, hatte Shylock
wie jeder andere Mörder; aber das Recht, mit Hilfe des Gerichts einen solchen
Mord zu vollziehen, konnte er aus keinem Contract herleiten. Die Erzählung,
nach welcher Shakspeare arbeitete, führt uus in ein naives, poetisches Zeitalter
ein, wo man sich auch die unsinnigsten sittlichen Voraussetzungen gefallen läßt.
Aber Sheakspeares Drama eröffnet uns ein geordnetes und civilisirtes Staats¬
wesen, und in einem solchen ist ein ähnlicher Proceß eine Absurdität. Das ge-


Grenzboten. II. -I8L4. 7

Zeit, wo das Thema der Judenemancipation in den Gemüthern aller Gebildeten
und Ungebildeten ans das vielseitigste angeregt worden ist, kann man sich nicht
wol erwehren, in dem Schicksal Shyloks ein tragisches Moment zu erkennen, und
unsere Schauspieler verfehlen es in der Regel auch nicht, dieses Moment hervor¬
zuheben. Das hat offenbar nicht in Shakespeares Absicht gelegen. Herr Hehler
entwickelt vollkommen richtig, daß Shylok im wesentlichen eine komische Person
zu nennen ist. „Er fällt in die Grube, die er einem andern gegraben, selbst
hinein; darob alle, die zugegen sind, über die Maßen sich freuen, und ein jeder
foppt und verspottet den Juden. Dieses Publicum ist in unsrem Drama in
Graziano personificirt, welcher nicht blos an dem vereitelten Plan, sondern auch
an der Aussicht Shyloks auf den Galgen seinen Spaß hat. Gleichwol dürfen
wir ungenirt mitlachen, denn der Charakter der übrigen Gegner Shyloks ist uns
Bürge, daß diesem kein allzugroßes Weh droht. Sein Schicksal fallt in der That
verhältnißmäßig nicht härter, sondern eher gelinder ans, als das, welches andere
komische Figuren bei Shakespeare z. B. den Falstaff zuletzt trifft. Für einen
solchen Ausgang ist Shylok von vornherein angethan; seine Furchtbarkeit erweist
sich am Ende als ein hohler Popanz, weil sie von Anfang an hohl ist... Man
erleichtert sich das Verständniß Shyloks, wenn man sich ihn als eine. Art Bestie
vorstellt, die' in blinder Wuth anrennt und mit Schaden abfährt." —

Diese vollkommen richtige Darstellung rechtfertigt den Dichter und weist un¬
sre Darsteller, die aus einer episodischen Figur einen Helden machen wollen, in
ihre Schranken zurück. Von einer andern Seite aber her dürfte es schwerer
fallen, eine absolute Ueberwindung des Stoffs durch den Dichter zu erweisen.
Das Recht, welches sich Shylock durch seinen unsinnigen Schein erkauft, erweist
sich allerdings am Schluß als ein unhaltbares; aber so glänzend die dramatische
Wirkung dieses Rechtsprocesseö ist, so sündigt er doch gegen die Natur der
Dinge. Der Rechtsgelehrte Bellario findet nnter alten Rechtspergamenten das
Gesetz, wonach einem Juden verboten ist, einem Christen nach dem Leben zu
trachten. Es ist ganz merkwürdig, daß dieses Gesetz den gewöhnlichen Richtern
Venedigs unbekannt ist, daß daher Shylock nicht ohne weiteres wegen seiner
unsinnigen Anforderungen abgewiesen und wegen seiner bösen Absichten bestraft
wird. Niemals kaun aus einem Contract ein Recht hergeleitet werden, welches
mit einer Criminalstrafe bedroht ist. Das Recht, den Antonio auf eigne Hand
umzubringen, wenn er sich dafür der Todesstrafe unterziehen wollte, hatte Shylock
wie jeder andere Mörder; aber das Recht, mit Hilfe des Gerichts einen solchen
Mord zu vollziehen, konnte er aus keinem Contract herleiten. Die Erzählung,
nach welcher Shakspeare arbeitete, führt uus in ein naives, poetisches Zeitalter
ein, wo man sich auch die unsinnigsten sittlichen Voraussetzungen gefallen läßt.
Aber Sheakspeares Drama eröffnet uns ein geordnetes und civilisirtes Staats¬
wesen, und in einem solchen ist ein ähnlicher Proceß eine Absurdität. Das ge-


