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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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sind mit köstlichem Tannenwald bekleidet -- vor uns erhebt sich die alte Warte
Castelviel auf hoher Felswand, aber die Häupter des Gebirges waren von grau¬
weißen Dunstmassen verhüllt. Trotzdem versprach der Führer eine" heitern Tag
und die Pferde trabten lustig vorwärts: vorüber an dem hübschen, mit Buschwerk
und Blumenbeeten geschmückten Wachthause der Douaniers; vorüber an der Quelle
Ferruginense, um über den Port de la Padi in das Wiesenbecken von Cansor
einzudringen, das von der Pique bewässert, von Laubholz umschlossen, von zahl¬
reichen Herden belebt, ein hübsches Bild des Hirtenlebens gibt. Aber das kleine,
scbiefergedeckte Hans in der Mitte des Thales ist keine Sennerei. 'Während der
Sommermonate wird es freilich von einer Schäfercvlonie bewohnt, seine Hanpt-
bestimmnng ist -jedoch, dem von Stürmen und Schneewehen überraschten Wanderer
eine Zuflucht zu bieten. Wenn die Hirten beim Eintritt der rauhen Jahreszeit
das "Hospiz" verlassen, läßt die Gemeinde von Luchon Holz- und Heuvorräthe,
etwas Brot, Salz und Maismehl hinausschaffen. Wer den Schulz des Hauses
in Anspruch zu nehmen gezwungen ist, benutzt die gebotenen Hilfsmittel in be¬
scheidenster Weise, und'wer es vermag läßt einen Zehrpfennig zurück, als Beitrag
für künftige Wohlthaten.

Nach kurzer Rast überschreiten wir noch einmal die Pique, die in zahllosen
Cascaden niederstürzt. Unser Weg zieht 'sich über grüne Abhänge bis zum Fuße
des Rail-du-Lulet und nun nehmen wir Abschied von Bäumen, Gesträuch, Blumen
und Gräsern. In vielfachen Krümmungen windet sich der Pfad an beinahe senk¬
rechter Felswand empor; hier und da stürzt ein rauschendes Gewässer von, der
Höhe', um neben uns in unabsehbaren Tiefen zu verschwinden; hier und da
breitet sich, von überhängenden Felsen geschützt, eine Schneebank aas; hier und
da haben Erdfälle das Gestein zerrissen. -- In den Spalten gedeihen wol einige
Büschel wehenden Grases, oder es' hat wol gar eine verkrüppelte Fichte die
Wurzeln hineingeschlagen und hält im verzweiflungsvollen Kampfe mit Stürmen
und Wolkenbrüchen den Felsen umklammert; oder ein verfolgtes Jsard schießt an
fernen Felszacken zur Höhe; oder ein Adler erhebt sich in weiten Kreisen, um im
Nebelmeer über uus zu verschwinden und das wogt und wallt, schiebt sich über¬
einander, zerreißt hier und da, ballt sich zu Wolken zusammen und wird von
leichten Winden fortgetragen.

Mittlerweile erzählt der Führer haarsträubende Geschichten von Unglücks¬
fällen, die theils durch Unvorsichtigkeit, theils dnrch Erdfälle oder Schneestürme
verursacht wurden. Er erinnerte uns an das Sprichwort, das von diesen ge¬
fahrvollen Pässen' behauptet: le per<z n'^ "ttenä pas son Kls, et hus 1e
eilf n'^ Mann pas 8vn pörs, und zeigt uus ,,Is trou 6s8 cdimärormisrs,"
worin neun Kesselflicker, die ans Spanien heimkehrten, von einer Lawine ereilt
und getödtet wurden.

Während dieser Schauergeschichten klettern unsere Pferdchen unermüdlich


Grenzboten. II. '>8"i.

sind mit köstlichem Tannenwald bekleidet — vor uns erhebt sich die alte Warte
Castelviel auf hoher Felswand, aber die Häupter des Gebirges waren von grau¬
weißen Dunstmassen verhüllt. Trotzdem versprach der Führer eine» heitern Tag
und die Pferde trabten lustig vorwärts: vorüber an dem hübschen, mit Buschwerk
und Blumenbeeten geschmückten Wachthause der Douaniers; vorüber an der Quelle
Ferruginense, um über den Port de la Padi in das Wiesenbecken von Cansor
einzudringen, das von der Pique bewässert, von Laubholz umschlossen, von zahl¬
reichen Herden belebt, ein hübsches Bild des Hirtenlebens gibt. Aber das kleine,
scbiefergedeckte Hans in der Mitte des Thales ist keine Sennerei. 'Während der
Sommermonate wird es freilich von einer Schäfercvlonie bewohnt, seine Hanpt-
bestimmnng ist -jedoch, dem von Stürmen und Schneewehen überraschten Wanderer
eine Zuflucht zu bieten. Wenn die Hirten beim Eintritt der rauhen Jahreszeit
das „Hospiz" verlassen, läßt die Gemeinde von Luchon Holz- und Heuvorräthe,
etwas Brot, Salz und Maismehl hinausschaffen. Wer den Schulz des Hauses
in Anspruch zu nehmen gezwungen ist, benutzt die gebotenen Hilfsmittel in be¬
scheidenster Weise, und'wer es vermag läßt einen Zehrpfennig zurück, als Beitrag
für künftige Wohlthaten.

