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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Das Interesse sämmtlicher deutschen Fürsten, vom Kaiser von Oestreich
bis zum Großherzog von Hessendarmstadt, erheischt mit unerbittlicher Logik, daß
Preußen nicht vergrößert, daß es womöglich verkleinert werde. Abgesehen von
den speciellen Wünschen einzelner Staaten, z. B. in Beziehung auf Schlesien,
aus PreußM-Sachsen, auf die Rheinprovinz u. s. w. wissen alle deutsche Re¬
gierungen sehr wohl, daß es, ganz abgesehen von der Persönlichkeit des Mon¬
archen und seiner Minister, in der Tendenz des preußischen Staates, dessen
einzelne Besitzungen auf das wüsteste durcheinandergeworfen sind, nothwendig
liegen muß, sich, nach den, Kunstausdruck des vorigen Jahrhunderts, zu arron-
diren, d. h. sich auf Kosten seiner Nachbarn zu vergrößern. Diese vom preu¬
ßischen Wesen unzertrennliche Tendenz stimmt natürlich sehr schlecht zum Inter¬
esse seiner Nachbarstaaten. Solange Deutschland als eine Einheit auftritt
oder solange Preußen durch das nationale Bewußtsein des Volks getragen
wird, tritt dieses Interesse zurück und' wird durch den allgemeinen Patriotismus
zum Schweigen gebracht. Sobald aber das staatsrechtliche Band Deutschlands
sich auflöst, sobald die nationale Stimmung sich nicht deutlich ausspricht oder
sich wol gar gegen Preußen wendet, tritt augenblicklich das natürliche Interesse
wieder hervor, und wir glauben mit mathematischer Gewißheit den Schlußsatz
feststellen zu können: daß es in diesem Fall sämmtliche deutsche Staaten, viel¬
leicht die kleinen Unionsstaaten ausgenommen (und auch von diesen ist es sehr
zweifelhaft), es mit Oestreich und gegen Preußen halten werden: gleichviel, was
dieser letzten Entscheidung vorausgegangen ist.

Wir wiederholen noch einmal, daß wir es auf das lebhafteste hoffen und
wünschen, eine solche Eventualität möge nie eintreten. Allein die preußische
Regierung, wenn sie sich eine Wahl zwischen Oestreich und Rußland als mög¬
lich denkt, muß sie doch in Rechnung bringen, und ein Rechnungsfehler wäre
hier gradezu der Untergang des Staates.




Seit drei Tagen hat der heftige Sturm nachgelassen, welcher eine ganze
Woche hindurch die Fluten des Eurin aufwühlte und für lange Zeit die eben
jetzt so unschätzbar wichtige Verbindung dieses Platzes mit Konstantinopel
sowol, wie mit den Gegenküsten, im besonderen mit der Krim aufhob. Denn
kein Dampfer wagte den Ankergrund von Varnabay zu verlassen, und anderer¬
seits hatte der Telegraph auf dem weit vorgreifenden Cap Galata nur flüch¬
tige Kauffahrer zu signalisiren, die, vor Top und Takel treibend, die hohe


Das Interesse sämmtlicher deutschen Fürsten, vom Kaiser von Oestreich
bis zum Großherzog von Hessendarmstadt, erheischt mit unerbittlicher Logik, daß
Preußen nicht vergrößert, daß es womöglich verkleinert werde. Abgesehen von
den speciellen Wünschen einzelner Staaten, z. B. in Beziehung auf Schlesien,
aus PreußM-Sachsen, auf die Rheinprovinz u. s. w. wissen alle deutsche Re¬
gierungen sehr wohl, daß es, ganz abgesehen von der Persönlichkeit des Mon¬
archen und seiner Minister, in der Tendenz des preußischen Staates, dessen
einzelne Besitzungen auf das wüsteste durcheinandergeworfen sind, nothwendig
liegen muß, sich, nach den, Kunstausdruck des vorigen Jahrhunderts, zu arron-
diren, d. h. sich auf Kosten seiner Nachbarn zu vergrößern. Diese vom preu¬
ßischen Wesen unzertrennliche Tendenz stimmt natürlich sehr schlecht zum Inter¬
esse seiner Nachbarstaaten. Solange Deutschland als eine Einheit auftritt
oder solange Preußen durch das nationale Bewußtsein des Volks getragen
wird, tritt dieses Interesse zurück und' wird durch den allgemeinen Patriotismus
zum Schweigen gebracht. Sobald aber das staatsrechtliche Band Deutschlands
sich auflöst, sobald die nationale Stimmung sich nicht deutlich ausspricht oder
sich wol gar gegen Preußen wendet, tritt augenblicklich das natürliche Interesse
wieder hervor, und wir glauben mit mathematischer Gewißheit den Schlußsatz
feststellen zu können: daß es in diesem Fall sämmtliche deutsche Staaten, viel¬
leicht die kleinen Unionsstaaten ausgenommen (und auch von diesen ist es sehr
zweifelhaft), es mit Oestreich und gegen Preußen halten werden: gleichviel, was
dieser letzten Entscheidung vorausgegangen ist.