Grenzboten. II. -I8L4. 7
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[0057] Zeit, wo das Thema der Judenemancipation in den Gemüthern aller Gebildeten und Ungebildeten ans das vielseitigste angeregt worden ist, kann man sich nicht wol erwehren, in dem Schicksal Shyloks ein tragisches Moment zu erkennen, und unsere Schauspieler verfehlen es in der Regel auch nicht, dieses Moment hervor¬ zuheben. Das hat offenbar nicht in Shakespeares Absicht gelegen. Herr Hehler entwickelt vollkommen richtig, daß Shylok im wesentlichen eine komische Person zu nennen ist. „Er fällt in die Grube, die er einem andern gegraben, selbst hinein; darob alle, die zugegen sind, über die Maßen sich freuen, und ein jeder foppt und verspottet den Juden. Dieses Publicum ist in unsrem Drama in Graziano personificirt, welcher nicht blos an dem vereitelten Plan, sondern auch an der Aussicht Shyloks auf den Galgen seinen Spaß hat. Gleichwol dürfen wir ungenirt mitlachen, denn der Charakter der übrigen Gegner Shyloks ist uns Bürge, daß diesem kein allzugroßes Weh droht. Sein Schicksal fallt in der That verhältnißmäßig nicht härter, sondern eher gelinder ans, als das, welches andere komische Figuren bei Shakespeare z. B. den Falstaff zuletzt trifft. Für einen solchen Ausgang ist Shylok von vornherein angethan; seine Furchtbarkeit erweist sich am Ende als ein hohler Popanz, weil sie von Anfang an hohl ist... Man erleichtert sich das Verständniß Shyloks, wenn man sich ihn als eine. Art Bestie vorstellt, die' in blinder Wuth anrennt und mit Schaden abfährt." — Diese vollkommen richtige Darstellung rechtfertigt den Dichter und weist un¬ sre Darsteller, die aus einer episodischen Figur einen Helden machen wollen, in ihre Schranken zurück. Von einer andern Seite aber her dürfte es schwerer fallen, eine absolute Ueberwindung des Stoffs durch den Dichter zu erweisen. Das Recht, welches sich Shylock durch seinen unsinnigen Schein erkauft, erweist sich allerdings am Schluß als ein unhaltbares; aber so glänzend die dramatische Wirkung dieses Rechtsprocesseö ist, so sündigt er doch gegen die Natur der Dinge. Der Rechtsgelehrte Bellario findet nnter alten Rechtspergamenten das Gesetz, wonach einem Juden verboten ist, einem Christen nach dem Leben zu trachten. Es ist ganz merkwürdig, daß dieses Gesetz den gewöhnlichen Richtern Venedigs unbekannt ist, daß daher Shylock nicht ohne weiteres wegen seiner unsinnigen Anforderungen abgewiesen und wegen seiner bösen Absichten bestraft wird. Niemals kaun aus einem Contract ein Recht hergeleitet werden, welches mit einer Criminalstrafe bedroht ist. Das Recht, den Antonio auf eigne Hand umzubringen, wenn er sich dafür der Todesstrafe unterziehen wollte, hatte Shylock wie jeder andere Mörder; aber das Recht, mit Hilfe des Gerichts einen solchen Mord zu vollziehen, konnte er aus keinem Contract herleiten. Die Erzählung, nach welcher Shakspeare arbeitete, führt uus in ein naives, poetisches Zeitalter ein, wo man sich auch die unsinnigsten sittlichen Voraussetzungen gefallen läßt. Aber Sheakspeares Drama eröffnet uns ein geordnetes und civilisirtes Staats¬ wesen, und in einem solchen ist ein ähnlicher Proceß eine Absurdität. Das ge- Grenzboten. II. -I8L4. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/56>, abgerufen am 29.06.2024.