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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Ambassadeurs darüber kaum beachtet worden ist. Man weiß übrigens nicht
anzugeben, ob man darin eine Complaisance gegen England, oder ein Will¬
fahren gegenüber den Privatwünschcn des Generals zu erkennen hatte, der,
in Anbetracht der Sendung des Marschalls Se. Arnaud, seine Stellung seit
lange bereits sür mißlich erklärte und aus seinem Verlangen nach einer an-,
derweiligen Verwendung kein Geheimniß machte.

In den letzten Tagen der vergangenen Woche, wo man von dem Vor¬
gange des General Lüders noch nichts wußte, war nichtsdestowenigar die
Ahnung, daß Silistria sich in höchster Bedrängnis) befinde, so allgemein, daß
man beim Begegnen auf der Straße kaum eine andere Frage als die: - was
wissen Sie über Mussa Pascha (den Commandanten von Silistria) und
wie nahe stehen schon die Russen dem Platze? vernahm. Der große Werth,
welchen diese Festung hat, wird aus den Anstalten ersichtlich, welche die Russen
für ihre Wegnahme treffen. Man schlägt den gegen sie bestimmten Artillerie¬
park auf mehr denn 200 Geschütze vom schwersten Kaliber an, ungerechnet die
Feldartillerie eines Armeecorps von 33,000 Mann, welche bei der Beschie¬
ßung mitwirken wird. Da es den Russen auf eine möglichst schnelle Weg¬
nahme ankommen muß, erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß sie einen
Sturm wagen, vielleicht zwei von den vorgelegenen Schanzen wegnehmen und
demnächst, durch die Linie der detachirten Forts durchbrechend, den eigentli¬
chen Platz angreifen werden.

Für diejenigen Ihrer Leser, welche das Schicksal der in Rede stehenden
Festung näher interesstrt, bemerke ich, daß in dem kleinen, aber sehr ver¬
dienstvollen Werke des preuß. Obristen Baron von Moltke über den russisch-
türkischen Krieg vom Jahre -1828 und 29 sich ein Plan des Platzes (Silistria)
befindet, der die Festung und das umliegende Terrain treu darstellt. Die vier
Berge, von denen Silistria eingeschlossen wird, und die in einer Entfernung
von etwa 2000 Schritten abliegen, sind mit Werken gekrönt, welche aus¬
reichende Stärke besitzen dürften, um einem Angriff, wenn er methodisch geführt
wird, mindestens einen Monat lang Halt zu gebieten. Ein Anderes ist es
freilich, wenn man russischerseits, einen ungeheuren Menschenverlust nicht
scheuend, die Wegnahme mit stürmender Hand vorzieht. Die zehntausend Mann,
die man dabei verlieren könnte, würden durch den Zeitgewinn reichlich ersetzt
werden.

Da im Kriege stets die gefährlichsten Eventualitäten zuerst ins Auge gesaßt
sein wollen, so gehe ich hier in eine nähere Erörterung des Falles ein, in
welchem Silistria den Russen infolge eines Sturmes vor der Zeit in die
Hände fiele. Mit diesem großen Schlage wäre alsdann aller türkische Wider¬
stand längs der ganzen Stromlinie, von Rustschuck bis zu den Mündungen
gebrochen und die Donau wäre somit in den Händen unserer Fe.inde; ja


Ambassadeurs darüber kaum beachtet worden ist. Man weiß übrigens nicht
anzugeben, ob man darin eine Complaisance gegen England, oder ein Will¬
fahren gegenüber den Privatwünschcn des Generals zu erkennen hatte, der,
in Anbetracht der Sendung des Marschalls Se. Arnaud, seine Stellung seit
lange bereits sür mißlich erklärte und aus seinem Verlangen nach einer an-,
derweiligen Verwendung kein Geheimniß machte.

In den letzten Tagen der vergangenen Woche, wo man von dem Vor¬
gange des General Lüders noch nichts wußte, war nichtsdestowenigar die
Ahnung, daß Silistria sich in höchster Bedrängnis) befinde, so allgemein, daß
man beim Begegnen auf der Straße kaum eine andere Frage als die: - was
wissen Sie über Mussa Pascha (den Commandanten von Silistria) und
wie nahe stehen schon die Russen dem Platze? vernahm. Der große Werth,
welchen diese Festung hat, wird aus den Anstalten ersichtlich, welche die Russen
für ihre Wegnahme treffen. Man schlägt den gegen sie bestimmten Artillerie¬
park auf mehr denn 200 Geschütze vom schwersten Kaliber an, ungerechnet die
Feldartillerie eines Armeecorps von 33,000 Mann, welche bei der Beschie¬
ßung mitwirken wird. Da es den Russen auf eine möglichst schnelle Weg¬
nahme ankommen muß, erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß sie einen
Sturm wagen, vielleicht zwei von den vorgelegenen Schanzen wegnehmen und
demnächst, durch die Linie der detachirten Forts durchbrechend, den eigentli¬
chen Platz angreifen werden.

