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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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verwenden geschickt ist, führen nothwendig zur Manier, die deshalb allein eine
Zeitlang täuschen und blenden kann, weil sie den Fehlern und Schwächen ihrer
Zeit entgegenkommt.




Die Predigte", des Cardinals Wisemann in Rom.

-- An den vier Adventsonntagen hat Cardinal
Wiseman in Andrea della Fratte englisch gepredigt, in einer kleinen Kirche, die
nichts Merkwürdiges enthält, als höchstens die Denkmäler Georg Zoegas und
der Angelika Kaufmann. Seine Predigten begannen um vier Uhr und dauerten
etwa eine Stunde. Die Kirche war immer schon eine Viertelstunde vor dem
Anfang gefüllt; zur einen Hä/ste bestand die Zuhörerschaft aus den Alumnen bei:
englischen, schottischen, irischen Kollegien'und der Propaganda (in der auch die
Amerikaner sind), zur andern aus englischen und irischen Familien, worunter sehr
viele Katholiken. Diese bildeten ein glänzendes und elegantes Auditorium, zum
größern Theil waren es Frauen. Das Aussehen des Cardinals habe ich bereits
als nicht einnehmend beschrieben, man könnte ihn für einen englischen Bauer
halten, der in die Cardinalstracht gesteckt ist, wenn sein Gesicht nicht beim Spre¬
chen einen geistvollen Ausdruck gewönne. Das Englische spricht er erstaunlich
breit. Doch seine Predigten fielen nicht nur ganz gegen, sondern auch über meine
Erwartung aus. Jenes, insofern sie im sanftesten Ton der Versöhnung gehalten
waren; wenn hin und wieder ein Wort gegen den Protestantismus fiel, ward es
mit dem Ausdruck der Trauer, nie mit dem der Feindseligkeit oder des Hasses
gesprochen, und bei weitem das stärkste, das er sagte, war, daß in den letzten
Jahren Tausende von, Protestanten sich in den Schooß der Kirche hiuübergerettet
hätten, wie man sich von einem Wrack (a seatlörsä vsssel) rettet. Ueberhaupt
war der, Takt zu bewundern, mit dem er alles vermied, was Andersdenkende ver¬
letzen konnte: seine Angriffe gegen den Protestantismus waren nie direct, sondern
ergaben sich immer nur aus preisender Schilderungen der entgegengesetzten Zu¬
stände und Einrichtungen im Katholicismus. In der letzten Predigt wandte er
sich mit großer Demuth an die Gegner seiner Kirche, die freilich dem Unbefan¬
genen Angesichts der Ereignisse um so affectirter erscheinen mußte, doch auf diese
Zuhörer sichtlich ihre Wirkung nicht verfehlte. -Nie unterließ er, dem britischen
Nationalgefühl durch irgend ein geschickt angebrachtes und lebhaft ausgesproche-



Unser Korrespondent, Preuße und Protestant, gibt in dem Folgenden mit so großer '
journalistischer Pflichttreue eine Skizze dieser vielbesprochenen Predigten des berühmten Kan-
zelredncrs, daß wir durch deren sofortige Mittheilung in den Stand gesetzt sind, diesmal
etwas zu erlangen, wornach zu werben uns sonst nicht vergönnt ist, den Beifall aller Heiligen
auf diesem sündigen Erdball. '
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verwenden geschickt ist, führen nothwendig zur Manier, die deshalb allein eine
Zeitlang täuschen und blenden kann, weil sie den Fehlern und Schwächen ihrer
Zeit entgegenkommt.




Die Predigte», des Cardinals Wisemann in Rom.

— An den vier Adventsonntagen hat Cardinal
Wiseman in Andrea della Fratte englisch gepredigt, in einer kleinen Kirche, die
nichts Merkwürdiges enthält, als höchstens die Denkmäler Georg Zoegas und
der Angelika Kaufmann. Seine Predigten begannen um vier Uhr und dauerten
etwa eine Stunde. Die Kirche war immer schon eine Viertelstunde vor dem
Anfang gefüllt; zur einen Hä/ste bestand die Zuhörerschaft aus den Alumnen bei:
englischen, schottischen, irischen Kollegien'und der Propaganda (in der auch die
Amerikaner sind), zur andern aus englischen und irischen Familien, worunter sehr
viele Katholiken. Diese bildeten ein glänzendes und elegantes Auditorium, zum
größern Theil waren es Frauen. Das Aussehen des Cardinals habe ich bereits
als nicht einnehmend beschrieben, man könnte ihn für einen englischen Bauer
halten, der in die Cardinalstracht gesteckt ist, wenn sein Gesicht nicht beim Spre¬
chen einen geistvollen Ausdruck gewönne. Das Englische spricht er erstaunlich
breit. Doch seine Predigten fielen nicht nur ganz gegen, sondern auch über meine
Erwartung aus. Jenes, insofern sie im sanftesten Ton der Versöhnung gehalten
waren; wenn hin und wieder ein Wort gegen den Protestantismus fiel, ward es
mit dem Ausdruck der Trauer, nie mit dem der Feindseligkeit oder des Hasses
gesprochen, und bei weitem das stärkste, das er sagte, war, daß in den letzten
Jahren Tausende von, Protestanten sich in den Schooß der Kirche hiuübergerettet
hätten, wie man sich von einem Wrack (a seatlörsä vsssel) rettet. Ueberhaupt
war der, Takt zu bewundern, mit dem er alles vermied, was Andersdenkende ver¬
letzen konnte: seine Angriffe gegen den Protestantismus waren nie direct, sondern
ergaben sich immer nur aus preisender Schilderungen der entgegengesetzten Zu¬
stände und Einrichtungen im Katholicismus. In der letzten Predigt wandte er
sich mit großer Demuth an die Gegner seiner Kirche, die freilich dem Unbefan¬
genen Angesichts der Ereignisse um so affectirter erscheinen mußte, doch auf diese
Zuhörer sichtlich ihre Wirkung nicht verfehlte. -Nie unterließ er, dem britischen
Nationalgefühl durch irgend ein geschickt angebrachtes und lebhaft ausgesproche-



