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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sofort zu vollziehen, die Stände, von welchen die Erklärung über die
provisorische Verfassung zu geben ist, wieder einzuberufen, und zwar voll¬
ständig, und nicht zu dulden, daß man mit willkürlich decimirten Stände¬
kammern versandete. Herr Hasscnpflug hat vor kurzem eine Denkschrift an
den Bund gerichtet, worin er sein Verfahren zu vertheidigen sucht. Der be¬
kannte Herr v. Strauß, lippescher Bundestagsgesandter, hofft viel davon und
hat sogar eine Mitwirkung des Bundestagsrcferenten in der kurhessischen
Verfassungsangelegenheit am Bunde des Gesandten für Mecklenburg, Herrn
v. Oertzen, in Kassel in Aussicht gestellt. Nach der Broschüre ist aber grade
Herr v. Oertzen derjenige, der den obenerwähnten Bericht verfaßt und ver¬
theidigt hat. Und darin findet man eben keinen Grund für jene kühne Hassen-
pflugische Hoffnung. Die kurhessische Vcrsassungsangelegenheit ist jetzt auf einem
Standpunkte angelangt, wo der Bund einschreiten muß. schenkt er der
Presse keinen Glauben, so überzeuge er sich durch die Absendung eines Com-
missars, welcher beide Theile, Regierung und Stände, aber auch die Opposition
zu hören hat. Es kann nicht im Interesse des Bundestags liegen, wenn das
Land Hessen in einem Zustande erhalten wird, bei welchem es zu Grunde geht.

Nachtrag der Redaction.
'

-- Wir haben bereits in den früheren
Heften darauf aufmerksam gemacht, daß bei der ehrenvollen Haltung, die
Oestreich in der auswärtigen Politik eingenommen hat, von ihm zu hoffen
und zu wünschen ist, es werde auch in den innern Angelegenheiten sich der
nationalen Sache annehmen, umsomehr, da es in manchen Punkten frühere
Irrthümer gut zu machen hat. Als einen derselben haben wir die kurhessische
Frage bezeichnet, und so kam uns die vorstehende Darstellung, die uns aus
glaubwürdiger und sehr konservativer Quelle zugegangen ist, sehr gelegen,
wenn wir auch mit der politischen Auffassung des Einsenders nicht ganz über¬
einstimmen, und wenn wir auch offen gestehen müssen, daß der factische In¬
halt uns selbst überrascht hat.

Durch die Eilfertigkeit, mit der man 1848 neue Verfassungen einrichtete,
kamen mehre deutsche Staaten in die Lage, die Hoffnung einer gesetzlichen
Modification aufzugeben, und ohne Rücksicht auf das formale Recht durch
thatsächliches Eingreifen die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Rechtfertigen
kann die Geschichte ein solches Verfahren niemals. eine Entschuldigung findet
es durch den Erfolg. Fast in allen deutschen Staaten hat der Erfolg für die
Regierungen gesprochen, und es kann nicht in unsrer Absicht liegen, alte
Wunden wieder aufzureißen.

Kurhessen macht eine Ausnahme. Die Eingriffe des Ministeriums Hassen-
pflug haben ihren Zweck nicht erreicht, das Land ist nicht beruhigt, die ge¬
setzlichen Zustände sind nicht geordnet, die nothwendige Uebereinstimmung


sofort zu vollziehen, die Stände, von welchen die Erklärung über die
provisorische Verfassung zu geben ist, wieder einzuberufen, und zwar voll¬
ständig, und nicht zu dulden, daß man mit willkürlich decimirten Stände¬
kammern versandete. Herr Hasscnpflug hat vor kurzem eine Denkschrift an
den Bund gerichtet, worin er sein Verfahren zu vertheidigen sucht. Der be¬
kannte Herr v. Strauß, lippescher Bundestagsgesandter, hofft viel davon und
hat sogar eine Mitwirkung des Bundestagsrcferenten in der kurhessischen
Verfassungsangelegenheit am Bunde des Gesandten für Mecklenburg, Herrn
v. Oertzen, in Kassel in Aussicht gestellt. Nach der Broschüre ist aber grade
Herr v. Oertzen derjenige, der den obenerwähnten Bericht verfaßt und ver¬
theidigt hat. Und darin findet man eben keinen Grund für jene kühne Hassen-
pflugische Hoffnung. Die kurhessische Vcrsassungsangelegenheit ist jetzt auf einem
Standpunkte angelangt, wo der Bund einschreiten muß. schenkt er der
Presse keinen Glauben, so überzeuge er sich durch die Absendung eines Com-
missars, welcher beide Theile, Regierung und Stände, aber auch die Opposition
zu hören hat. Es kann nicht im Interesse des Bundestags liegen, wenn das
Land Hessen in einem Zustande erhalten wird, bei welchem es zu Grunde geht.

