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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Ankunft in Varna ein Schreiben des Generalissimus vorgefunden, in welchem
sie aufgefordert seien, nach Schumla zu kommen, da er unter den bestehenden
Umständen die Armee nicht vierundzwanzig Stunden lang, geschweige denn
auf mehre Tage allein lassen könne.

Nicht geringe Verwunderung und zugleich Unwillen erregt es hier, daß
die Truppensendung nach Varna, die bereits vor acht Tagen abgehen sollte,
noch immer nicht den Hafen von Konstantinopel verließ. Wie Sie sich erinnern,
war dieselbe für Varna bestimmt, wo sich kaum mehr als 3000 Mann Türken
befinden dürften, und dessen Bedrohung durch die Russen in nicht ferner Aus¬
sicht steht. Von den Franzosen heißt es, daß seit vierzehn Tagen die ersten
Vortruppen in Adrianopel eingetroffen seien, und nunmehr nahe an 13,000
Mann dort ständen. Ein anderes französisches Corps hat' sich von Gallipoli
aus auf dem Landwege gegen Stambul in Marsch gesetzt. Man rechnet
hellre Starke aus 1 0,000 Mann und meint, daß es bestimmt sei, sein Quartier
in den Kasernen von Daub-Pascha und Ramis-Tschiftlik zu nehmen. --
Truppenausschiffungen haben in den jüngsten Tagen nicht hier stattgefunden,
dagegen sind viele Pferde angekommen. Die allgemeine Ansicht ist, daß an
englischen und französischen Streitkräften nunmehr 63,000--70,000 Mann auf
türkischem Boden beisamcken sind.

Die Pvüfungöfeierlichkeiten in den verschiedenen Schulanstalten schlössen
in vergangener Woche mit dem Eramen der medicinischen Akademie. Der
Sultan war im großen Costüm erschienen; auch Prinz Napoleon war zugegen,
und saß in einem Lehnsessel zur rechten Seite des Divans, in dessen linker
Ecke der Großherr Platz genommen hatte. Letzterer trug einen weiten schwar¬
zen Mantel, darunter einen, wenn ich nicht irre, mit Diamanten gestickten
schwarzen Setter (Rock) und einen Brillant-Nischan um den Hals. Prinz
Napoleon ist zum Verwundern hoch gewachsen, über einen halben Kopf größer
als der nur mittelgroße Abd-ni-Medschid. Aber er steckt wie der große
Kaiser, dein er im Profil sehr ähnelt, etwas tief in den Schultern. Sein
Costüm, namentlich die krapprothen Pantalons, nehmen sich nicht fein aus.
Der Padischah sprach äußerst lebhaft, und scherzte zu mehren Malen in aller-
heiterster Weise. Natürlich wurde die Unterhaltung französisch geführt. Von
fremden Gesandten war nur der preußische (Oberst von Wildenbruch) und der
Vertreter der Hansestädte, Consul Dr. Mordtmann (beiläufig bemerkt, ein
sehr geschätzter Orientalist) erschienen. -- General Baraguay dHilliers ist ab¬
gereist.

Das sind im wesentlichen die Nachrichten, die ich bei Beginn einer
neuen Woche rücksichtlsch der letztverflossenen zusammenzufassen habe. Die
Kriegsereignisse all der Donau stehen natürlich darunter in erster Linie, und
so sehr tritt alles andere dagegen zurück, daß die Abberufung des französischen


Grenzboten. II. 18!U.. 33

Ankunft in Varna ein Schreiben des Generalissimus vorgefunden, in welchem
sie aufgefordert seien, nach Schumla zu kommen, da er unter den bestehenden
Umständen die Armee nicht vierundzwanzig Stunden lang, geschweige denn
auf mehre Tage allein lassen könne.

Nicht geringe Verwunderung und zugleich Unwillen erregt es hier, daß
die Truppensendung nach Varna, die bereits vor acht Tagen abgehen sollte,
noch immer nicht den Hafen von Konstantinopel verließ. Wie Sie sich erinnern,
war dieselbe für Varna bestimmt, wo sich kaum mehr als 3000 Mann Türken
befinden dürften, und dessen Bedrohung durch die Russen in nicht ferner Aus¬
sicht steht. Von den Franzosen heißt es, daß seit vierzehn Tagen die ersten
Vortruppen in Adrianopel eingetroffen seien, und nunmehr nahe an 13,000
Mann dort ständen. Ein anderes französisches Corps hat' sich von Gallipoli
aus auf dem Landwege gegen Stambul in Marsch gesetzt. Man rechnet
hellre Starke aus 1 0,000 Mann und meint, daß es bestimmt sei, sein Quartier
in den Kasernen von Daub-Pascha und Ramis-Tschiftlik zu nehmen. —
Truppenausschiffungen haben in den jüngsten Tagen nicht hier stattgefunden,
dagegen sind viele Pferde angekommen. Die allgemeine Ansicht ist, daß an
englischen und französischen Streitkräften nunmehr 63,000—70,000 Mann auf
türkischem Boden beisamcken sind.

