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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Denn es beruht auf der irrthümlichen Auffassung, daß die preußische Po¬
litik aus festen Principien hcrfließe und. ein System bilde, dessen einzelne Acte
untereinander in einem untrennbaren Zusammenhange ständen und wieder alle
zukünftigen Handlungen mit innerer Nothwendigkeit bedingten. Von diesem
Gesichtspunkte ausgehend hat man einzelne Negierungsacte, die Unterzeichnung
der Wiener Protokolle im December und, Januar, die Ablehnung der Anträge
Budbergs, den Beitritt zu dem Protokoll vom 9. April, den Abschluß des Ver¬
trages mit Oestreich, aus einer Fülle anderer, auf demselben Gebiet sich be¬
wegender Maßregeln ziemlich willkürlich herausgegriffen, sie in einen innern
Conner gebracht und ihnen dadurch, daß man einen Act durch den andern
interpretirte, einen Werth beigelegt, den sie nach der an entscheidender Stelle
vorherrschenden Ansicht nicht besitzen. Um das behagliche Gefühl, die Consequenz
in der preußischen Politik entdeckt zu haben, nicht stören zu lassen, hat man
gegen eine andere Reihe parallel (aber in entgegengesetzter Richtung) laufender
Thatsachen, die Ablehnung der von Oestreich beantragten Convention am
S. März, die Missionen v., d. Gröbens und v. Manteuffels, die Erklärungen
des Ministerpräsidenten in der zweiten Kammer und in der Creditcommission
der ersten Kammer, und die so sehr bezeichnenden Personalveränderungen beide
Augen zugedrückt und die Bedeutung dieser Thatsachen für das richtige Ver¬
ständniß unsrer Situation zu ignoriren gesucht. So hat man sich allmälig
in eine angenehme, aber gefährliche Illusion hineingearbeitet.

Der innere Conner, durch dessen Voraussetzung man die Bedeutung der
ersten oben angeführten Reihe von Thatsachen zu einer künstlichen Höhe em¬
porgeschroben hat, eristirt nur zwischen der Unterzeichnung des December- und
Januarprotokolls und der Ablehnung der Budbergschen Anträge, da diese Acte
allerdings aus derselben Anschauung über die schwebende Frage herstammten,
Früchte eines und desselben Stammes waren. Aber der Beitritt zu dem
Aprilprotokoll und der Abschluß des östreichischen Vertrages entsprangen, --
obgleich sie dieselbe Tendenz wie jene Maßregeln zu verfolgen scheinen --
aus ganz andern, und man kann fast sagen, aus entgegengesetzten Mo¬
tiven; die Unterzeichnung des Wiener Protokolls aus dem Wunsche, dem
Drängen der Westmächte/einen Damm entgegenzustellen und ihren ferneren
Ansprüchen vorzubeugen, der Vertrag mit Oestreich aus dem Wunsche, den
Kaiserstaat aus dem europäischen Concert loszulösen.

Die Motive für den Abschluß des östreichischen Vertrags sind bisher nicht
in authentischer Weise dargelegt worden. Den Anlaß bot die' Misston des
Obristlieutenant v. Manteuffel mit dem Neutralitätsantrage, der durch die
Verlängerung des Garantievertrages annehmbar gemacht werden sollte; an
diesen letztern Punkt knüpfte Oestreich an, unter Ablehnung der Neutralität,
und stieß mit seinen Bestrebungen, ein für die gegenwärtige Weltlage berech-


Denn es beruht auf der irrthümlichen Auffassung, daß die preußische Po¬
litik aus festen Principien hcrfließe und. ein System bilde, dessen einzelne Acte
untereinander in einem untrennbaren Zusammenhange ständen und wieder alle
zukünftigen Handlungen mit innerer Nothwendigkeit bedingten. Von diesem
Gesichtspunkte ausgehend hat man einzelne Negierungsacte, die Unterzeichnung
der Wiener Protokolle im December und, Januar, die Ablehnung der Anträge
Budbergs, den Beitritt zu dem Protokoll vom 9. April, den Abschluß des Ver¬
trages mit Oestreich, aus einer Fülle anderer, auf demselben Gebiet sich be¬
wegender Maßregeln ziemlich willkürlich herausgegriffen, sie in einen innern
Conner gebracht und ihnen dadurch, daß man einen Act durch den andern
interpretirte, einen Werth beigelegt, den sie nach der an entscheidender Stelle
vorherrschenden Ansicht nicht besitzen. Um das behagliche Gefühl, die Consequenz
in der preußischen Politik entdeckt zu haben, nicht stören zu lassen, hat man
gegen eine andere Reihe parallel (aber in entgegengesetzter Richtung) laufender
Thatsachen, die Ablehnung der von Oestreich beantragten Convention am
S. März, die Missionen v., d. Gröbens und v. Manteuffels, die Erklärungen
des Ministerpräsidenten in der zweiten Kammer und in der Creditcommission
der ersten Kammer, und die so sehr bezeichnenden Personalveränderungen beide
Augen zugedrückt und die Bedeutung dieser Thatsachen für das richtige Ver¬
ständniß unsrer Situation zu ignoriren gesucht. So hat man sich allmälig
in eine angenehme, aber gefährliche Illusion hineingearbeitet.

