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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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In der eigentlichen Geschichtschreibung laufen uns die Engländer bei weitem
den Rang ab. Als.Kritiker und Forscher gehen wir allen Nationen voran, aber
in ausgeführten historischen Darstellungen können wir nur sehr wenige den glän¬
zenden Werken der Engländer an die Seite setzen. Anders ist es in'der Li¬
tteraturgeschichte, vielleicht weil seit einem vollen Jahrhundert die Literatur das
Gemüth unsres Volkes viel mehr beschäftigte, als die Politik. Die romantische
Schule gab zuerst die Anregung, sie eröffnete uns weite und anziehende Perspec-
tiven.. Ju neuerer Zeit ist durch Gewinns in einem abgeschlossenen historischen
Werke ein Gesammtbild unsrer poetischen Literatur gegeben, dem keine andere
Nation etwas an die Seite stellsn kann, obgleich die Franzosen für einzelne Pe¬
rioden Glänzendes geleistet haben. Sobald die Franzosen es versuchen, ein Bild
ihrer Gesammtliteratur zu entwickeln, werden sie in der Regel dogmatisch und
verlieren die Achtung vor den Thatsachen, so z. B. Nisard in seiner übrigens
höchst geistvollen, aber von den einseitigsten Principien ausgehenden Literatur¬
geschichte. -- Die Engländer haben bisher noch gar nicht den Versuch gemacht,
und insofern ist das vorliegende Buch etwas ganz Neues. An guten und tüchtigen
Vorarbeiten hat selten ein Volk so viel auszuweisen, die betreffenden Actenstücke
sind durch alle Zeitalter hin ans das gewissenhafteste geordnet und gesäubert-, und
fast über jeden Schriftsteller von einiger Bedeutung existirt eine ganze Bibliothek
von Monographien. Es ist also vorauszusetzen, daß, wenn das anregende Bei-"
spiel der Deutschen einmal Eingang bei der englischen Schriftstellerwelt gefunden
haben wird/ sie auch in diesem Fach mit der gewohnten Gründlichkeit zu Werke
gehen und durch die Wechselwirkung unsre eigne Literatur bereichern werden. --
Der Versuch des Herrn.' Spalding ist sehr verdienstlich , aber er kann doch vor¬
läufig nur als eine Vorarbeit betrachtet werden. Er ist für ein Publicum be¬
rechnet, welches sich zunächst eine Uebersicht über den gesammten Gang der Litera¬
tur verschaffen will; die Darstellung ist daher nur skizzenhaft, namentlich für die
neuere Zeit, und auch der eigentlich historische Apparat, den man von einem
Lehrbuch wünscht, ist.vollständig weggefallen. Nach unsrer Ansicht hätte der
Uebersetzer hier etwas nachhelfen sollen, er hätte biographische und literarische
Notizen hinzufügen und da für die ausgezogenen Stellen, die im ganzen nicht sehr
glücklich gewählt und nicht sehr charakteristisch sind, und die hier durck die hinzu¬
gefügte Uebersetzung uoch mehr Raum einnehmen, weglassen sollen.

Der musterhafteste Theil des Werks ist der Anfang, die Geschichte deö
Ursprungs und der Entwicklung der englischen Sprache. Es ist uns selten eine
Monographie vorgekommen, die in einer so erstaunlichen Kürze doch die Haupt¬
phasen einer Sprachentwicklung wissenschaftlich correct und vollkommen durchsichtig
zusammenstellte. Das größere P^nblicum, welches diesen Untersuchungen voll¬
kommen folgen kaun, wird daraus unter anderem die Ueberzeugung gewinnen,
daß das Eindringen der lateinischen und französischen Sprachelemente keineswegs


In der eigentlichen Geschichtschreibung laufen uns die Engländer bei weitem
den Rang ab. Als.Kritiker und Forscher gehen wir allen Nationen voran, aber
in ausgeführten historischen Darstellungen können wir nur sehr wenige den glän¬
zenden Werken der Engländer an die Seite setzen. Anders ist es in'der Li¬
tteraturgeschichte, vielleicht weil seit einem vollen Jahrhundert die Literatur das
Gemüth unsres Volkes viel mehr beschäftigte, als die Politik. Die romantische
Schule gab zuerst die Anregung, sie eröffnete uns weite und anziehende Perspec-
tiven.. Ju neuerer Zeit ist durch Gewinns in einem abgeschlossenen historischen
Werke ein Gesammtbild unsrer poetischen Literatur gegeben, dem keine andere
Nation etwas an die Seite stellsn kann, obgleich die Franzosen für einzelne Pe¬
rioden Glänzendes geleistet haben. Sobald die Franzosen es versuchen, ein Bild
ihrer Gesammtliteratur zu entwickeln, werden sie in der Regel dogmatisch und
verlieren die Achtung vor den Thatsachen, so z. B. Nisard in seiner übrigens
höchst geistvollen, aber von den einseitigsten Principien ausgehenden Literatur¬
geschichte. — Die Engländer haben bisher noch gar nicht den Versuch gemacht,
und insofern ist das vorliegende Buch etwas ganz Neues. An guten und tüchtigen
Vorarbeiten hat selten ein Volk so viel auszuweisen, die betreffenden Actenstücke
sind durch alle Zeitalter hin ans das gewissenhafteste geordnet und gesäubert-, und
fast über jeden Schriftsteller von einiger Bedeutung existirt eine ganze Bibliothek
von Monographien. Es ist also vorauszusetzen, daß, wenn das anregende Bei-"
spiel der Deutschen einmal Eingang bei der englischen Schriftstellerwelt gefunden
haben wird/ sie auch in diesem Fach mit der gewohnten Gründlichkeit zu Werke
gehen und durch die Wechselwirkung unsre eigne Literatur bereichern werden. —
Der Versuch des Herrn.' Spalding ist sehr verdienstlich , aber er kann doch vor¬
läufig nur als eine Vorarbeit betrachtet werden. Er ist für ein Publicum be¬
rechnet, welches sich zunächst eine Uebersicht über den gesammten Gang der Litera¬
tur verschaffen will; die Darstellung ist daher nur skizzenhaft, namentlich für die
neuere Zeit, und auch der eigentlich historische Apparat, den man von einem
Lehrbuch wünscht, ist.vollständig weggefallen. Nach unsrer Ansicht hätte der
Uebersetzer hier etwas nachhelfen sollen, er hätte biographische und literarische
Notizen hinzufügen und da für die ausgezogenen Stellen, die im ganzen nicht sehr
glücklich gewählt und nicht sehr charakteristisch sind, und die hier durck die hinzu¬
gefügte Uebersetzung uoch mehr Raum einnehmen, weglassen sollen.

