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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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brennend, und wenn nicht ein leichter Sturm aus Süd dann und wann sein
Brausen vernehmen ließ und Fenster und Thüren zittern machte, könnte man
sich in den Monat Mai versetzt glauben.




Reschid und Maki Pascha

Wer auch nur oberflächlich mit den innern politischen Zuständen des
osmanischen Reiches vertraut ist, wird den Gegensatz kennen, welcher in den
beiden dem Sultan so nahe stehenden Persönlichkeiten Reschid Paschas und
Mehemed Alis, des frühern Kriegsministers und Großveziers, dessen Sturz
vom 28. Januar d. I. datirt, ausgesprochen ist. Sie sind die Vertreter nicht
sowol zweier Parteien, denn man kennt in diesem Lande nichts, was dem
Begriff unsres Factionswesens gleichkäme, als vielmehr zweier, in den Köpfen
der Massen lebendigen Principien. Der eine, Reschid, ist der ältere, stand un¬
gleich öfter wie sein Nebenbuhler in vorderster Reihe, war viele Jahre hin¬
durch saber Asam oder Großvezier und gilt für den türkischen Reformer par
ercellence. Mehemed Aali Pascha dagegen ist Haupt der Alttürken, der An¬
hänger des Hergebrachten und in heutigen Tagen ist dies mit Christenseind
und Fremdenhasser einerlei.

Wer ist aber Aali Pascha, der in der Ueberschrift dieses Aussatzes neben
Reschid hingestellt ist? Welcher Partei gehört er an? oder vielmehr, zu wel¬
chem von den beiden erwähnten Principien, dem des Alten oder Neuen, be¬
kennt er sich? Ist er Reformer oder Altgläubiger?

Die Antwort darauf ist nicht jedermann jetzt so geläufig, als sie es frü¬
her für die Leser der orientalischen Zeitungsartikel gewesen sein mag. Jeder
Tag, den ein Staatsmann zweiten Ranges in dritter und vierter Linie oder
außer Amt zubringt, läßt den Kreis seines Bekanntseins enger werden, und
wenn er auf längere Zeit den großen Geschäften entzogen bleibt, wird er end¬
lich zu einer völlig obscurer Person. Beinahe kann man sagen, daß es Aali
Pascha so ergangen sei. Der Mann, welcher so lange Zeit hindurch dem Gro߬
vezier Reschid zuerst als Mustaschar (Minister deö Innern) und dann als
Kharadschijie Naserl (Minister des Aeußern) zur Seite gestanden und in diesen
beiden Eigenschaften eine Hauptstütze deö Reformcabinets gewesen, wird im
Auslande und selbst in der Frankenstadt Pera kaum noch gekannt. Aber desto
verbreiteter ist sein Name unter den Türken selbst, soweit dieselben Antheil ein
der Politik nehmen, und dazu kann man kaum andere als die Bewohner von
Stambul und die beiden Korporationen der höhern weltlichen und geistlichen
Beamten rechnen. Der echte alte Muselmann haßt Aali Pascha als den Hel-


brennend, und wenn nicht ein leichter Sturm aus Süd dann und wann sein
Brausen vernehmen ließ und Fenster und Thüren zittern machte, könnte man
sich in den Monat Mai versetzt glauben.




Reschid und Maki Pascha

Wer auch nur oberflächlich mit den innern politischen Zuständen des
osmanischen Reiches vertraut ist, wird den Gegensatz kennen, welcher in den
beiden dem Sultan so nahe stehenden Persönlichkeiten Reschid Paschas und
Mehemed Alis, des frühern Kriegsministers und Großveziers, dessen Sturz
vom 28. Januar d. I. datirt, ausgesprochen ist. Sie sind die Vertreter nicht
sowol zweier Parteien, denn man kennt in diesem Lande nichts, was dem
Begriff unsres Factionswesens gleichkäme, als vielmehr zweier, in den Köpfen
der Massen lebendigen Principien. Der eine, Reschid, ist der ältere, stand un¬
gleich öfter wie sein Nebenbuhler in vorderster Reihe, war viele Jahre hin¬
durch saber Asam oder Großvezier und gilt für den türkischen Reformer par
ercellence. Mehemed Aali Pascha dagegen ist Haupt der Alttürken, der An¬
hänger des Hergebrachten und in heutigen Tagen ist dies mit Christenseind
und Fremdenhasser einerlei.

Wer ist aber Aali Pascha, der in der Ueberschrift dieses Aussatzes neben
Reschid hingestellt ist? Welcher Partei gehört er an? oder vielmehr, zu wel¬
chem von den beiden erwähnten Principien, dem des Alten oder Neuen, be¬
kennt er sich? Ist er Reformer oder Altgläubiger?

Die Antwort darauf ist nicht jedermann jetzt so geläufig, als sie es frü¬
her für die Leser der orientalischen Zeitungsartikel gewesen sein mag. Jeder
Tag, den ein Staatsmann zweiten Ranges in dritter und vierter Linie oder
außer Amt zubringt, läßt den Kreis seines Bekanntseins enger werden, und
wenn er auf längere Zeit den großen Geschäften entzogen bleibt, wird er end¬
lich zu einer völlig obscurer Person. Beinahe kann man sagen, daß es Aali
Pascha so ergangen sei. Der Mann, welcher so lange Zeit hindurch dem Gro߬
vezier Reschid zuerst als Mustaschar (Minister deö Innern) und dann als
Kharadschijie Naserl (Minister des Aeußern) zur Seite gestanden und in diesen
beiden Eigenschaften eine Hauptstütze deö Reformcabinets gewesen, wird im
Auslande und selbst in der Frankenstadt Pera kaum noch gekannt. Aber desto
verbreiteter ist sein Name unter den Türken selbst, soweit dieselben Antheil ein
der Politik nehmen, und dazu kann man kaum andere als die Bewohner von
Stambul und die beiden Korporationen der höhern weltlichen und geistlichen
Beamten rechnen. Der echte alte Muselmann haßt Aali Pascha als den Hel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/469>, abgerufen am 22.07.2024.