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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Pariser Brief.

Der Kaiser hat, wie vorauszusehen war, sich gedrungen gefühlt, im
Moniteur zu erklären, daß die "limites conseils" im Briefe an die Wittwe
des Marschalls Se. Arnaud unbefugterweise ihre'Adresse in England gesucht
hätten. Wenn aber der langverheißene Fall Sebastopols noch einige Zeit auf
sich warten läßt, werden die furchtsamen Räthe vielleicht Anspruch auf die
Weisheit von Propheten machen. Die politische Situation muß bald einen
andern Schwerpunkt bekommen, die Lage in der Krim mag was immer für
eine Wendung nehmen. Die Leidenschaften und Interessen, welche der Kampf
des Ostens mit dem Westen aufgerüttelt hat, fangen an, sich geltendzuma¬
chen. Um von den deutschen Verhältnissen abzusehen, deren Beurtheilung
Und Würdigung uns in diesem Augenblicke aus vielen Gründen schwer wird,
wollen wir dem keimenden Conflict zwischen Frankreich und Amerika noch ei¬
nige Betrachtungen weihen. Seit meinem letzten Berichte hat der hiesige
amerikanische Gesandte seine Beschwerde gegen die Ausweisung Soulös vor
dem Kaiser selbst angebracht. Herr Mason appellirte von der Erklärung
Drouin de Lhuys und es gab eine lebhaftere Scene, als diplomatische Ver¬
handlungen namentlich mit einem Monarchen zur Folge zu haben pflegen.
Napoleon war in seiner Ausdrucksweise wie im Tone seiner Stimme leben¬
diger als er es bei solchen Gelegenheiten zu sein pflegt, und da der amerika¬
nische Diplomat es für seine Pflicht hielt, nicht weniger entschieden sich zu geber¬
den, wurde das Zwiegespräch so nachdrücklich, als es ohne Verletzung des
Anstandes nur immer möglich ist. Der Kaiser überhörte die Forderung nach
Genugthuung und zeigte sich so erbittert, daß Herr Mason sich zurückzog, in¬
dem er sich die Möglichkeit offen ließ, ohne weiteres jeden diplomatischen
Verkehr mit Frankreich abzubrechen. Wie wir Ihnen schon mitgetheilt haben,
dürfte der amerikanische Geschäftsträger die neuen Verhaltungsbefehle seiner
Regierung abwarten, allein es ist auch möglich, daß man in Washington
auf Schwierigkeiten mit dem Westen Europas bereits gesaßt war. Die Ver¬
treter der amerikanischen Freistaaten in Europa behaupten wenigstens, daß sie
das Wetter kommen sahen und die vielbesprochene Zusammenkunft in Ostende
hatte nicht sowol eine Besprechung der amerikanischen Diplomaten wegen Cuba
zum Gegenstande, als eine Erwägung gewisser von Herrn Buchanan in Lon¬
don gemachter Erfahrungen. Ob die mehrfach behauptete Annäherung Ru߬
lands an Amerika England wirklichen Grund zum Mißtrauen gegeben oder
ob dieses Mißtrauen aus politischer Eifersucht entspringe oder von Berechnung
politischer Wahrscheinlichkeiten herrühre, kann nicht mit Bestimmtheit angege¬
ben werden -- aber jenes Mißtrauen ist vorhanden und in Washington ist


Pariser Brief.

