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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Vorstellung zu spotten. Sie zwingt mich in ihre Kreise, zwingt mich, ihren
Ordnungen zu gehorchen, lacht meines Gedankens ihres Nichts als eines Hirn-
gespinnstes. Und doch ist dieser Gedanke, .dieser widersinnig scheinende Ge¬
danke, was nun sein würde, wenn diese Welt nicht wäre , ein Riese, der mit
dem ganzen empirischen Dasein spielt."

Wir vermuthen zwar, daß in diesem philosophischen Dithyrambus irgend¬
ein Sinn sein wird, aber wir vermögen nicht, ihn zu entdecken. Goethe macht
einmal die Bemerkung, in vielen von Byrons Gedichten finde er nichts, als
verhaltene Parlamentsreden. So sehen wir auch in diesen Aeußerungen der
speculativen Trunkenheit (etwas Aehnliches ist z. B. die Apotheose des absoluten
Nichts in Werders Logik) nichts als verhaltene lyrische Gedichte. -- Um aber
diesen wunderlichen Einfällen eine recht feine Bemerkung entgegenzustellen,
theilen wir das folgende Fragment mit S. 263: "Der ekle Götzendienst, den
unsre Zeit im sogenannten Cultus des Genius treibt, wie sie Strauß, Feuer¬
bach, Herwegh, Liszt, Ronge u. s. w. vergöttert, ist nur die ihr selbst un¬
bewußte ironische Kehrseite ihres Atheismus, die-sich doch aufdrängende Noth¬
wendigkeit, das Absolute auch als ein Subject, als eine Persönlichkeit zu
besitzen." --


Indische Sagen. Von Dr. Adolph Holtzmann. Zweite verbesserte Anfluge
in 2 Bänden. Stuttgart, Krabbe. --

In einer sehr gut geschriebenen Einleitung setzt der Verfasser die Methode
seiner Bearbeitung auseinander. Wenn er nicht daraus ausgegangen ist, eine
bloße Uebersetzung zu geben, so lag das in der Natur des ihm vorliegenden
Originals. Die beiden großen epischen Gedichte der Jndier, Mahabharata
und Ramajana, sind wie die meisten Dichtungen aus der Jugendzeit der
Völker, nicht aus einem Guß geschaffen, sondern sie sind durch sehr verschiedene
Hände gegangen, und die Ueberarbeitungen späterer Zeitalter, die zum Theil
von einer höchst abweichenden sittlichen Weltanschauung ausgingen, sind noch
leicht -zu erkennen. Der Mahabharata füllt vier dicke Quartbände, in denen
der ursprünglich sagenhafte Theil durch die Ueberfülle des später hinzugefügten
Materials fast erstickt wird. Diese Zusätze und Veränderungen gingen thuts
aus der veränderten Geschmacksrichtung hervor, theils aus dem Bedürfniß, in
einem großen Werk alles zusammenzustellen, was die indische Poesie überhaupt
geschaffen hatte, und so alle andere poetischen Werke gewissermaßen entbehrlich
zu machen, hauptsächlich aber aus dogmatischen Zwecken. In dem indischen
., Religionssystem war eine gewaltige Umwandlung vorgegangen. Auf das
Heldenzeitalter der Nation war ein dumpfes Priesterthum gefolgt, und, die
lebendigen Göttergestalten wurden durch Abstractionen und Natursymbole ver¬
drängt. Diese Umwandlung wurde nun auch mit dem Gedicht vorgenommen


Vorstellung zu spotten. Sie zwingt mich in ihre Kreise, zwingt mich, ihren
Ordnungen zu gehorchen, lacht meines Gedankens ihres Nichts als eines Hirn-
gespinnstes. Und doch ist dieser Gedanke, .dieser widersinnig scheinende Ge¬
danke, was nun sein würde, wenn diese Welt nicht wäre , ein Riese, der mit
dem ganzen empirischen Dasein spielt."

Wir vermuthen zwar, daß in diesem philosophischen Dithyrambus irgend¬
ein Sinn sein wird, aber wir vermögen nicht, ihn zu entdecken. Goethe macht
einmal die Bemerkung, in vielen von Byrons Gedichten finde er nichts, als
verhaltene Parlamentsreden. So sehen wir auch in diesen Aeußerungen der
speculativen Trunkenheit (etwas Aehnliches ist z. B. die Apotheose des absoluten
Nichts in Werders Logik) nichts als verhaltene lyrische Gedichte. — Um aber
diesen wunderlichen Einfällen eine recht feine Bemerkung entgegenzustellen,
theilen wir das folgende Fragment mit S. 263: „Der ekle Götzendienst, den
unsre Zeit im sogenannten Cultus des Genius treibt, wie sie Strauß, Feuer¬
bach, Herwegh, Liszt, Ronge u. s. w. vergöttert, ist nur die ihr selbst un¬
bewußte ironische Kehrseite ihres Atheismus, die-sich doch aufdrängende Noth¬
wendigkeit, das Absolute auch als ein Subject, als eine Persönlichkeit zu
besitzen." —


Indische Sagen. Von Dr. Adolph Holtzmann. Zweite verbesserte Anfluge
in 2 Bänden. Stuttgart, Krabbe. —