Der innere Conner, durch dessen Voraussetzung man die Bedeutung der
ersten oben angeführten Reihe von Thatsachen zu einer künstlichen Höhe em¬
porgeschroben hat, eristirt nur zwischen der Unterzeichnung des December- und
Januarprotokolls und der Ablehnung der Budbergschen Anträge, da diese Acte
allerdings aus derselben Anschauung über die schwebende Frage herstammten,
Früchte eines und desselben Stammes waren. Aber der Beitritt zu dem
Aprilprotokoll und der Abschluß des östreichischen Vertrages entsprangen, —
obgleich sie dieselbe Tendenz wie jene Maßregeln zu verfolgen scheinen —
aus ganz andern, und man kann fast sagen, aus entgegengesetzten Mo¬
tiven; die Unterzeichnung des Wiener Protokolls aus dem Wunsche, dem
Drängen der Westmächte/einen Damm entgegenzustellen und ihren ferneren
Ansprüchen vorzubeugen, der Vertrag mit Oestreich aus dem Wunsche, den
Kaiserstaat aus dem europäischen Concert loszulösen.

Die Motive für den Abschluß des östreichischen Vertrags sind bisher nicht
in authentischer Weise dargelegt worden. Den Anlaß bot die' Misston des
Obristlieutenant v. Manteuffel mit dem Neutralitätsantrage, der durch die
Verlängerung des Garantievertrages annehmbar gemacht werden sollte; an
diesen letztern Punkt knüpfte Oestreich an, unter Ablehnung der Neutralität,
und stieß mit seinen Bestrebungen, ein für die gegenwärtige Weltlage berech-


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[0396] Denn es beruht auf der irrthümlichen Auffassung, daß die preußische Po¬ litik aus festen Principien hcrfließe und. ein System bilde, dessen einzelne Acte untereinander in einem untrennbaren Zusammenhange ständen und wieder alle zukünftigen Handlungen mit innerer Nothwendigkeit bedingten. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend hat man einzelne Negierungsacte, die Unterzeichnung der Wiener Protokolle im December und, Januar, die Ablehnung der Anträge Budbergs, den Beitritt zu dem Protokoll vom 9. April, den Abschluß des Ver¬ trages mit Oestreich, aus einer Fülle anderer, auf demselben Gebiet sich be¬ wegender Maßregeln ziemlich willkürlich herausgegriffen, sie in einen innern Conner gebracht und ihnen dadurch, daß man einen Act durch den andern interpretirte, einen Werth beigelegt, den sie nach der an entscheidender Stelle vorherrschenden Ansicht nicht besitzen. Um das behagliche Gefühl, die Consequenz in der preußischen Politik entdeckt zu haben, nicht stören zu lassen, hat man gegen eine andere Reihe parallel (aber in entgegengesetzter Richtung) laufender Thatsachen, die Ablehnung der von Oestreich beantragten Convention am S. März, die Missionen v., d. Gröbens und v. Manteuffels, die Erklärungen des Ministerpräsidenten in der zweiten Kammer und in der Creditcommission der ersten Kammer, und die so sehr bezeichnenden Personalveränderungen beide Augen zugedrückt und die Bedeutung dieser Thatsachen für das richtige Ver¬ ständniß unsrer Situation zu ignoriren gesucht. So hat man sich allmälig in eine angenehme, aber gefährliche Illusion hineingearbeitet. Der innere Conner, durch dessen Voraussetzung man die Bedeutung der ersten oben angeführten Reihe von Thatsachen zu einer künstlichen Höhe em¬ porgeschroben hat, eristirt nur zwischen der Unterzeichnung des December- und Januarprotokolls und der Ablehnung der Budbergschen Anträge, da diese Acte allerdings aus derselben Anschauung über die schwebende Frage herstammten, Früchte eines und desselben Stammes waren. Aber der Beitritt zu dem Aprilprotokoll und der Abschluß des östreichischen Vertrages entsprangen, — obgleich sie dieselbe Tendenz wie jene Maßregeln zu verfolgen scheinen — aus ganz andern, und man kann fast sagen, aus entgegengesetzten Mo¬ tiven; die Unterzeichnung des Wiener Protokolls aus dem Wunsche, dem Drängen der Westmächte/einen Damm entgegenzustellen und ihren ferneren Ansprüchen vorzubeugen, der Vertrag mit Oestreich aus dem Wunsche, den Kaiserstaat aus dem europäischen Concert loszulösen. Die Motive für den Abschluß des östreichischen Vertrags sind bisher nicht in authentischer Weise dargelegt worden. Den Anlaß bot die' Misston des Obristlieutenant v. Manteuffel mit dem Neutralitätsantrage, der durch die Verlängerung des Garantievertrages annehmbar gemacht werden sollte; an diesen letztern Punkt knüpfte Oestreich an, unter Ablehnung der Neutralität, und stieß mit seinen Bestrebungen, ein für die gegenwärtige Weltlage berech-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/395>, abgerufen am 29.06.2024.