Der Kaiser hat, wie vorauszusehen war, sich gedrungen gefühlt, im
Moniteur zu erklären, daß die „limites conseils" im Briefe an die Wittwe
des Marschalls Se. Arnaud unbefugterweise ihre'Adresse in England gesucht
hätten. Wenn aber der langverheißene Fall Sebastopols noch einige Zeit auf
sich warten läßt, werden die furchtsamen Räthe vielleicht Anspruch auf die
Weisheit von Propheten machen. Die politische Situation muß bald einen
andern Schwerpunkt bekommen, die Lage in der Krim mag was immer für
eine Wendung nehmen. Die Leidenschaften und Interessen, welche der Kampf
des Ostens mit dem Westen aufgerüttelt hat, fangen an, sich geltendzuma¬
chen. Um von den deutschen Verhältnissen abzusehen, deren Beurtheilung
Und Würdigung uns in diesem Augenblicke aus vielen Gründen schwer wird,
wollen wir dem keimenden Conflict zwischen Frankreich und Amerika noch ei¬
nige Betrachtungen weihen. Seit meinem letzten Berichte hat der hiesige
amerikanische Gesandte seine Beschwerde gegen die Ausweisung Soulös vor
dem Kaiser selbst angebracht. Herr Mason appellirte von der Erklärung
Drouin de Lhuys und es gab eine lebhaftere Scene, als diplomatische Ver¬
handlungen namentlich mit einem Monarchen zur Folge zu haben pflegen.
Napoleon war in seiner Ausdrucksweise wie im Tone seiner Stimme leben¬
diger als er es bei solchen Gelegenheiten zu sein pflegt, und da der amerika¬
nische Diplomat es für seine Pflicht hielt, nicht weniger entschieden sich zu geber¬
den, wurde das Zwiegespräch so nachdrücklich, als es ohne Verletzung des
Anstandes nur immer möglich ist. Der Kaiser überhörte die Forderung nach
Genugthuung und zeigte sich so erbittert, daß Herr Mason sich zurückzog, in¬
dem er sich die Möglichkeit offen ließ, ohne weiteres jeden diplomatischen
Verkehr mit Frankreich abzubrechen. Wie wir Ihnen schon mitgetheilt haben,
dürfte der amerikanische Geschäftsträger die neuen Verhaltungsbefehle seiner
Regierung abwarten, allein es ist auch möglich, daß man in Washington
auf Schwierigkeiten mit dem Westen Europas bereits gesaßt war. Die Ver¬
treter der amerikanischen Freistaaten in Europa behaupten wenigstens, daß sie
das Wetter kommen sahen und die vielbesprochene Zusammenkunft in Ostende
hatte nicht sowol eine Besprechung der amerikanischen Diplomaten wegen Cuba
zum Gegenstande, als eine Erwägung gewisser von Herrn Buchanan in Lon¬
don gemachter Erfahrungen. Ob die mehrfach behauptete Annäherung Ru߬
lands an Amerika England wirklichen Grund zum Mißtrauen gegeben oder
ob dieses Mißtrauen aus politischer Eifersucht entspringe oder von Berechnung
politischer Wahrscheinlichkeiten herrühre, kann nicht mit Bestimmtheit angege¬
ben werden — aber jenes Mißtrauen ist vorhanden und in Washington ist


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[0280] Pariser Brief. Der Kaiser hat, wie vorauszusehen war, sich gedrungen gefühlt, im Moniteur zu erklären, daß die „limites conseils" im Briefe an die Wittwe des Marschalls Se. Arnaud unbefugterweise ihre'Adresse in England gesucht hätten. Wenn aber der langverheißene Fall Sebastopols noch einige Zeit auf sich warten läßt, werden die furchtsamen Räthe vielleicht Anspruch auf die Weisheit von Propheten machen. Die politische Situation muß bald einen andern Schwerpunkt bekommen, die Lage in der Krim mag was immer für eine Wendung nehmen. Die Leidenschaften und Interessen, welche der Kampf des Ostens mit dem Westen aufgerüttelt hat, fangen an, sich geltendzuma¬ chen. Um von den deutschen Verhältnissen abzusehen, deren Beurtheilung Und Würdigung uns in diesem Augenblicke aus vielen Gründen schwer wird, wollen wir dem keimenden Conflict zwischen Frankreich und Amerika noch ei¬ nige Betrachtungen weihen. Seit meinem letzten Berichte hat der hiesige amerikanische Gesandte seine Beschwerde gegen die Ausweisung Soulös vor dem Kaiser selbst angebracht. Herr Mason appellirte von der Erklärung Drouin de Lhuys und es gab eine lebhaftere Scene, als diplomatische Ver¬ handlungen namentlich mit einem Monarchen zur Folge zu haben pflegen. Napoleon war in seiner Ausdrucksweise wie im Tone seiner Stimme leben¬ diger als er es bei solchen Gelegenheiten zu sein pflegt, und da der amerika¬ nische Diplomat es für seine Pflicht hielt, nicht weniger entschieden sich zu geber¬ den, wurde das Zwiegespräch so nachdrücklich, als es ohne Verletzung des Anstandes nur immer möglich ist. Der Kaiser überhörte die Forderung nach Genugthuung und zeigte sich so erbittert, daß Herr Mason sich zurückzog, in¬ dem er sich die Möglichkeit offen ließ, ohne weiteres jeden diplomatischen Verkehr mit Frankreich abzubrechen. Wie wir Ihnen schon mitgetheilt haben, dürfte der amerikanische Geschäftsträger die neuen Verhaltungsbefehle seiner Regierung abwarten, allein es ist auch möglich, daß man in Washington auf Schwierigkeiten mit dem Westen Europas bereits gesaßt war. Die Ver¬ treter der amerikanischen Freistaaten in Europa behaupten wenigstens, daß sie das Wetter kommen sahen und die vielbesprochene Zusammenkunft in Ostende hatte nicht sowol eine Besprechung der amerikanischen Diplomaten wegen Cuba zum Gegenstande, als eine Erwägung gewisser von Herrn Buchanan in Lon¬ don gemachter Erfahrungen. Ob die mehrfach behauptete Annäherung Ru߬ lands an Amerika England wirklichen Grund zum Mißtrauen gegeben oder ob dieses Mißtrauen aus politischer Eifersucht entspringe oder von Berechnung politischer Wahrscheinlichkeiten herrühre, kann nicht mit Bestimmtheit angege¬ ben werden — aber jenes Mißtrauen ist vorhanden und in Washington ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/280>, abgerufen am 22.07.2024.