Unser Korrespondent, Preuße und Protestant, gibt in dem Folgenden mit so großer '
journalistischer Pflichttreue eine Skizze dieser vielbesprochenen Predigten des berühmten Kan-
zelredncrs, daß wir durch deren sofortige Mittheilung in den Stand gesetzt sind, diesmal
etwas zu erlangen, wornach zu werben uns sonst nicht vergönnt ist, den Beifall aller Heiligen
auf diesem sündigen Erdball. '
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[0147] verwenden geschickt ist, führen nothwendig zur Manier, die deshalb allein eine Zeitlang täuschen und blenden kann, weil sie den Fehlern und Schwächen ihrer Zeit entgegenkommt. Die Predigte», des Cardinals Wisemann in Rom. — An den vier Adventsonntagen hat Cardinal Wiseman in Andrea della Fratte englisch gepredigt, in einer kleinen Kirche, die nichts Merkwürdiges enthält, als höchstens die Denkmäler Georg Zoegas und der Angelika Kaufmann. Seine Predigten begannen um vier Uhr und dauerten etwa eine Stunde. Die Kirche war immer schon eine Viertelstunde vor dem Anfang gefüllt; zur einen Hä/ste bestand die Zuhörerschaft aus den Alumnen bei: englischen, schottischen, irischen Kollegien'und der Propaganda (in der auch die Amerikaner sind), zur andern aus englischen und irischen Familien, worunter sehr viele Katholiken. Diese bildeten ein glänzendes und elegantes Auditorium, zum größern Theil waren es Frauen. Das Aussehen des Cardinals habe ich bereits als nicht einnehmend beschrieben, man könnte ihn für einen englischen Bauer halten, der in die Cardinalstracht gesteckt ist, wenn sein Gesicht nicht beim Spre¬ chen einen geistvollen Ausdruck gewönne. Das Englische spricht er erstaunlich breit. Doch seine Predigten fielen nicht nur ganz gegen, sondern auch über meine Erwartung aus. Jenes, insofern sie im sanftesten Ton der Versöhnung gehalten waren; wenn hin und wieder ein Wort gegen den Protestantismus fiel, ward es mit dem Ausdruck der Trauer, nie mit dem der Feindseligkeit oder des Hasses gesprochen, und bei weitem das stärkste, das er sagte, war, daß in den letzten Jahren Tausende von, Protestanten sich in den Schooß der Kirche hiuübergerettet hätten, wie man sich von einem Wrack (a seatlörsä vsssel) rettet. Ueberhaupt war der, Takt zu bewundern, mit dem er alles vermied, was Andersdenkende ver¬ letzen konnte: seine Angriffe gegen den Protestantismus waren nie direct, sondern ergaben sich immer nur aus preisender Schilderungen der entgegengesetzten Zu¬ stände und Einrichtungen im Katholicismus. In der letzten Predigt wandte er sich mit großer Demuth an die Gegner seiner Kirche, die freilich dem Unbefan¬ genen Angesichts der Ereignisse um so affectirter erscheinen mußte, doch auf diese Zuhörer sichtlich ihre Wirkung nicht verfehlte. -Nie unterließ er, dem britischen Nationalgefühl durch irgend ein geschickt angebrachtes und lebhaft ausgesproche- Unser Korrespondent, Preuße und Protestant, gibt in dem Folgenden mit so großer ' journalistischer Pflichttreue eine Skizze dieser vielbesprochenen Predigten des berühmten Kan- zelredncrs, daß wir durch deren sofortige Mittheilung in den Stand gesetzt sind, diesmal etwas zu erlangen, wornach zu werben uns sonst nicht vergönnt ist, den Beifall aller Heiligen auf diesem sündigen Erdball. ' 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/147>, abgerufen am 22.07.2024.