In einer sehr gut geschriebenen Einleitung setzt der Verfasser die Methode
seiner Bearbeitung auseinander. Wenn er nicht daraus ausgegangen ist, eine
bloße Uebersetzung zu geben, so lag das in der Natur des ihm vorliegenden
Originals. Die beiden großen epischen Gedichte der Jndier, Mahabharata
und Ramajana, sind wie die meisten Dichtungen aus der Jugendzeit der
Völker, nicht aus einem Guß geschaffen, sondern sie sind durch sehr verschiedene
Hände gegangen, und die Ueberarbeitungen späterer Zeitalter, die zum Theil
von einer höchst abweichenden sittlichen Weltanschauung ausgingen, sind noch
leicht -zu erkennen. Der Mahabharata füllt vier dicke Quartbände, in denen
der ursprünglich sagenhafte Theil durch die Ueberfülle des später hinzugefügten
Materials fast erstickt wird. Diese Zusätze und Veränderungen gingen thuts
aus der veränderten Geschmacksrichtung hervor, theils aus dem Bedürfniß, in
einem großen Werk alles zusammenzustellen, was die indische Poesie überhaupt
geschaffen hatte, und so alle andere poetischen Werke gewissermaßen entbehrlich
zu machen, hauptsächlich aber aus dogmatischen Zwecken. In dem indischen
., Religionssystem war eine gewaltige Umwandlung vorgegangen. Auf das
Heldenzeitalter der Nation war ein dumpfes Priesterthum gefolgt, und, die
lebendigen Göttergestalten wurden durch Abstractionen und Natursymbole ver¬
drängt. Diese Umwandlung wurde nun auch mit dem Gedicht vorgenommen


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[0301] Vorstellung zu spotten. Sie zwingt mich in ihre Kreise, zwingt mich, ihren Ordnungen zu gehorchen, lacht meines Gedankens ihres Nichts als eines Hirn- gespinnstes. Und doch ist dieser Gedanke, .dieser widersinnig scheinende Ge¬ danke, was nun sein würde, wenn diese Welt nicht wäre , ein Riese, der mit dem ganzen empirischen Dasein spielt." Wir vermuthen zwar, daß in diesem philosophischen Dithyrambus irgend¬ ein Sinn sein wird, aber wir vermögen nicht, ihn zu entdecken. Goethe macht einmal die Bemerkung, in vielen von Byrons Gedichten finde er nichts, als verhaltene Parlamentsreden. So sehen wir auch in diesen Aeußerungen der speculativen Trunkenheit (etwas Aehnliches ist z. B. die Apotheose des absoluten Nichts in Werders Logik) nichts als verhaltene lyrische Gedichte. — Um aber diesen wunderlichen Einfällen eine recht feine Bemerkung entgegenzustellen, theilen wir das folgende Fragment mit S. 263: „Der ekle Götzendienst, den unsre Zeit im sogenannten Cultus des Genius treibt, wie sie Strauß, Feuer¬ bach, Herwegh, Liszt, Ronge u. s. w. vergöttert, ist nur die ihr selbst un¬ bewußte ironische Kehrseite ihres Atheismus, die-sich doch aufdrängende Noth¬ wendigkeit, das Absolute auch als ein Subject, als eine Persönlichkeit zu besitzen." — Indische Sagen. Von Dr. Adolph Holtzmann. Zweite verbesserte Anfluge in 2 Bänden. Stuttgart, Krabbe. — In einer sehr gut geschriebenen Einleitung setzt der Verfasser die Methode seiner Bearbeitung auseinander. Wenn er nicht daraus ausgegangen ist, eine bloße Uebersetzung zu geben, so lag das in der Natur des ihm vorliegenden Originals. Die beiden großen epischen Gedichte der Jndier, Mahabharata und Ramajana, sind wie die meisten Dichtungen aus der Jugendzeit der Völker, nicht aus einem Guß geschaffen, sondern sie sind durch sehr verschiedene Hände gegangen, und die Ueberarbeitungen späterer Zeitalter, die zum Theil von einer höchst abweichenden sittlichen Weltanschauung ausgingen, sind noch leicht -zu erkennen. Der Mahabharata füllt vier dicke Quartbände, in denen der ursprünglich sagenhafte Theil durch die Ueberfülle des später hinzugefügten Materials fast erstickt wird. Diese Zusätze und Veränderungen gingen thuts aus der veränderten Geschmacksrichtung hervor, theils aus dem Bedürfniß, in einem großen Werk alles zusammenzustellen, was die indische Poesie überhaupt geschaffen hatte, und so alle andere poetischen Werke gewissermaßen entbehrlich zu machen, hauptsächlich aber aus dogmatischen Zwecken. In dem indischen ., Religionssystem war eine gewaltige Umwandlung vorgegangen. Auf das Heldenzeitalter der Nation war ein dumpfes Priesterthum gefolgt, und, die lebendigen Göttergestalten wurden durch Abstractionen und Natursymbole ver¬ drängt. Diese Umwandlung wurde nun auch mit dem Gedicht vorgenommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/301>, abgerufen am 03.07.2024.