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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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wollen nicht hoffen; denn auf ihr standen die Namen aller jener verzeichnet,
welche mit dem russisch-östreichischen Patrioten in "guter Gesinnung" sym-
pathisirten. Freilich waren auch manche räudige Schafe in der Herde, die
nur, entweder um den öffentlichen Denunciationen des biedern Verewigten
zu entgehen, oder um sich eine heitre Lectüre zu bereiten, ihren Namen dem "Zu¬
schauer" preisgegeben hatten.

Ein sonderbarer Zufall wollte es, daß hinter dem Sarge des ehrbaren
Jugendschriftstellers, des würdigen Moralisten und hyperconservativen Publi¬
zisten, den wir eben genannt hatten, ein Mann von leichtem Blute und hei¬
terem Lebenswandel einherging, der auch wenige Tage darauf dem Tode in
die kalten Arme fiel. Auch er war ein Mann der Feder, aber harmlos in
seinen lyrischen Ergüssen wie in seinen gründlichen Bierstndien. Er nannte
sich E. Samier und war ein wildes Kneipgenie von sanftem poetischen Ge¬
müth. Die Tradition der verliedcrlichten Poeten, wie sie in Heines Zeiten
im Schwunge waren, hatte sich in ihm auf localen Wiener Boden fortge¬
pflanzt. In einem vormärzlichen Cultus begriffen, widmen ihm nun einige
hiesige Schriftsteller rührende Nekrologe, suchen in der selbstgefälligen Schwäche
eines liebenswürdigen Saufbruders den Wiederschein eines tiefen sittlichen Ge¬
müthes und wollen wieder eine literarische Berühmtheit aus einem todten
Mann machen, der sich selbst mit bescheidener Offenheit bei Lebzeiten folgender¬
maßen charakterisirt hat:


Immer fröhlich ist der Sander,
Sein Gemüth ist rein und lauter,
Tausend lustge Schlösser baut er,
Und auf Gott und Welt vertraut er,
Alle Madchen keck an schaut er,
sehnsuchtsvoll wünscht eine Braut er,
Wie ein Kater drum inland er;
Gern verzehrt Wurst mit Kraut er,
Wie ein Russe drein einHaut er.
Wie ein Vogel Strauß verdaut er,
Wie ein Ochse widcrkaut er,
In der Dummheit so ergraut er
Endlich stirbt das Vieh, der Sander.



Aus Konstantinopel.

Die orientalische Frage ist so alt, daß man füglich annehmen darf, eS
habe sich jeder der dabei betheiligten Staaten nach und nach ein festes System


wollen nicht hoffen; denn auf ihr standen die Namen aller jener verzeichnet,
welche mit dem russisch-östreichischen Patrioten in „guter Gesinnung" sym-
pathisirten. Freilich waren auch manche räudige Schafe in der Herde, die
nur, entweder um den öffentlichen Denunciationen des biedern Verewigten
zu entgehen, oder um sich eine heitre Lectüre zu bereiten, ihren Namen dem „Zu¬
schauer" preisgegeben hatten.

Ein sonderbarer Zufall wollte es, daß hinter dem Sarge des ehrbaren
Jugendschriftstellers, des würdigen Moralisten und hyperconservativen Publi¬
zisten, den wir eben genannt hatten, ein Mann von leichtem Blute und hei¬
terem Lebenswandel einherging, der auch wenige Tage darauf dem Tode in
die kalten Arme fiel. Auch er war ein Mann der Feder, aber harmlos in
seinen lyrischen Ergüssen wie in seinen gründlichen Bierstndien. Er nannte
sich E. Samier und war ein wildes Kneipgenie von sanftem poetischen Ge¬
müth. Die Tradition der verliedcrlichten Poeten, wie sie in Heines Zeiten
im Schwunge waren, hatte sich in ihm auf localen Wiener Boden fortge¬
pflanzt. In einem vormärzlichen Cultus begriffen, widmen ihm nun einige
hiesige Schriftsteller rührende Nekrologe, suchen in der selbstgefälligen Schwäche
eines liebenswürdigen Saufbruders den Wiederschein eines tiefen sittlichen Ge¬
müthes und wollen wieder eine literarische Berühmtheit aus einem todten
Mann machen, der sich selbst mit bescheidener Offenheit bei Lebzeiten folgender¬
maßen charakterisirt hat:


Immer fröhlich ist der Sander,
Sein Gemüth ist rein und lauter,
Tausend lustge Schlösser baut er,
Und auf Gott und Welt vertraut er,
Alle Madchen keck an schaut er,
sehnsuchtsvoll wünscht eine Braut er,
Wie ein Kater drum inland er;
Gern verzehrt Wurst mit Kraut er,
Wie ein Russe drein einHaut er.
Wie ein Vogel Strauß verdaut er,
Wie ein Ochse widcrkaut er,
In der Dummheit so ergraut er
Endlich stirbt das Vieh, der Sander.



Aus Konstantinopel.

Die orientalische Frage ist so alt, daß man füglich annehmen darf, eS
habe sich jeder der dabei betheiligten Staaten nach und nach ein festes System


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[0314] wollen nicht hoffen; denn auf ihr standen die Namen aller jener verzeichnet, welche mit dem russisch-östreichischen Patrioten in „guter Gesinnung" sym- pathisirten. Freilich waren auch manche räudige Schafe in der Herde, die nur, entweder um den öffentlichen Denunciationen des biedern Verewigten zu entgehen, oder um sich eine heitre Lectüre zu bereiten, ihren Namen dem „Zu¬ schauer" preisgegeben hatten. Ein sonderbarer Zufall wollte es, daß hinter dem Sarge des ehrbaren Jugendschriftstellers, des würdigen Moralisten und hyperconservativen Publi¬ zisten, den wir eben genannt hatten, ein Mann von leichtem Blute und hei¬ terem Lebenswandel einherging, der auch wenige Tage darauf dem Tode in die kalten Arme fiel. Auch er war ein Mann der Feder, aber harmlos in seinen lyrischen Ergüssen wie in seinen gründlichen Bierstndien. Er nannte sich E. Samier und war ein wildes Kneipgenie von sanftem poetischen Ge¬ müth. Die Tradition der verliedcrlichten Poeten, wie sie in Heines Zeiten im Schwunge waren, hatte sich in ihm auf localen Wiener Boden fortge¬ pflanzt. In einem vormärzlichen Cultus begriffen, widmen ihm nun einige hiesige Schriftsteller rührende Nekrologe, suchen in der selbstgefälligen Schwäche eines liebenswürdigen Saufbruders den Wiederschein eines tiefen sittlichen Ge¬ müthes und wollen wieder eine literarische Berühmtheit aus einem todten Mann machen, der sich selbst mit bescheidener Offenheit bei Lebzeiten folgender¬ maßen charakterisirt hat: Immer fröhlich ist der Sander, Sein Gemüth ist rein und lauter, Tausend lustge Schlösser baut er, Und auf Gott und Welt vertraut er, Alle Madchen keck an schaut er, sehnsuchtsvoll wünscht eine Braut er, Wie ein Kater drum inland er; Gern verzehrt Wurst mit Kraut er, Wie ein Russe drein einHaut er. Wie ein Vogel Strauß verdaut er, Wie ein Ochse widcrkaut er, In der Dummheit so ergraut er Endlich stirbt das Vieh, der Sander. Aus Konstantinopel. Die orientalische Frage ist so alt, daß man füglich annehmen darf, eS habe sich jeder der dabei betheiligten Staaten nach und nach ein festes System

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/314>, abgerufen am 28.12.2024.