Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Schleswig-Holsteins Geschichte in drei Büchern, von Georg Waitz. Göt- tingen, Dieterich. 2. Band. -- Die eigenthümliche politische Zerspaltung unseres Vaterlandes macht eS sehr Der gewöhnlichen Behauptung, daß die politische Zerspaltung Deutschlands Schleswig-Holsteins Geschichte in drei Büchern, von Georg Waitz. Göt- tingen, Dieterich. 2. Band. — Die eigenthümliche politische Zerspaltung unseres Vaterlandes macht eS sehr Der gewöhnlichen Behauptung, daß die politische Zerspaltung Deutschlands <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97955"/> </div> <div n="2"> <head> Schleswig-Holsteins Geschichte in drei Büchern, von Georg Waitz. Göt-<lb/> tingen, Dieterich. 2. Band. —</head><lb/> <p xml:id="ID_550"> Die eigenthümliche politische Zerspaltung unseres Vaterlandes macht eS sehr<lb/> begreiflich, daß grade für den gründlichern Geschichtforscher auf dem Felde der<lb/> Provinzialgeschichte mehr Ausbeute gefunden wird , als in der allgemeinen Politik.<lb/> Wir besitzen bereits von den meisten Gegenden unseres Vaterlandes vortrefflich<lb/> geschriebene Monographien, die verbunden mit den immer weiter ausgedehnten<lb/> Quellen- und Urknndensammlungeu dem Geschichtschreiber der Zukunft ein sehr<lb/> umfangreiches und iustructtves Material geben werden. Allein-schon die Behand¬<lb/> lung der Provinzialgeschichte erfordert bei den unzähligen Verzweigungen des<lb/> rechtlichen und sittlichen Lebens, die mit der größten Behutsamkeit aufgesucht und<lb/> erhalten werden müssen, wenn nicht aus dem abgelösten Theile des Organismus<lb/> das Leben entweichen soll, eine tiefe und gelehrte Kenntniß deö allgemeinen<lb/> Rechts- und Staatslebens. Wer diese auf eine so glänzende Weise bewährt hat,<lb/> wie, Herr Waitz in seiner deutschen Rechtsgeschichte, gibt von vornherein die<lb/> Bürgschaft, daß auch in seiner Svnderarbeit die allgemeinen Gesichtspunkte überall<lb/> ihre angemessene Stätte finden werden. Das Werk, dem dieser ausgezeichnete<lb/> Geschichtsforscher gegenwärtig seine Kräfte gewidmet hat, schreitet laugsam vor¬<lb/> wärts. Der erste Band erschien die erste Hälfte des 2. Bandes 1832,<lb/> und da die soeben herausgegebene zweite Hälfte erst bis zum westphälischen<lb/> Frieden geht, so läßt sich eine immer weitere Ausdehnung des Materials mit<lb/> ziemlicher Gewißheit voraussehen. Allein dadurch erlangen wir dann auch eine<lb/> classische Darstellung von der historischen Entwicklung einer Landschaft, in der<lb/> die Frage, ob überhaupt einmal von einem deutsche» Staate die Rede sein wird,<lb/> zur Entscheidung kommen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Der gewöhnlichen Behauptung, daß die politische Zerspaltung Deutschlands<lb/> ans der natürlichen Sonderung der deutschen Volksstämme beruht, widerspricht<lb/> der einfache Blick aus die Karte. Nicht die Volksstämme sind es, die unsere<lb/> kleinen Staaten hervorgebracht haben, sondern die dynastischen Familien. Ans<lb/> das bunteste sind unsere Volksstämme durcheinandergeworfen und die natürliche»<lb/> Grenzen der Läiidcr verwirrt, blos weil sich bei uns kein Staatslcbe» im höhere»<lb/> Siale entwickelt, weil die privatrechtliche» Verhältnisse sich an die Stelle der<lb/> staatlichen drängte». Der Begriff von der Souveränetät der Fürsten, wie c>r sich<lb/> in Deutschland herausgestallct hat, ist von der allersonderbarsten Art. In andern<lb/> Ländern handelt es sich zwar auch um Erweiterung oder Verminderung des Reichs,<lb/> aber es fällt doch niemand ein, die nationale Substanz von dem Souverän zu<lb/> trennen. Bei uns aber hat man die Begriffe von Privatbesitz vollständig auf<lb/> den Länderbesitz übertragen, man hat die Fürsten als große Besitzer betrachtet<lb/> und ihre Länder als einen großen Komplex von Herrschaften, den ma» beliebig<lb/> vertauschen könne, wen» nur der Werth und der Ertrag immer derselbe blieb.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Schleswig-Holsteins Geschichte in drei Büchern, von Georg Waitz. Göt-
tingen, Dieterich. 2. Band. —
Die eigenthümliche politische Zerspaltung unseres Vaterlandes macht eS sehr
begreiflich, daß grade für den gründlichern Geschichtforscher auf dem Felde der
Provinzialgeschichte mehr Ausbeute gefunden wird , als in der allgemeinen Politik.
