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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Briefe aus Konstantinopel

Was ich Ihnen heute zu berichten habe, ist wenig mehr, als daß alles
beim Alten steht, daß es in der Krim im allgemeinen nicht gut steht, dagegen
auch noch lange nicht so übel, als man gemeinhin meint. Wenn es darauf
ankommen sollte, die Position zwischen Jnkerman und Balaklava gegen die
Russen den Winter hindurch zu behaupten und während dessen Sebastopol
eingeschlossen zu halten, so würde diese Aufgabe von den alliirten Streitkräf¬
ten auch mit ihrem gegenwärtigen Bestände gelöst werden können; es wäre
dies eine Defensive, die kein weiteres Resultat zuwegebringen würde, als
der Welt zu beweisen, daß Rußland nicht im Stande ist, siebzigtausend anglo-
sranzösische Truppen von einem Punkt seines Gestades und von den Kanonen
seiner größten Festung zu verdrängen -- auch nicht mit Aufwendung eines
ganzen Drittheils seiner disponiblen Streitmacht.

Seit dem -17. d. Mes. gehen indessen ziemlich massenhafte Verstärkungen,
sowol englische wie französische, hier durch nach der Krim und kaum ein Tag
vergeht, wo nicht mehre mit Truppen befrachtete Dampfschiffe anlangen, um
am andern Morgen ihre Reise nach Balaklava weiter fortzusetzen. Die Fran¬
zosen bedienen sich zu derartigen Transporten neuerdings außer den Dam¬
pfern wiederum wie im letzten Frühjahr der großen Linienschiffe. So langte
am 18. d. Mes. der Turenne hier an, ein Fahrzeug, welches im Sommer
in der Ostsee verwendet worden war und nunmehr die Aufgabe übernommen
hatte, 6000 Mann von Toulon nach den Küsten Tauriens zu transportiren.
Der mächtige Zweidecker trug wol nie zuvor eine ähnliche Menschenmenge.
Aus allen Stückpsorten schauten neugierig die Soldatenköpfe hervor und auf
dem Deck standen sie dicht gedrängt -- kein Apfel schien zwischen ihnen zur
Erde zu können und es ist mir völlig räthselhaft, wie bei einer derartigen
Ueberfüllung die Leitung eines so großen Schiffs, zumal bei den Stürmen,
die es aus seiner Ueberfahrt im Mittelmeere auszuhalten hatte, möglich bleibt.

Die Engländer lassen ihre Krieger confortabler reisen. Riesensteamer wie
der Himalaya führen in der Regel nicht mehr als anderthalbtausend Mann.
Dagegen muß man bedenken, daß England weniger Truppen zu senden hat
und über mehr Schiffe disponiren kann.

Der Sturm oder Orkan in der Nacht vom Montag zum Dienstag (13. zum
November) der vergangenen Woche hat leider unermeßliche Verheerungen im
schwarzen Meere angerichtet. Genaue Nachrichten darüber liegen noch nicht vor,
indeß weiß man, daß an der Seestraße der Krim, zwischen Eupatoria und
der äußern Rhede von Sebastopol ein ganzer englisch-französischer Convoy,


Briefe aus Konstantinopel

Was ich Ihnen heute zu berichten habe, ist wenig mehr, als daß alles
beim Alten steht, daß es in der Krim im allgemeinen nicht gut steht, dagegen
auch noch lange nicht so übel, als man gemeinhin meint. Wenn es darauf
ankommen sollte, die Position zwischen Jnkerman und Balaklava gegen die
Russen den Winter hindurch zu behaupten und während dessen Sebastopol
eingeschlossen zu halten, so würde diese Aufgabe von den alliirten Streitkräf¬
ten auch mit ihrem gegenwärtigen Bestände gelöst werden können; es wäre
dies eine Defensive, die kein weiteres Resultat zuwegebringen würde, als
der Welt zu beweisen, daß Rußland nicht im Stande ist, siebzigtausend anglo-
sranzösische Truppen von einem Punkt seines Gestades und von den Kanonen
seiner größten Festung zu verdrängen — auch nicht mit Aufwendung eines
ganzen Drittheils seiner disponiblen Streitmacht.