Der musterhafteste Theil des Werks ist der Anfang, die Geschichte deö
Ursprungs und der Entwicklung der englischen Sprache. Es ist uns selten eine
Monographie vorgekommen, die in einer so erstaunlichen Kürze doch die Haupt¬
phasen einer Sprachentwicklung wissenschaftlich correct und vollkommen durchsichtig
zusammenstellte. Das größere P^nblicum, welches diesen Untersuchungen voll¬
kommen folgen kaun, wird daraus unter anderem die Ueberzeugung gewinnen,
daß das Eindringen der lateinischen und französischen Sprachelemente keineswegs


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[0277] In der eigentlichen Geschichtschreibung laufen uns die Engländer bei weitem den Rang ab. Als.Kritiker und Forscher gehen wir allen Nationen voran, aber in ausgeführten historischen Darstellungen können wir nur sehr wenige den glän¬ zenden Werken der Engländer an die Seite setzen. Anders ist es in'der Li¬ tteraturgeschichte, vielleicht weil seit einem vollen Jahrhundert die Literatur das Gemüth unsres Volkes viel mehr beschäftigte, als die Politik. Die romantische Schule gab zuerst die Anregung, sie eröffnete uns weite und anziehende Perspec- tiven.. Ju neuerer Zeit ist durch Gewinns in einem abgeschlossenen historischen Werke ein Gesammtbild unsrer poetischen Literatur gegeben, dem keine andere Nation etwas an die Seite stellsn kann, obgleich die Franzosen für einzelne Pe¬ rioden Glänzendes geleistet haben. Sobald die Franzosen es versuchen, ein Bild ihrer Gesammtliteratur zu entwickeln, werden sie in der Regel dogmatisch und verlieren die Achtung vor den Thatsachen, so z. B. Nisard in seiner übrigens höchst geistvollen, aber von den einseitigsten Principien ausgehenden Literatur¬ geschichte. — Die Engländer haben bisher noch gar nicht den Versuch gemacht, und insofern ist das vorliegende Buch etwas ganz Neues. An guten und tüchtigen Vorarbeiten hat selten ein Volk so viel auszuweisen, die betreffenden Actenstücke sind durch alle Zeitalter hin ans das gewissenhafteste geordnet und gesäubert-, und fast über jeden Schriftsteller von einiger Bedeutung existirt eine ganze Bibliothek von Monographien. Es ist also vorauszusetzen, daß, wenn das anregende Bei-" spiel der Deutschen einmal Eingang bei der englischen Schriftstellerwelt gefunden haben wird/ sie auch in diesem Fach mit der gewohnten Gründlichkeit zu Werke gehen und durch die Wechselwirkung unsre eigne Literatur bereichern werden. — Der Versuch des Herrn.' Spalding ist sehr verdienstlich , aber er kann doch vor¬ läufig nur als eine Vorarbeit betrachtet werden. Er ist für ein Publicum be¬ rechnet, welches sich zunächst eine Uebersicht über den gesammten Gang der Litera¬ tur verschaffen will; die Darstellung ist daher nur skizzenhaft, namentlich für die neuere Zeit, und auch der eigentlich historische Apparat, den man von einem Lehrbuch wünscht, ist.vollständig weggefallen. Nach unsrer Ansicht hätte der Uebersetzer hier etwas nachhelfen sollen, er hätte biographische und literarische Notizen hinzufügen und da für die ausgezogenen Stellen, die im ganzen nicht sehr glücklich gewählt und nicht sehr charakteristisch sind, und die hier durck die hinzu¬ gefügte Uebersetzung uoch mehr Raum einnehmen, weglassen sollen. Der musterhafteste Theil des Werks ist der Anfang, die Geschichte deö Ursprungs und der Entwicklung der englischen Sprache. Es ist uns selten eine Monographie vorgekommen, die in einer so erstaunlichen Kürze doch die Haupt¬ phasen einer Sprachentwicklung wissenschaftlich correct und vollkommen durchsichtig zusammenstellte. Das größere P^nblicum, welches diesen Untersuchungen voll¬ kommen folgen kaun, wird daraus unter anderem die Ueberzeugung gewinnen, daß das Eindringen der lateinischen und französischen Sprachelemente keineswegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/276>, abgerufen am 29.06.2024.