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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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nähme der einen Abhandlung, die wir bei Gelegenheit des vorigen Heftes
gerügt haben, ist der ganze Inhalt desselben dem Zweck, die vaterländische
Sitte und Literatur in allen Theilen des Volks bekannt zu machen, durchaus
entsprechend und so können wir der Zeitschrift nur ein fröhliches Gedeihen
wünschen. --




Wochenbericht.

-- Wo nur Wien, das "gemüthliche" Wien,
alle die Lügen hernimmt, mit denen es seit einiger Zeit den ganzen Westen ver¬
sorgt! Bisher exportirte es nach England blos Meerschaumpfcifcn und Tabakröhren,
zwei Artikel, mit denen es in gutem Credit stand. Den Credit für seine telegraphischen
Neuigkeiten dagegen hat man ihm rasch gekündigt. Wenn ausWicn wieder gemeldet wird,
daß Sebastopol gefallen ist, trinkt kein rechtschaffener Engländer mehr eine Flasche
Port auf diese Botschaft hin. Dabei find die Wiener Depeschen so parteilos lügen¬
haft: bald melden sie, Sebastopol sei so gut wie geliefert, bald überraschen sie uns
mit der gemüthlichen Botschaft, die einem das Haar zu Berge treibt, Osten-Sacken
sei mit 40,000 Mann längst über Pcrekop hinaus, und dann wehe den braven
Soldaten Englands und Frankreichs. Kein System, keine Parteinahme im Lügen
-- das ist unverzeihlich.

Die ausführlichen Berichte unsrer, englischen Berichterstatter, die wir seit gestern
hier in Händen haben, sind, wenn auch nicht weiter als bis zum 3. October reichend,
doch mehr werth als alle telegraphischen Vorläufer. Man weiß doch, woran man
ist. Diese englischen Korrespondenten sind prächtige Menschen. Wenn auch hier und
da ein Sohn des grünen Eilands unter ihnen seiner Phantasie ein wenig die
Zügel schießen läßt, und die Dinge so ausmalt, wie sie sich ihm am Boden seines
sechsten Gläschen Whisky abspiegeln, wenn der eine auch, aus tvristischen Prin->
cipicn mehr Partei als billig ist für Admiral Dundas nimmt und Napier dagegen
einen mauldreschenden Thuuichtgnt schimpft -- -- im ganzen sind ihre Berichte
doch verläßlich, wenigstens ebenso getreu als die des Pariser Moniteurs. So ein
englischer Korrespondent verläßt Weib und Kind, packt ein großes Schreibzeug und
ein kleines Klciderränzel zusammen, sagt seinen Freunden goacl dz-v und treibt sich
ehrlich aus Schlachtfeldern, in Laufgräben, aus Schiffsvcrdecken, in Cholcraspitälern
herum, schreibt gewissenhaft, was er gesehen und gehört, und wenn er ersäuft, er¬
schossen, erstochen wird, nun dann ist er todt wie ein andrer Mensch, und wenn
er mit heiler Haut zurückkommt, dann ist er auch wieder da wie ein andrer Mensch,
bringt höchstens aus fremdem Lande einen Schnurrbart, das theure, Laster des
Tabakrauchens und ein Heft voll Notizen mit; daraus schreibt er sich ein Buch zu¬
sammen, gut oder schlecht wie ers eben versteht, und sucht sich einen Verleger.
Wohl dem, der einen findet. -- Er selbst tritt wieder in den Stab seiner Zeitung
zurück. Nachdem er ein Jahrlang lange blutige Schlachten, verwickelte Manövers,
Heldenthaten, Seestürme und diverse Bombardements geschildert hat, ruht er sich


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nähme der einen Abhandlung, die wir bei Gelegenheit des vorigen Heftes
gerügt haben, ist der ganze Inhalt desselben dem Zweck, die vaterländische
Sitte und Literatur in allen Theilen des Volks bekannt zu machen, durchaus
entsprechend und so können wir der Zeitschrift nur ein fröhliches Gedeihen
wünschen. —




Wochenbericht.

— Wo nur Wien, das „gemüthliche" Wien,
alle die Lügen hernimmt, mit denen es seit einiger Zeit den ganzen Westen ver¬
sorgt! Bisher exportirte es nach England blos Meerschaumpfcifcn und Tabakröhren,
zwei Artikel, mit denen es in gutem Credit stand. Den Credit für seine telegraphischen
Neuigkeiten dagegen hat man ihm rasch gekündigt. Wenn ausWicn wieder gemeldet wird,
daß Sebastopol gefallen ist, trinkt kein rechtschaffener Engländer mehr eine Flasche
Port auf diese Botschaft hin. Dabei find die Wiener Depeschen so parteilos lügen¬
haft: bald melden sie, Sebastopol sei so gut wie geliefert, bald überraschen sie uns
mit der gemüthlichen Botschaft, die einem das Haar zu Berge treibt, Osten-Sacken
sei mit 40,000 Mann längst über Pcrekop hinaus, und dann wehe den braven
Soldaten Englands und Frankreichs. Kein System, keine Parteinahme im Lügen
— das ist unverzeihlich.

Die ausführlichen Berichte unsrer, englischen Berichterstatter, die wir seit gestern
hier in Händen haben, sind, wenn auch nicht weiter als bis zum 3. October reichend,
doch mehr werth als alle telegraphischen Vorläufer. Man weiß doch, woran man
ist. Diese englischen Korrespondenten sind prächtige Menschen. Wenn auch hier und
da ein Sohn des grünen Eilands unter ihnen seiner Phantasie ein wenig die
Zügel schießen läßt, und die Dinge so ausmalt, wie sie sich ihm am Boden seines
sechsten Gläschen Whisky abspiegeln, wenn der eine auch, aus tvristischen Prin->
cipicn mehr Partei als billig ist für Admiral Dundas nimmt und Napier dagegen
einen mauldreschenden Thuuichtgnt schimpft — — im ganzen sind ihre Berichte
doch verläßlich, wenigstens ebenso getreu als die des Pariser Moniteurs. So ein
englischer Korrespondent verläßt Weib und Kind, packt ein großes Schreibzeug und
ein kleines Klciderränzel zusammen, sagt seinen Freunden goacl dz-v und treibt sich
ehrlich aus Schlachtfeldern, in Laufgräben, aus Schiffsvcrdecken, in Cholcraspitälern
herum, schreibt gewissenhaft, was er gesehen und gehört, und wenn er ersäuft, er¬
schossen, erstochen wird, nun dann ist er todt wie ein andrer Mensch, und wenn
er mit heiler Haut zurückkommt, dann ist er auch wieder da wie ein andrer Mensch,
bringt höchstens aus fremdem Lande einen Schnurrbart, das theure, Laster des
Tabakrauchens und ein Heft voll Notizen mit; daraus schreibt er sich ein Buch zu¬
sammen, gut oder schlecht wie ers eben versteht, und sucht sich einen Verleger.
Wohl dem, der einen findet. — Er selbst tritt wieder in den Stab seiner Zeitung
zurück. Nachdem er ein Jahrlang lange blutige Schlachten, verwickelte Manövers,
Heldenthaten, Seestürme und diverse Bombardements geschildert hat, ruht er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/203>, abgerufen am 22.07.2024.