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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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So tief verletzend eine solche Auffassung für das sittliche Gefühl sein muß, so na¬
türlich ergab sie sich aus der unreifen Natur unserer Zustände. Mit Ausnahme
von Oestreich und Preußen, die beides doch auch erst werdende Staaten sind,
hat man in ganz Deutschland von dem, was eigentlich Staat heißt, noch gar
keinen Begriff trotz aller Konstitutionen und Ständeversammlungen.

Wenn nun die Herzogtümer Schleswig und Holstein ans der einen Seite
durch ihre Verknüpfung mit einer fremden Monarchie in eine noch unsittlichere
Lage kamen, als die übrigen deutschen Staaten, so hatten sie wenigstens den
Vorzug, daß sie in' volksthümlicher Beziehung ein wirkliches Ganze repräsentirten.
Die rechtliche Form der Auseinandersetzung gaben freilich mich hier wie überall
die Erbverhältnisse der Familie her, allein der Inhalt derselben war ein in der
Natur der Sache gegründeter und wird als solcher allen Winkelzügen der Di¬
plomatie widerstehen. Daß man seit dem Jahr I8i6 in Bezug aus die Even¬
tualität eines Auslöschens des regierenden Manncsstamms in Dänemark das dy'
nastische Familienrecht in den Vordergrund schob, war ganz in der Ordnung;
allein nur durch die innere Nothwendigkeit der Verhältnisse konnte es sich geltend
macheu. Der vorläufige Austrag der Sache ist nicht nach dem Recht, sondern
nach der Convenienz entschieden. Die europäischen Machthaber fanden eine
Trennung der dänischen Gesammtmonarchie gegen das Interesse des europäischen
Gleichgewichts, d. h. sie fanden es gegen ihr eignes Interesse, daß sich eine
deutsche Seemacht bildete, n"d darum haben sie ganz willkürlich eine neue Erb¬
folgeordnung festgesetzt. Mittlerweile haben M) aber die Konstellationen der
höher" Politik geändert, man ist endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die
Interessen Europas mit den Interessen Rußlands nicht durchaus übereinstimmen,
man wird allmälig zu der Einsicht kommen, daß die Aufrechterhaltung der däni¬
schen Gesammtmonarchie einzig und allein im Interesse Rußlands liegt, und so
wird denn eine Revision des Londoner Protokolls, wenn Deutschland überhaupt
den gegenwärtigen Sturm übersteht, sich als nothwendig herausstellen. Die Land¬
schaft selbst ist trotz der abscheulichen Bedrückungen, denen sie in den letzten
Zeiten ausgesetzt war, in ihrer Integrität geblieben; sie W ihre innere Kraft
und ihre Gesinnung bewahrt, und wenn sie auch im gegenwärtigen Augenblick
von einem sehr begreiflichen und gerechten Haß gegen den Staat, der sie ver¬
rathen hat, erfüllt ist, so wird sie doch immer wieder ^n der Ueberzeugung zurück¬
kehren müssen, daß ihre staatliche Zukunft nur in der Verbindung mit diesem Staate
liegen kaun. . ,

Es sind nur namentlich die großen Ereignisse der Gegenwart, die unsere
Aufmerksamkeit auf diesen Punkt hingewendet haben. Das ganz unerhörte Factum,
daß eine kleine Landschaft einen folgenschweren Krieg mit der heldenmütigsten
Ausdauer, mit einer Reihe der edelsten Aufopferungen geführt hat, verrieth eine
innere Kraft und eine Lebensfähigkeit dieses Volksstammes, die unmöglich mit


So tief verletzend eine solche Auffassung für das sittliche Gefühl sein muß, so na¬
türlich ergab sie sich aus der unreifen Natur unserer Zustände. Mit Ausnahme
von Oestreich und Preußen, die beides doch auch erst werdende Staaten sind,
hat man in ganz Deutschland von dem, was eigentlich Staat heißt, noch gar
keinen Begriff trotz aller Konstitutionen und Ständeversammlungen.

