Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.gewiß unglaubliche Dinge glaublich machen würden. Indeß bleibt es in dieser Was Oestreich betrifft, so kann man in Deutschland versichert sein, daß unser Aus London, -- Man mag Kossuth zum größten Verbre- Wozu auch? Ihnen kanns höchstens darum zu thun sein, zu erfahren, was Die regierenden Classen und ihre Organe in der Presse dagegen werden von kal¬ gewiß unglaubliche Dinge glaublich machen würden. Indeß bleibt es in dieser Was Oestreich betrifft, so kann man in Deutschland versichert sein, daß unser Aus London, — Man mag Kossuth zum größten Verbre- Wozu auch? Ihnen kanns höchstens darum zu thun sein, zu erfahren, was Die regierenden Classen und ihre Organe in der Presse dagegen werden von kal¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98759"/> <p xml:id="ID_1406" prev="#ID_1405"> gewiß unglaubliche Dinge glaublich machen würden. Indeß bleibt es in dieser<lb/> schwierigen Lage, wo man, wie bei einem Gefecht in dunkler Nacht, nicht Feind<lb/> und Freund unterscheiden kann, die Pflicht der Presse, ein lautes viviz in alle<lb/> Ohren, die hören wollen, zu rufen und so größerem Uebel vorzubeugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1407"> Was Oestreich betrifft, so kann man in Deutschland versichert sein, daß unser<lb/> Cabinet keinen Augenblick seine bekannte Vorsicht und sein Pflichtgefühl verläßt.<lb/> Nur noch wenige Tage und die Welt wird erfahren, daß die Allianz Oestreichs<lb/> mit den Westmächten mit oder trotz dem deutschen Zusatzartikel zum Ab¬<lb/> schlüsse kommt. Soviel für heute. Die Post drängt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Aus London, </head> <p xml:id="ID_1408"> — Man mag Kossuth zum größten Verbre-<lb/> cher des Jahrhunderts stempeln, man mag es ihm zum Vorwurf-machen, daß er<lb/> aus Mangel an Ueberlegung sein Vaterland der Freiheit beraubte und sich aus<lb/> Ueberfluß an Ueberlegung frühzeitig der Unannehmlichkeit des Gehenktwerdens ent¬<lb/> zog, aber selbst seine größten Feinde werden billigerweise kaum in Abrede stellen<lb/> können, daß er das größte oratorische Genie unsrer Zeit ist. Die Rede, welche<lb/> er vor wenigen Tagen zur Jahresfeier der polnischen Revolution hielt, war meister¬<lb/> haft stylisirt und vorgetragen. Der Eindruck, den sie hervorgebracht hat, war ein<lb/> überaus gewaltiger, und als am folgenden Tage ein besonderer Abdruck derselben<lb/> angekündigt wurde, waren in den ersten Stunden gleich mehre tausend Exemplare<lb/> vergriffen. Lobenswert!) in politischer Beziehung war diese Rede des berühmten<lb/> Magyaren ebensowenig, wie fast alle seine Schritte, die er nach seiner Befreiung<lb/> gethan, hat; aber von einer Kritik des Inhalts soll hier keine Rede sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1409"> Wozu auch? Ihnen kanns höchstens darum zu thun sein, zu erfahren, was<lb/> mau von dieser Rede in England denkt. Das ist nicht allzuschwer zu sagen. Mau<lb/> findet sie vortrefflich, weil sie dem Ministerium den Text liest, und weil jeder Klotz,<lb/> der Lord Aberdeen jetzt an den Kops geworfen wird, den Engländern überaus ge¬<lb/> fällt. Man findet sie schlecht, weil darin gesagt ist, daß die Engländer sehr<lb/> tapfere Leute, aber ausnehmend ungeschickte Strategen sind. Den Aberdeen darf<lb/> jeder Straßenjunge vcrschimpfiren, er bekommt dafür einen Penny Honorar; den<lb/> Raglan dagegen dürfte selbst der selige Napoleon oder Cäsar nicht schlecht machen,<lb/> ohne Püffe zu bekommen. Das ist die jetzige Stimmung. Und da man von den<lb/> Massen, wenn man billig und vernünftig ist, jederzeit und allenthalben mehr Ge¬<lb/> müth und Hingebung, als Verstand und Urtheil erwarten soll, so ist dies eine<lb/> Stimmung, die dem englischen Volke alle Ehre macht. Es stände ihm als Masse<lb/> wahrlich schlecht a», die Flankenbewegungen eines Generals zu kritisiren, während<lb/> er die Truppen zum Siege führt und ihre Gefahren redlich theilt. Mit den Polen<lb/> oder Ungarn gegen die Russen zu fechten, wäre den Engländern auch ganz recht.<lb/> Dieses Volk schlägt sich mit und gegen jeden, Wenns sein muß. Wären die Türken<lb/> am 23. nicht ausgerissen, sie würden noch hente als Bono Johnies caresflrt. Wo<lb/> es zum Prügeln kommt, ist der Engländer bei Leibe nicht so, aristokratisch wie andrer<lb/> Länder Leute. Das kommt daher, weil hier mehr geboxt als gestochen wird, weil<lb/> die Faust viel demokratischer als das Rapier ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> Die regierenden Classen und ihre Organe in der Presse dagegen werden von kal¬<lb/> ten Schauern ergriffen, wenn sie die revolutionären Feldzüge, die sich Kossuth ausge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0445]
gewiß unglaubliche Dinge glaublich machen würden. Indeß bleibt es in dieser
schwierigen Lage, wo man, wie bei einem Gefecht in dunkler Nacht, nicht Feind
und Freund unterscheiden kann, die Pflicht der Presse, ein lautes viviz in alle
Ohren, die hören wollen, zu rufen und so größerem Uebel vorzubeugen.
