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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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aufwärts " ein Fehltritt der Thiere auf dem oft schlüpfrigen Gestein, und auch
wir hätten Stoff zu ähnlichen Erzählungen gegeben. Aber wir kennen die bewun¬
derungswürdige Sicherheit des Pyrenäen-Pferdes, überlassen uns vertrauensvoll
seinem Jnstinct, hören dem Winde zu, der in eigenthümlich langgezogenen Tönen
durch die Schluchten zieht und sehen einen Wolkenschleier nach dem andern vor
den Sonnenstrahlen sinken, bis nur noch einzelne Falten an den Hörnern und
Zacken des Gebirges hängen.

Inzwischen haben wir ein Becken erreicht, in welchem vier kleine Seen den
tiefblauen Himmel und die schroffaufsteigenden Felswände wiederspiegeln. Aus
dem klaren, ruhigen Wasser taucht hier und da eine Felseninsel aus, und das
kurze Gras, das die Buchten der Ufer bedeckt, schmückt hier und da ein Büschel
zarter Alpenblumen. Die drei obern Seen sind miteinander verbunden und
lassen ihre vereinigten Fluten der Pique zuströmen, wohin auch der vierte seine
Wasser sendet*). Tiefe Ruhe, traumhaftes Leben umfängt uns hier -- aber wir
dürfen nicht säumen! Der Führer klopft den Hals der schnaufender Thiere, spricht
ihnen Muth ein -- und als wollten sie das Lob des Herrn verdienen, klettern
die klugen Geschöpfe mit neuem Eifer !an der letzten, gewaltigsten Felsenstufe
empor, die uns für heute zu ersteigen bleibt.

In immer engeren Zickzack windet sich der Pfad zwischen zwei Felswänden
hinauf, die sich einander nach oben mehr und mehr zuneigen, bis sie ans der
Höhe des Kammes nur einen schmalen Paß oder Port zwischen sich lassen. --
Aber zwei Stunden laug habe" wir zu steigen, ehe wir zu diesem Port, der
Grenze zweier Königreiche gelangen. Ueber uns, unter uns, neben uus ist nichts,
als der nackte, von Orkanen erschütterte, von Wasserfluten zerissene, vom Blitzstrahl
zerschmetterte Stein, den kein Grashalm schmückt und keine Quelle, und der heute,
vou keiner Gefahr bedroht, selbst alles Leben zu bedrohen scheint. Nur das
lautere Sausen der Lüfte unterbricht das Tvdesschweigen der Bergwüste, oder
der häßliche Schrei des Raubvogels, der hoch über uns kreist.

Immer langsamer klimmen die Pferde vorwärts -- die Sonne steht schon
hoch, aber in der seinen Gebirgsluft ist es nur zu kühl -- zuweilen durchschauert
uns sogar ein Windzug mit Eiseskälte und endlich wird das Wehen und Wogen
der Atmosphäre so heftig, daß wir die faltigen Mäntel zusammenziehen und
nicht ohne Angst den letzten Windungen des Pfades folgen. -- Endlich ist das
eiserne Kreuz auf der Höhe des Ports erreicht -- der Führer spricht das übliche
Gebet; wir betreten das Felsenthor des Hasses und nach wenigen Schritten stehen
wir auf spanischem Boden.

Die großartigste Gebirgswüste liegt vor uns. Kuppen und Kegel, Mauern
und Hörner starren neben- und übereinander empor. -- Hier und da zieht sich



*) Diese Seen liegen nach Charpentiers Angabe 68S0 Fuß über der Meeresfläche.

aufwärts " ein Fehltritt der Thiere auf dem oft schlüpfrigen Gestein, und auch
wir hätten Stoff zu ähnlichen Erzählungen gegeben. Aber wir kennen die bewun¬
derungswürdige Sicherheit des Pyrenäen-Pferdes, überlassen uns vertrauensvoll
seinem Jnstinct, hören dem Winde zu, der in eigenthümlich langgezogenen Tönen
durch die Schluchten zieht und sehen einen Wolkenschleier nach dem andern vor
den Sonnenstrahlen sinken, bis nur noch einzelne Falten an den Hörnern und
Zacken des Gebirges hängen.

Inzwischen haben wir ein Becken erreicht, in welchem vier kleine Seen den
tiefblauen Himmel und die schroffaufsteigenden Felswände wiederspiegeln. Aus
dem klaren, ruhigen Wasser taucht hier und da eine Felseninsel aus, und das
kurze Gras, das die Buchten der Ufer bedeckt, schmückt hier und da ein Büschel
zarter Alpenblumen. Die drei obern Seen sind miteinander verbunden und
lassen ihre vereinigten Fluten der Pique zuströmen, wohin auch der vierte seine
Wasser sendet*). Tiefe Ruhe, traumhaftes Leben umfängt uns hier — aber wir
dürfen nicht säumen! Der Führer klopft den Hals der schnaufender Thiere, spricht
ihnen Muth ein — und als wollten sie das Lob des Herrn verdienen, klettern
die klugen Geschöpfe mit neuem Eifer !an der letzten, gewaltigsten Felsenstufe
empor, die uns für heute zu ersteigen bleibt.

In immer engeren Zickzack windet sich der Pfad zwischen zwei Felswänden
hinauf, die sich einander nach oben mehr und mehr zuneigen, bis sie ans der
Höhe des Kammes nur einen schmalen Paß oder Port zwischen sich lassen. —
Aber zwei Stunden laug habe» wir zu steigen, ehe wir zu diesem Port, der
Grenze zweier Königreiche gelangen. Ueber uns, unter uns, neben uus ist nichts,
als der nackte, von Orkanen erschütterte, von Wasserfluten zerissene, vom Blitzstrahl
zerschmetterte Stein, den kein Grashalm schmückt und keine Quelle, und der heute,
vou keiner Gefahr bedroht, selbst alles Leben zu bedrohen scheint. Nur das
lautere Sausen der Lüfte unterbricht das Tvdesschweigen der Bergwüste, oder
der häßliche Schrei des Raubvogels, der hoch über uns kreist.

Immer langsamer klimmen die Pferde vorwärts — die Sonne steht schon
hoch, aber in der seinen Gebirgsluft ist es nur zu kühl — zuweilen durchschauert
uns sogar ein Windzug mit Eiseskälte und endlich wird das Wehen und Wogen
der Atmosphäre so heftig, daß wir die faltigen Mäntel zusammenziehen und
nicht ohne Angst den letzten Windungen des Pfades folgen. — Endlich ist das
eiserne Kreuz auf der Höhe des Ports erreicht — der Führer spricht das übliche
Gebet; wir betreten das Felsenthor des Hasses und nach wenigen Schritten stehen
wir auf spanischem Boden.

Die großartigste Gebirgswüste liegt vor uns. Kuppen und Kegel, Mauern
und Hörner starren neben- und übereinander empor. — Hier und da zieht sich



*) Diese Seen liegen nach Charpentiers Angabe 68S0 Fuß über der Meeresfläche.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/193>, abgerufen am 22.12.2024.