Wenn nun die Herzogtümer Schleswig und Holstein ans der einen Seite
durch ihre Verknüpfung mit einer fremden Monarchie in eine noch unsittlichere
Lage kamen, als die übrigen deutschen Staaten, so hatten sie wenigstens den
Vorzug, daß sie in' volksthümlicher Beziehung ein wirkliches Ganze repräsentirten.
Die rechtliche Form der Auseinandersetzung gaben freilich mich hier wie überall
die Erbverhältnisse der Familie her, allein der Inhalt derselben war ein in der
Natur der Sache gegründeter und wird als solcher allen Winkelzügen der Di¬
plomatie widerstehen. Daß man seit dem Jahr I8i6 in Bezug aus die Even¬
tualität eines Auslöschens des regierenden Manncsstamms in Dänemark das dy'
nastische Familienrecht in den Vordergrund schob, war ganz in der Ordnung;
allein nur durch die innere Nothwendigkeit der Verhältnisse konnte es sich geltend
macheu. Der vorläufige Austrag der Sache ist nicht nach dem Recht, sondern
nach der Convenienz entschieden. Die europäischen Machthaber fanden eine
Trennung der dänischen Gesammtmonarchie gegen das Interesse des europäischen
Gleichgewichts, d. h. sie fanden es gegen ihr eignes Interesse, daß sich eine
deutsche Seemacht bildete, n»d darum haben sie ganz willkürlich eine neue Erb¬
folgeordnung festgesetzt. Mittlerweile haben M) aber die Konstellationen der
höher» Politik geändert, man ist endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die
Interessen Europas mit den Interessen Rußlands nicht durchaus übereinstimmen,
man wird allmälig zu der Einsicht kommen, daß die Aufrechterhaltung der däni¬
schen Gesammtmonarchie einzig und allein im Interesse Rußlands liegt, und so
wird denn eine Revision des Londoner Protokolls, wenn Deutschland überhaupt
den gegenwärtigen Sturm übersteht, sich als nothwendig herausstellen. Die Land¬
schaft selbst ist trotz der abscheulichen Bedrückungen, denen sie in den letzten
Zeiten ausgesetzt war, in ihrer Integrität geblieben; sie W ihre innere Kraft
und ihre Gesinnung bewahrt, und wenn sie auch im gegenwärtigen Augenblick
von einem sehr begreiflichen und gerechten Haß gegen den Staat, der sie ver¬
rathen hat, erfüllt ist, so wird sie doch immer wieder ^n der Ueberzeugung zurück¬
kehren müssen, daß ihre staatliche Zukunft nur in der Verbindung mit diesem Staate
liegen kaun. . ,

Es sind nur namentlich die großen Ereignisse der Gegenwart, die unsere
Aufmerksamkeit auf diesen Punkt hingewendet haben. Das ganz unerhörte Factum,
daß eine kleine Landschaft einen folgenschweren Krieg mit der heldenmütigsten
Ausdauer, mit einer Reihe der edelsten Aufopferungen geführt hat, verrieth eine
innere Kraft und eine Lebensfähigkeit dieses Volksstammes, die unmöglich mit


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[0176] So tief verletzend eine solche Auffassung für das sittliche Gefühl sein muß, so na¬ türlich ergab sie sich aus der unreifen Natur unserer Zustände. Mit Ausnahme von Oestreich und Preußen, die beides doch auch erst werdende Staaten sind, hat man in ganz Deutschland von dem, was eigentlich Staat heißt, noch gar keinen Begriff trotz aller Konstitutionen und Ständeversammlungen. Wenn nun die Herzogtümer Schleswig und Holstein ans der einen Seite durch ihre Verknüpfung mit einer fremden Monarchie in eine noch unsittlichere Lage kamen, als die übrigen deutschen Staaten, so hatten sie wenigstens den Vorzug, daß sie in' volksthümlicher Beziehung ein wirkliches Ganze repräsentirten. Die rechtliche Form der Auseinandersetzung gaben freilich mich hier wie überall die Erbverhältnisse der Familie her, allein der Inhalt derselben war ein in der Natur der Sache gegründeter und wird als solcher allen Winkelzügen der Di¬ plomatie widerstehen. Daß man seit dem Jahr I8i6 in Bezug aus die Even¬ tualität eines Auslöschens des regierenden Manncsstamms in Dänemark das dy' nastische Familienrecht in den Vordergrund schob, war ganz in der Ordnung; allein nur durch die innere Nothwendigkeit der Verhältnisse konnte es sich geltend macheu. Der vorläufige Austrag der Sache ist nicht nach dem Recht, sondern nach der Convenienz entschieden. Die europäischen Machthaber fanden eine Trennung der dänischen Gesammtmonarchie gegen das Interesse des europäischen Gleichgewichts, d. h. sie fanden es gegen ihr eignes Interesse, daß sich eine deutsche Seemacht bildete, n»d darum haben sie ganz willkürlich eine neue Erb¬ folgeordnung festgesetzt. Mittlerweile haben M) aber die Konstellationen der höher» Politik geändert, man ist endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Interessen Europas mit den Interessen Rußlands nicht durchaus übereinstimmen, man wird allmälig zu der Einsicht kommen, daß die Aufrechterhaltung der däni¬ schen Gesammtmonarchie einzig und allein im Interesse Rußlands liegt, und so wird denn eine Revision des Londoner Protokolls, wenn Deutschland überhaupt den gegenwärtigen Sturm übersteht, sich als nothwendig herausstellen. Die Land¬ schaft selbst ist trotz der abscheulichen Bedrückungen, denen sie in den letzten Zeiten ausgesetzt war, in ihrer Integrität geblieben; sie W ihre innere Kraft und ihre Gesinnung bewahrt, und wenn sie auch im gegenwärtigen Augenblick von einem sehr begreiflichen und gerechten Haß gegen den Staat, der sie ver¬ rathen hat, erfüllt ist, so wird sie doch immer wieder ^n der Ueberzeugung zurück¬ kehren müssen, daß ihre staatliche Zukunft nur in der Verbindung mit diesem Staate liegen kaun. . , Es sind nur namentlich die großen Ereignisse der Gegenwart, die unsere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt hingewendet haben. Das ganz unerhörte Factum, daß eine kleine Landschaft einen folgenschweren Krieg mit der heldenmütigsten Ausdauer, mit einer Reihe der edelsten Aufopferungen geführt hat, verrieth eine innere Kraft und eine Lebensfähigkeit dieses Volksstammes, die unmöglich mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/175>, abgerufen am 29.06.2024.