Wir besitzen bereits von den meisten Gegenden unseres Vaterlandes vortrefflich
geschriebene Monographien, die verbunden mit den immer weiter ausgedehnten
Quellen- und Urknndensammlungeu dem Geschichtschreiber der Zukunft ein sehr
umfangreiches und iustructtves Material geben werden. Allein-schon die Behand¬
lung der Provinzialgeschichte erfordert bei den unzähligen Verzweigungen des
rechtlichen und sittlichen Lebens, die mit der größten Behutsamkeit aufgesucht und
erhalten werden müssen, wenn nicht aus dem abgelösten Theile des Organismus
das Leben entweichen soll, eine tiefe und gelehrte Kenntniß deö allgemeinen
Rechts- und Staatslebens. Wer diese auf eine so glänzende Weise bewährt hat,
wie, Herr Waitz in seiner deutschen Rechtsgeschichte, gibt von vornherein die
Bürgschaft, daß auch in seiner Svnderarbeit die allgemeinen Gesichtspunkte überall
ihre angemessene Stätte finden werden. Das Werk, dem dieser ausgezeichnete
Geschichtsforscher gegenwärtig seine Kräfte gewidmet hat, schreitet laugsam vor¬
wärts. Der erste Band erschien die erste Hälfte des 2. Bandes 1832,
und da die soeben herausgegebene zweite Hälfte erst bis zum westphälischen
Frieden geht, so läßt sich eine immer weitere Ausdehnung des Materials mit
ziemlicher Gewißheit voraussehen. Allein dadurch erlangen wir dann auch eine
classische Darstellung von der historischen Entwicklung einer Landschaft, in der
die Frage, ob überhaupt einmal von einem deutsche» Staate die Rede sein wird,
zur Entscheidung kommen muß.
Der gewöhnlichen Behauptung, daß die politische Zerspaltung Deutschlands
ans der natürlichen Sonderung der deutschen Volksstämme beruht, widerspricht
der einfache Blick aus die Karte. Nicht die Volksstämme sind es, die unsere
kleinen Staaten hervorgebracht haben, sondern die dynastischen Familien. Ans
das bunteste sind unsere Volksstämme durcheinandergeworfen und die natürliche»
Grenzen der Läiidcr verwirrt, blos weil sich bei uns kein Staatslcbe» im höhere»
Siale entwickelt, weil die privatrechtliche» Verhältnisse sich an die Stelle der
staatlichen drängte». Der Begriff von der Souveränetät der Fürsten, wie c>r sich
in Deutschland herausgestallct hat, ist von der allersonderbarsten Art. In andern
Ländern handelt es sich zwar auch um Erweiterung oder Verminderung des Reichs,
aber es fällt doch niemand ein, die nationale Substanz von dem Souverän zu
trennen. Bei uns aber hat man die Begriffe von Privatbesitz vollständig auf
den Länderbesitz übertragen, man hat die Fürsten als große Besitzer betrachtet
und ihre Länder als einen großen Komplex von Herrschaften, den ma» beliebig
vertauschen könne, wen» nur der Werth und der Ertrag immer derselbe blieb.
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