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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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in die Schranken treten will, muß sie beweisen, d. l). Plastisch darstellen; der
bloßen Versicherung glaubt der Ausländer nicht, wenn sie auch in jedem Satz
durch ein O! oder Ach! eingeführt wird. --


Alexander Puschkins poetische Werke, aus dem Russischen übersetzt von
Friedrich Bodenstedt. II. Eugen Oncigin. Berlin, Decker. --

Ein versificirter Roman, der uns vor dem Talent des russischen Dichters allen
Respect einflößt, obgleich es dem höchst begabten Uebersetzer, der in seinen Ueber-
tragungen lyrischer Gedichte auf uns fast durchweg den Eindruck eines Original¬
schriststellers macht, bei diesem widerstrebenden Stoff nicht ganz gelungen ist,
den Eindruck der Uebersetzung zu verwischen. Es soll das kein Tadel sein;
denn die Unmöglichkeit, diese specifisch russischen Anschauungen so wiederzugeben,
daß sie uns deutsch erscheinen, liegt auf der Hand. -- Der Inhalt der Novelle
ist sehr einfach. Der Held ist ein junger russischer Dandy/ der nach
dem gewöhnlichen Erziehungsprincip der russischen Aristokratie schon in frühester
Jugend gelernt hat, den Schaum der Ideale und des Lebens abzuschöpfen.
So ist er, obgleich an Jahren noch jung, in seinem Geiste alt und verlebt
geworden, und hat kein Interesse mehr am Leben, als höchstens an dessen
gastrischen Genüssen. Durch den Tod eines reichen Oheims erbt er ein Land¬
gut und schleppt nun sein Leben im trägen Müßiggang hin. Ein Freund und
Nachbar, Lensky, führt ihn in eine benachbarte Familie ein, wo er mit der
jungem Tochter des Hauses verlobt ist. Die ältere Tochter faßt eine Neigung
für den jungen , blasirten Herrn und gesteht ihm ihre Gefühle in einem
leidenschaftlichen Briefe. Eugen ist grade in der tugendhaften Laune, hält ihr
einen erbaulichen Vortrag und sucht sie von ihrer thörichten Leidenschaft zurück¬
zubringen. Um sich für diese Enthaltsamkeit zu entschädigen macht er auf einem
Ball der Braut seines Freundes die Cour, nicht etwa in ernsthafter Absicht, sondern
nur um seinen Freund zu necken und ein paar langweilige Stunden zu todten.
Der Freund versteht keinen Spaß, er fordert Eugen zum Duell heraus und
dieser tödtet ihn, ohne es eigentlich zu wollen. Nun erfolgt ein ziemlich großer
Sprung in der Geschichte. Wir finden Eugen bei einem Fest in der Haupt¬
stadt wieder, in der alten blasirten Stimmung, als er unvermuthet jenes Mädchen
wiedersieht, deren Liebe er früher verschmähte; aber dies Mal als verheiratete
Frau, als Fürstin. Wie es bei blasirten Leuten in solchen Fällen zu geschehen
pflegt, es erfaßt ihn plötzlich eine wüthende Leidenschaft und er bietet alle er¬
denklichen Mittel auf, um die Schöne zu -gewinnen, die aber seinen Be¬
werbungen dies Mal Kälte und Verachtung entgegensetzt. Mitten in dieser Lage
der Dinge bricht die Geschichte ab. -- Man fühlt in der Darstellung des
Helden theils den Einfluß Lord Byrons, theils Reminiscenzen des eignen
Lebens heraus, wenn auch der Dichter grade wie sein Vorbild zwischen dem


in die Schranken treten will, muß sie beweisen, d. l). Plastisch darstellen; der
bloßen Versicherung glaubt der Ausländer nicht, wenn sie auch in jedem Satz
durch ein O! oder Ach! eingeführt wird. —


Alexander Puschkins poetische Werke, aus dem Russischen übersetzt von
Friedrich Bodenstedt. II. Eugen Oncigin. Berlin, Decker. —

Ein versificirter Roman, der uns vor dem Talent des russischen Dichters allen
Respect einflößt, obgleich es dem höchst begabten Uebersetzer, der in seinen Ueber-
tragungen lyrischer Gedichte auf uns fast durchweg den Eindruck eines Original¬
schriststellers macht, bei diesem widerstrebenden Stoff nicht ganz gelungen ist,
den Eindruck der Uebersetzung zu verwischen. Es soll das kein Tadel sein;
denn die Unmöglichkeit, diese specifisch russischen Anschauungen so wiederzugeben,
daß sie uns deutsch erscheinen, liegt auf der Hand. — Der Inhalt der Novelle
ist sehr einfach. Der Held ist ein junger russischer Dandy/ der nach
dem gewöhnlichen Erziehungsprincip der russischen Aristokratie schon in frühester
Jugend gelernt hat, den Schaum der Ideale und des Lebens abzuschöpfen.
So ist er, obgleich an Jahren noch jung, in seinem Geiste alt und verlebt
geworden, und hat kein Interesse mehr am Leben, als höchstens an dessen
gastrischen Genüssen. Durch den Tod eines reichen Oheims erbt er ein Land¬
gut und schleppt nun sein Leben im trägen Müßiggang hin. Ein Freund und
Nachbar, Lensky, führt ihn in eine benachbarte Familie ein, wo er mit der
jungem Tochter des Hauses verlobt ist. Die ältere Tochter faßt eine Neigung
für den jungen , blasirten Herrn und gesteht ihm ihre Gefühle in einem
leidenschaftlichen Briefe. Eugen ist grade in der tugendhaften Laune, hält ihr
einen erbaulichen Vortrag und sucht sie von ihrer thörichten Leidenschaft zurück¬
zubringen. Um sich für diese Enthaltsamkeit zu entschädigen macht er auf einem
Ball der Braut seines Freundes die Cour, nicht etwa in ernsthafter Absicht, sondern
nur um seinen Freund zu necken und ein paar langweilige Stunden zu todten.
Der Freund versteht keinen Spaß, er fordert Eugen zum Duell heraus und
dieser tödtet ihn, ohne es eigentlich zu wollen. Nun erfolgt ein ziemlich großer
Sprung in der Geschichte. Wir finden Eugen bei einem Fest in der Haupt¬
stadt wieder, in der alten blasirten Stimmung, als er unvermuthet jenes Mädchen
wiedersieht, deren Liebe er früher verschmähte; aber dies Mal als verheiratete
Frau, als Fürstin. Wie es bei blasirten Leuten in solchen Fällen zu geschehen
pflegt, es erfaßt ihn plötzlich eine wüthende Leidenschaft und er bietet alle er¬
denklichen Mittel auf, um die Schöne zu -gewinnen, die aber seinen Be¬
werbungen dies Mal Kälte und Verachtung entgegensetzt. Mitten in dieser Lage
der Dinge bricht die Geschichte ab. — Man fühlt in der Darstellung des
Helden theils den Einfluß Lord Byrons, theils Reminiscenzen des eignen
Lebens heraus, wenn auch der Dichter grade wie sein Vorbild zwischen dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/36>, abgerufen am 28.12.2024.