Die Pvüfungöfeierlichkeiten in den verschiedenen Schulanstalten schlössen
in vergangener Woche mit dem Eramen der medicinischen Akademie. Der
Sultan war im großen Costüm erschienen; auch Prinz Napoleon war zugegen,
und saß in einem Lehnsessel zur rechten Seite des Divans, in dessen linker
Ecke der Großherr Platz genommen hatte. Letzterer trug einen weiten schwar¬
zen Mantel, darunter einen, wenn ich nicht irre, mit Diamanten gestickten
schwarzen Setter (Rock) und einen Brillant-Nischan um den Hals. Prinz
Napoleon ist zum Verwundern hoch gewachsen, über einen halben Kopf größer
als der nur mittelgroße Abd-ni-Medschid. Aber er steckt wie der große
Kaiser, dein er im Profil sehr ähnelt, etwas tief in den Schultern. Sein
Costüm, namentlich die krapprothen Pantalons, nehmen sich nicht fein aus.
Der Padischah sprach äußerst lebhaft, und scherzte zu mehren Malen in aller-
heiterster Weise. Natürlich wurde die Unterhaltung französisch geführt. Von
fremden Gesandten war nur der preußische (Oberst von Wildenbruch) und der
Vertreter der Hansestädte, Consul Dr. Mordtmann (beiläufig bemerkt, ein
sehr geschätzter Orientalist) erschienen. — General Baraguay dHilliers ist ab¬
gereist.

Das sind im wesentlichen die Nachrichten, die ich bei Beginn einer
neuen Woche rücksichtlsch der letztverflossenen zusammenzufassen habe. Die
Kriegsereignisse all der Donau stehen natürlich darunter in erster Linie, und
so sehr tritt alles andere dagegen zurück, daß die Abberufung des französischen


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[0425] Ankunft in Varna ein Schreiben des Generalissimus vorgefunden, in welchem sie aufgefordert seien, nach Schumla zu kommen, da er unter den bestehenden Umständen die Armee nicht vierundzwanzig Stunden lang, geschweige denn auf mehre Tage allein lassen könne. Nicht geringe Verwunderung und zugleich Unwillen erregt es hier, daß die Truppensendung nach Varna, die bereits vor acht Tagen abgehen sollte, noch immer nicht den Hafen von Konstantinopel verließ. Wie Sie sich erinnern, war dieselbe für Varna bestimmt, wo sich kaum mehr als 3000 Mann Türken befinden dürften, und dessen Bedrohung durch die Russen in nicht ferner Aus¬ sicht steht. Von den Franzosen heißt es, daß seit vierzehn Tagen die ersten Vortruppen in Adrianopel eingetroffen seien, und nunmehr nahe an 13,000 Mann dort ständen. Ein anderes französisches Corps hat' sich von Gallipoli aus auf dem Landwege gegen Stambul in Marsch gesetzt. Man rechnet hellre Starke aus 1 0,000 Mann und meint, daß es bestimmt sei, sein Quartier in den Kasernen von Daub-Pascha und Ramis-Tschiftlik zu nehmen. — Truppenausschiffungen haben in den jüngsten Tagen nicht hier stattgefunden, dagegen sind viele Pferde angekommen. Die allgemeine Ansicht ist, daß an englischen und französischen Streitkräften nunmehr 63,000—70,000 Mann auf türkischem Boden beisamcken sind. Die Pvüfungöfeierlichkeiten in den verschiedenen Schulanstalten schlössen in vergangener Woche mit dem Eramen der medicinischen Akademie. Der Sultan war im großen Costüm erschienen; auch Prinz Napoleon war zugegen, und saß in einem Lehnsessel zur rechten Seite des Divans, in dessen linker Ecke der Großherr Platz genommen hatte. Letzterer trug einen weiten schwar¬ zen Mantel, darunter einen, wenn ich nicht irre, mit Diamanten gestickten schwarzen Setter (Rock) und einen Brillant-Nischan um den Hals. Prinz Napoleon ist zum Verwundern hoch gewachsen, über einen halben Kopf größer als der nur mittelgroße Abd-ni-Medschid. Aber er steckt wie der große Kaiser, dein er im Profil sehr ähnelt, etwas tief in den Schultern. Sein Costüm, namentlich die krapprothen Pantalons, nehmen sich nicht fein aus. Der Padischah sprach äußerst lebhaft, und scherzte zu mehren Malen in aller- heiterster Weise. Natürlich wurde die Unterhaltung französisch geführt. Von fremden Gesandten war nur der preußische (Oberst von Wildenbruch) und der Vertreter der Hansestädte, Consul Dr. Mordtmann (beiläufig bemerkt, ein sehr geschätzter Orientalist) erschienen. — General Baraguay dHilliers ist ab¬ gereist. Das sind im wesentlichen die Nachrichten, die ich bei Beginn einer neuen Woche rücksichtlsch der letztverflossenen zusammenzufassen habe. Die Kriegsereignisse all der Donau stehen natürlich darunter in erster Linie, und so sehr tritt alles andere dagegen zurück, daß die Abberufung des französischen Grenzboten. II. 18!U.. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/424>, abgerufen am 29.06.2024.