Was Oestreich betrifft, so kann man in Deutschland versichert sein, daß unser
Cabinet keinen Augenblick seine bekannte Vorsicht und sein Pflichtgefühl verläßt.
Nur noch wenige Tage und die Welt wird erfahren, daß die Allianz Oestreichs
mit den Westmächten mit oder trotz dem deutschen Zusatzartikel zum Ab¬
schlüsse kommt. Soviel für heute. Die Post drängt.
Aus London, — Man mag Kossuth zum größten Verbre-
cher des Jahrhunderts stempeln, man mag es ihm zum Vorwurf-machen, daß er
aus Mangel an Ueberlegung sein Vaterland der Freiheit beraubte und sich aus
Ueberfluß an Ueberlegung frühzeitig der Unannehmlichkeit des Gehenktwerdens ent¬
zog, aber selbst seine größten Feinde werden billigerweise kaum in Abrede stellen
können, daß er das größte oratorische Genie unsrer Zeit ist. Die Rede, welche
er vor wenigen Tagen zur Jahresfeier der polnischen Revolution hielt, war meister¬
haft stylisirt und vorgetragen. Der Eindruck, den sie hervorgebracht hat, war ein
überaus gewaltiger, und als am folgenden Tage ein besonderer Abdruck derselben
angekündigt wurde, waren in den ersten Stunden gleich mehre tausend Exemplare
vergriffen. Lobenswert!) in politischer Beziehung war diese Rede des berühmten
Magyaren ebensowenig, wie fast alle seine Schritte, die er nach seiner Befreiung
gethan, hat; aber von einer Kritik des Inhalts soll hier keine Rede sein.
Wozu auch? Ihnen kanns höchstens darum zu thun sein, zu erfahren, was
mau von dieser Rede in England denkt. Das ist nicht allzuschwer zu sagen. Mau
findet sie vortrefflich, weil sie dem Ministerium den Text liest, und weil jeder Klotz,
der Lord Aberdeen jetzt an den Kops geworfen wird, den Engländern überaus ge¬
fällt. Man findet sie schlecht, weil darin gesagt ist, daß die Engländer sehr
tapfere Leute, aber ausnehmend ungeschickte Strategen sind. Den Aberdeen darf
jeder Straßenjunge vcrschimpfiren, er bekommt dafür einen Penny Honorar; den
Raglan dagegen dürfte selbst der selige Napoleon oder Cäsar nicht schlecht machen,
ohne Püffe zu bekommen. Das ist die jetzige Stimmung. Und da man von den
Massen, wenn man billig und vernünftig ist, jederzeit und allenthalben mehr Ge¬
müth und Hingebung, als Verstand und Urtheil erwarten soll, so ist dies eine
Stimmung, die dem englischen Volke alle Ehre macht. Es stände ihm als Masse
wahrlich schlecht a», die Flankenbewegungen eines Generals zu kritisiren, während
er die Truppen zum Siege führt und ihre Gefahren redlich theilt. Mit den Polen
oder Ungarn gegen die Russen zu fechten, wäre den Engländern auch ganz recht.
Dieses Volk schlägt sich mit und gegen jeden, Wenns sein muß. Wären die Türken
am 23. nicht ausgerissen, sie würden noch hente als Bono Johnies caresflrt. Wo
es zum Prügeln kommt, ist der Engländer bei Leibe nicht so, aristokratisch wie andrer
Länder Leute. Das kommt daher, weil hier mehr geboxt als gestochen wird, weil
die Faust viel demokratischer als das Rapier ist.
Die regierenden Classen und ihre Organe in der Presse dagegen werden von kal¬
ten Schauern ergriffen, wenn sie die revolutionären Feldzüge, die sich Kossuth ausge-
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