Nach kurzer Rast überschreiten wir noch einmal die Pique, die in zahllosen
Cascaden niederstürzt. Unser Weg zieht 'sich über grüne Abhänge bis zum Fuße
des Rail-du-Lulet und nun nehmen wir Abschied von Bäumen, Gesträuch, Blumen
und Gräsern. In vielfachen Krümmungen windet sich der Pfad an beinahe senk¬
rechter Felswand empor; hier und da stürzt ein rauschendes Gewässer von, der
Höhe', um neben uns in unabsehbaren Tiefen zu verschwinden; hier und da
breitet sich, von überhängenden Felsen geschützt, eine Schneebank aas; hier und
da haben Erdfälle das Gestein zerrissen. — In den Spalten gedeihen wol einige
Büschel wehenden Grases, oder es' hat wol gar eine verkrüppelte Fichte die
Wurzeln hineingeschlagen und hält im verzweiflungsvollen Kampfe mit Stürmen
und Wolkenbrüchen den Felsen umklammert; oder ein verfolgtes Jsard schießt an
fernen Felszacken zur Höhe; oder ein Adler erhebt sich in weiten Kreisen, um im
Nebelmeer über uus zu verschwinden und das wogt und wallt, schiebt sich über¬
einander, zerreißt hier und da, ballt sich zu Wolken zusammen und wird von
leichten Winden fortgetragen.

Mittlerweile erzählt der Führer haarsträubende Geschichten von Unglücks¬
fällen, die theils durch Unvorsichtigkeit, theils dnrch Erdfälle oder Schneestürme
verursacht wurden. Er erinnerte uns an das Sprichwort, das von diesen ge¬
fahrvollen Pässen' behauptet: le per<z n'^ »ttenä pas son Kls, et hus 1e
eilf n'^ Mann pas 8vn pörs, und zeigt uus ,,Is trou 6s8 cdimärormisrs,"
worin neun Kesselflicker, die ans Spanien heimkehrten, von einer Lawine ereilt
und getödtet wurden.

Während dieser Schauergeschichten klettern unsere Pferdchen unermüdlich


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[0193] sind mit köstlichem Tannenwald bekleidet — vor uns erhebt sich die alte Warte Castelviel auf hoher Felswand, aber die Häupter des Gebirges waren von grau¬ weißen Dunstmassen verhüllt. Trotzdem versprach der Führer eine» heitern Tag und die Pferde trabten lustig vorwärts: vorüber an dem hübschen, mit Buschwerk und Blumenbeeten geschmückten Wachthause der Douaniers; vorüber an der Quelle Ferruginense, um über den Port de la Padi in das Wiesenbecken von Cansor einzudringen, das von der Pique bewässert, von Laubholz umschlossen, von zahl¬ reichen Herden belebt, ein hübsches Bild des Hirtenlebens gibt. Aber das kleine, scbiefergedeckte Hans in der Mitte des Thales ist keine Sennerei. 'Während der Sommermonate wird es freilich von einer Schäfercvlonie bewohnt, seine Hanpt- bestimmnng ist -jedoch, dem von Stürmen und Schneewehen überraschten Wanderer eine Zuflucht zu bieten. Wenn die Hirten beim Eintritt der rauhen Jahreszeit das „Hospiz" verlassen, läßt die Gemeinde von Luchon Holz- und Heuvorräthe, etwas Brot, Salz und Maismehl hinausschaffen. Wer den Schulz des Hauses in Anspruch zu nehmen gezwungen ist, benutzt die gebotenen Hilfsmittel in be¬ scheidenster Weise, und'wer es vermag läßt einen Zehrpfennig zurück, als Beitrag für künftige Wohlthaten. Nach kurzer Rast überschreiten wir noch einmal die Pique, die in zahllosen Cascaden niederstürzt. Unser Weg zieht 'sich über grüne Abhänge bis zum Fuße des Rail-du-Lulet und nun nehmen wir Abschied von Bäumen, Gesträuch, Blumen und Gräsern. In vielfachen Krümmungen windet sich der Pfad an beinahe senk¬ rechter Felswand empor; hier und da stürzt ein rauschendes Gewässer von, der Höhe', um neben uns in unabsehbaren Tiefen zu verschwinden; hier und da breitet sich, von überhängenden Felsen geschützt, eine Schneebank aas; hier und da haben Erdfälle das Gestein zerrissen. — In den Spalten gedeihen wol einige Büschel wehenden Grases, oder es' hat wol gar eine verkrüppelte Fichte die Wurzeln hineingeschlagen und hält im verzweiflungsvollen Kampfe mit Stürmen und Wolkenbrüchen den Felsen umklammert; oder ein verfolgtes Jsard schießt an fernen Felszacken zur Höhe; oder ein Adler erhebt sich in weiten Kreisen, um im Nebelmeer über uus zu verschwinden und das wogt und wallt, schiebt sich über¬ einander, zerreißt hier und da, ballt sich zu Wolken zusammen und wird von leichten Winden fortgetragen. Mittlerweile erzählt der Führer haarsträubende Geschichten von Unglücks¬ fällen, die theils durch Unvorsichtigkeit, theils dnrch Erdfälle oder Schneestürme verursacht wurden. Er erinnerte uns an das Sprichwort, das von diesen ge¬ fahrvollen Pässen' behauptet: le per<z n'^ »ttenä pas son Kls, et hus 1e eilf n'^ Mann pas 8vn pörs, und zeigt uus ,,Is trou 6s8 cdimärormisrs," worin neun Kesselflicker, die ans Spanien heimkehrten, von einer Lawine ereilt und getödtet wurden. Während dieser Schauergeschichten klettern unsere Pferdchen unermüdlich Grenzboten. II. '>8»i.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/192>, abgerufen am 22.12.2024.