Für diejenigen Ihrer Leser, welche das Schicksal der in Rede stehenden
Festung näher interesstrt, bemerke ich, daß in dem kleinen, aber sehr ver¬
dienstvollen Werke des preuß. Obristen Baron von Moltke über den russisch-
türkischen Krieg vom Jahre -1828 und 29 sich ein Plan des Platzes (Silistria)
befindet, der die Festung und das umliegende Terrain treu darstellt. Die vier
Berge, von denen Silistria eingeschlossen wird, und die in einer Entfernung
von etwa 2000 Schritten abliegen, sind mit Werken gekrönt, welche aus¬
reichende Stärke besitzen dürften, um einem Angriff, wenn er methodisch geführt
wird, mindestens einen Monat lang Halt zu gebieten. Ein Anderes ist es
freilich, wenn man russischerseits, einen ungeheuren Menschenverlust nicht
scheuend, die Wegnahme mit stürmender Hand vorzieht. Die zehntausend Mann,
die man dabei verlieren könnte, würden durch den Zeitgewinn reichlich ersetzt
werden.

Da im Kriege stets die gefährlichsten Eventualitäten zuerst ins Auge gesaßt
sein wollen, so gehe ich hier in eine nähere Erörterung des Falles ein, in
welchem Silistria den Russen infolge eines Sturmes vor der Zeit in die
Hände fiele. Mit diesem großen Schlage wäre alsdann aller türkische Wider¬
stand längs der ganzen Stromlinie, von Rustschuck bis zu den Mündungen
gebrochen und die Donau wäre somit in den Händen unserer Fe.inde; ja


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[0426] Ambassadeurs darüber kaum beachtet worden ist. Man weiß übrigens nicht anzugeben, ob man darin eine Complaisance gegen England, oder ein Will¬ fahren gegenüber den Privatwünschcn des Generals zu erkennen hatte, der, in Anbetracht der Sendung des Marschalls Se. Arnaud, seine Stellung seit lange bereits sür mißlich erklärte und aus seinem Verlangen nach einer an-, derweiligen Verwendung kein Geheimniß machte. In den letzten Tagen der vergangenen Woche, wo man von dem Vor¬ gange des General Lüders noch nichts wußte, war nichtsdestowenigar die Ahnung, daß Silistria sich in höchster Bedrängnis) befinde, so allgemein, daß man beim Begegnen auf der Straße kaum eine andere Frage als die: - was wissen Sie über Mussa Pascha (den Commandanten von Silistria) und wie nahe stehen schon die Russen dem Platze? vernahm. Der große Werth, welchen diese Festung hat, wird aus den Anstalten ersichtlich, welche die Russen für ihre Wegnahme treffen. Man schlägt den gegen sie bestimmten Artillerie¬ park auf mehr denn 200 Geschütze vom schwersten Kaliber an, ungerechnet die Feldartillerie eines Armeecorps von 33,000 Mann, welche bei der Beschie¬ ßung mitwirken wird. Da es den Russen auf eine möglichst schnelle Weg¬ nahme ankommen muß, erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß sie einen Sturm wagen, vielleicht zwei von den vorgelegenen Schanzen wegnehmen und demnächst, durch die Linie der detachirten Forts durchbrechend, den eigentli¬ chen Platz angreifen werden. Für diejenigen Ihrer Leser, welche das Schicksal der in Rede stehenden Festung näher interesstrt, bemerke ich, daß in dem kleinen, aber sehr ver¬ dienstvollen Werke des preuß. Obristen Baron von Moltke über den russisch- türkischen Krieg vom Jahre -1828 und 29 sich ein Plan des Platzes (Silistria) befindet, der die Festung und das umliegende Terrain treu darstellt. Die vier Berge, von denen Silistria eingeschlossen wird, und die in einer Entfernung von etwa 2000 Schritten abliegen, sind mit Werken gekrönt, welche aus¬ reichende Stärke besitzen dürften, um einem Angriff, wenn er methodisch geführt wird, mindestens einen Monat lang Halt zu gebieten. Ein Anderes ist es freilich, wenn man russischerseits, einen ungeheuren Menschenverlust nicht scheuend, die Wegnahme mit stürmender Hand vorzieht. Die zehntausend Mann, die man dabei verlieren könnte, würden durch den Zeitgewinn reichlich ersetzt werden. Da im Kriege stets die gefährlichsten Eventualitäten zuerst ins Auge gesaßt sein wollen, so gehe ich hier in eine nähere Erörterung des Falles ein, in welchem Silistria den Russen infolge eines Sturmes vor der Zeit in die Hände fiele. Mit diesem großen Schlage wäre alsdann aller türkische Wider¬ stand längs der ganzen Stromlinie, von Rustschuck bis zu den Mündungen gebrochen und die Donau wäre somit in den Händen unserer Fe.inde; ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/425>, abgerufen am 01.07.2024.