Nachtrag der Redaction.
'

— Wir haben bereits in den früheren
Heften darauf aufmerksam gemacht, daß bei der ehrenvollen Haltung, die
Oestreich in der auswärtigen Politik eingenommen hat, von ihm zu hoffen
und zu wünschen ist, es werde auch in den innern Angelegenheiten sich der
nationalen Sache annehmen, umsomehr, da es in manchen Punkten frühere
Irrthümer gut zu machen hat. Als einen derselben haben wir die kurhessische
Frage bezeichnet, und so kam uns die vorstehende Darstellung, die uns aus
glaubwürdiger und sehr konservativer Quelle zugegangen ist, sehr gelegen,
wenn wir auch mit der politischen Auffassung des Einsenders nicht ganz über¬
einstimmen, und wenn wir auch offen gestehen müssen, daß der factische In¬
halt uns selbst überrascht hat.

Durch die Eilfertigkeit, mit der man 1848 neue Verfassungen einrichtete,
kamen mehre deutsche Staaten in die Lage, die Hoffnung einer gesetzlichen
Modification aufzugeben, und ohne Rücksicht auf das formale Recht durch
thatsächliches Eingreifen die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Rechtfertigen
kann die Geschichte ein solches Verfahren niemals. eine Entschuldigung findet
es durch den Erfolg. Fast in allen deutschen Staaten hat der Erfolg für die
Regierungen gesprochen, und es kann nicht in unsrer Absicht liegen, alte
Wunden wieder aufzureißen.

Kurhessen macht eine Ausnahme. Die Eingriffe des Ministeriums Hassen-
pflug haben ihren Zweck nicht erreicht, das Land ist nicht beruhigt, die ge¬
setzlichen Zustände sind nicht geordnet, die nothwendige Uebereinstimmung


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[0344] sofort zu vollziehen, die Stände, von welchen die Erklärung über die provisorische Verfassung zu geben ist, wieder einzuberufen, und zwar voll¬ ständig, und nicht zu dulden, daß man mit willkürlich decimirten Stände¬ kammern versandete. Herr Hasscnpflug hat vor kurzem eine Denkschrift an den Bund gerichtet, worin er sein Verfahren zu vertheidigen sucht. Der be¬ kannte Herr v. Strauß, lippescher Bundestagsgesandter, hofft viel davon und hat sogar eine Mitwirkung des Bundestagsrcferenten in der kurhessischen Verfassungsangelegenheit am Bunde des Gesandten für Mecklenburg, Herrn v. Oertzen, in Kassel in Aussicht gestellt. Nach der Broschüre ist aber grade Herr v. Oertzen derjenige, der den obenerwähnten Bericht verfaßt und ver¬ theidigt hat. Und darin findet man eben keinen Grund für jene kühne Hassen- pflugische Hoffnung. Die kurhessische Vcrsassungsangelegenheit ist jetzt auf einem Standpunkte angelangt, wo der Bund einschreiten muß. schenkt er der Presse keinen Glauben, so überzeuge er sich durch die Absendung eines Com- missars, welcher beide Theile, Regierung und Stände, aber auch die Opposition zu hören hat. Es kann nicht im Interesse des Bundestags liegen, wenn das Land Hessen in einem Zustande erhalten wird, bei welchem es zu Grunde geht. Nachtrag der Redaction. ' — Wir haben bereits in den früheren Heften darauf aufmerksam gemacht, daß bei der ehrenvollen Haltung, die Oestreich in der auswärtigen Politik eingenommen hat, von ihm zu hoffen und zu wünschen ist, es werde auch in den innern Angelegenheiten sich der nationalen Sache annehmen, umsomehr, da es in manchen Punkten frühere Irrthümer gut zu machen hat. Als einen derselben haben wir die kurhessische Frage bezeichnet, und so kam uns die vorstehende Darstellung, die uns aus glaubwürdiger und sehr konservativer Quelle zugegangen ist, sehr gelegen, wenn wir auch mit der politischen Auffassung des Einsenders nicht ganz über¬ einstimmen, und wenn wir auch offen gestehen müssen, daß der factische In¬ halt uns selbst überrascht hat. Durch die Eilfertigkeit, mit der man 1848 neue Verfassungen einrichtete, kamen mehre deutsche Staaten in die Lage, die Hoffnung einer gesetzlichen Modification aufzugeben, und ohne Rücksicht auf das formale Recht durch thatsächliches Eingreifen die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Rechtfertigen kann die Geschichte ein solches Verfahren niemals. eine Entschuldigung findet es durch den Erfolg. Fast in allen deutschen Staaten hat der Erfolg für die Regierungen gesprochen, und es kann nicht in unsrer Absicht liegen, alte Wunden wieder aufzureißen. Kurhessen macht eine Ausnahme. Die Eingriffe des Ministeriums Hassen- pflug haben ihren Zweck nicht erreicht, das Land ist nicht beruhigt, die ge¬ setzlichen Zustände sind nicht geordnet, die nothwendige Uebereinstimmung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/344>, abgerufen am 22.07.2024.