Seit dem -17. d. Mes. gehen indessen ziemlich massenhafte Verstärkungen,
sowol englische wie französische, hier durch nach der Krim und kaum ein Tag
vergeht, wo nicht mehre mit Truppen befrachtete Dampfschiffe anlangen, um
am andern Morgen ihre Reise nach Balaklava weiter fortzusetzen. Die Fran¬
zosen bedienen sich zu derartigen Transporten neuerdings außer den Dam¬
pfern wiederum wie im letzten Frühjahr der großen Linienschiffe. So langte
am 18. d. Mes. der Turenne hier an, ein Fahrzeug, welches im Sommer
in der Ostsee verwendet worden war und nunmehr die Aufgabe übernommen
hatte, 6000 Mann von Toulon nach den Küsten Tauriens zu transportiren.
Der mächtige Zweidecker trug wol nie zuvor eine ähnliche Menschenmenge.
Aus allen Stückpsorten schauten neugierig die Soldatenköpfe hervor und auf
dem Deck standen sie dicht gedrängt — kein Apfel schien zwischen ihnen zur
Erde zu können und es ist mir völlig räthselhaft, wie bei einer derartigen
Ueberfüllung die Leitung eines so großen Schiffs, zumal bei den Stürmen,
die es aus seiner Ueberfahrt im Mittelmeere auszuhalten hatte, möglich bleibt.

Die Engländer lassen ihre Krieger confortabler reisen. Riesensteamer wie
der Himalaya führen in der Regel nicht mehr als anderthalbtausend Mann.
Dagegen muß man bedenken, daß England weniger Truppen zu senden hat
und über mehr Schiffe disponiren kann.

Der Sturm oder Orkan in der Nacht vom Montag zum Dienstag (13. zum
November) der vergangenen Woche hat leider unermeßliche Verheerungen im
schwarzen Meere angerichtet. Genaue Nachrichten darüber liegen noch nicht vor,
indeß weiß man, daß an der Seestraße der Krim, zwischen Eupatoria und
der äußern Rhede von Sebastopol ein ganzer englisch-französischer Convoy,


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[0466] Briefe aus Konstantinopel Was ich Ihnen heute zu berichten habe, ist wenig mehr, als daß alles beim Alten steht, daß es in der Krim im allgemeinen nicht gut steht, dagegen auch noch lange nicht so übel, als man gemeinhin meint. Wenn es darauf ankommen sollte, die Position zwischen Jnkerman und Balaklava gegen die Russen den Winter hindurch zu behaupten und während dessen Sebastopol eingeschlossen zu halten, so würde diese Aufgabe von den alliirten Streitkräf¬ ten auch mit ihrem gegenwärtigen Bestände gelöst werden können; es wäre dies eine Defensive, die kein weiteres Resultat zuwegebringen würde, als der Welt zu beweisen, daß Rußland nicht im Stande ist, siebzigtausend anglo- sranzösische Truppen von einem Punkt seines Gestades und von den Kanonen seiner größten Festung zu verdrängen — auch nicht mit Aufwendung eines ganzen Drittheils seiner disponiblen Streitmacht. Seit dem -17. d. Mes. gehen indessen ziemlich massenhafte Verstärkungen, sowol englische wie französische, hier durch nach der Krim und kaum ein Tag vergeht, wo nicht mehre mit Truppen befrachtete Dampfschiffe anlangen, um am andern Morgen ihre Reise nach Balaklava weiter fortzusetzen. Die Fran¬ zosen bedienen sich zu derartigen Transporten neuerdings außer den Dam¬ pfern wiederum wie im letzten Frühjahr der großen Linienschiffe. So langte am 18. d. Mes. der Turenne hier an, ein Fahrzeug, welches im Sommer in der Ostsee verwendet worden war und nunmehr die Aufgabe übernommen hatte, 6000 Mann von Toulon nach den Küsten Tauriens zu transportiren. Der mächtige Zweidecker trug wol nie zuvor eine ähnliche Menschenmenge. Aus allen Stückpsorten schauten neugierig die Soldatenköpfe hervor und auf dem Deck standen sie dicht gedrängt — kein Apfel schien zwischen ihnen zur Erde zu können und es ist mir völlig räthselhaft, wie bei einer derartigen Ueberfüllung die Leitung eines so großen Schiffs, zumal bei den Stürmen, die es aus seiner Ueberfahrt im Mittelmeere auszuhalten hatte, möglich bleibt. Die Engländer lassen ihre Krieger confortabler reisen. Riesensteamer wie der Himalaya führen in der Regel nicht mehr als anderthalbtausend Mann. Dagegen muß man bedenken, daß England weniger Truppen zu senden hat und über mehr Schiffe disponiren kann. Der Sturm oder Orkan in der Nacht vom Montag zum Dienstag (13. zum November) der vergangenen Woche hat leider unermeßliche Verheerungen im schwarzen Meere angerichtet. Genaue Nachrichten darüber liegen noch nicht vor, indeß weiß man, daß an der Seestraße der Krim, zwischen Eupatoria und der äußern Rhede von Sebastopol ein ganzer englisch-französischer Convoy,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/466>, abgerufen am 28.12.2024.