Wir wiederholen noch einmal, daß wir es auf das lebhafteste hoffen und
wünschen, eine solche Eventualität möge nie eintreten. Allein die preußische
Regierung, wenn sie sich eine Wahl zwischen Oestreich und Rußland als mög¬
lich denkt, muß sie doch in Rechnung bringen, und ein Rechnungsfehler wäre
hier gradezu der Untergang des Staates.




Seit drei Tagen hat der heftige Sturm nachgelassen, welcher eine ganze
Woche hindurch die Fluten des Eurin aufwühlte und für lange Zeit die eben
jetzt so unschätzbar wichtige Verbindung dieses Platzes mit Konstantinopel
sowol, wie mit den Gegenküsten, im besonderen mit der Krim aufhob. Denn
kein Dampfer wagte den Ankergrund von Varnabay zu verlassen, und anderer¬
seits hatte der Telegraph auf dem weit vorgreifenden Cap Galata nur flüch¬
tige Kauffahrer zu signalisiren, die, vor Top und Takel treibend, die hohe


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[0195] Das Interesse sämmtlicher deutschen Fürsten, vom Kaiser von Oestreich bis zum Großherzog von Hessendarmstadt, erheischt mit unerbittlicher Logik, daß Preußen nicht vergrößert, daß es womöglich verkleinert werde. Abgesehen von den speciellen Wünschen einzelner Staaten, z. B. in Beziehung auf Schlesien, aus PreußM-Sachsen, auf die Rheinprovinz u. s. w. wissen alle deutsche Re¬ gierungen sehr wohl, daß es, ganz abgesehen von der Persönlichkeit des Mon¬ archen und seiner Minister, in der Tendenz des preußischen Staates, dessen einzelne Besitzungen auf das wüsteste durcheinandergeworfen sind, nothwendig liegen muß, sich, nach den, Kunstausdruck des vorigen Jahrhunderts, zu arron- diren, d. h. sich auf Kosten seiner Nachbarn zu vergrößern. Diese vom preu¬ ßischen Wesen unzertrennliche Tendenz stimmt natürlich sehr schlecht zum Inter¬ esse seiner Nachbarstaaten. Solange Deutschland als eine Einheit auftritt oder solange Preußen durch das nationale Bewußtsein des Volks getragen wird, tritt dieses Interesse zurück und' wird durch den allgemeinen Patriotismus zum Schweigen gebracht. Sobald aber das staatsrechtliche Band Deutschlands sich auflöst, sobald die nationale Stimmung sich nicht deutlich ausspricht oder sich wol gar gegen Preußen wendet, tritt augenblicklich das natürliche Interesse wieder hervor, und wir glauben mit mathematischer Gewißheit den Schlußsatz feststellen zu können: daß es in diesem Fall sämmtliche deutsche Staaten, viel¬ leicht die kleinen Unionsstaaten ausgenommen (und auch von diesen ist es sehr zweifelhaft), es mit Oestreich und gegen Preußen halten werden: gleichviel, was dieser letzten Entscheidung vorausgegangen ist. Wir wiederholen noch einmal, daß wir es auf das lebhafteste hoffen und wünschen, eine solche Eventualität möge nie eintreten. Allein die preußische Regierung, wenn sie sich eine Wahl zwischen Oestreich und Rußland als mög¬ lich denkt, muß sie doch in Rechnung bringen, und ein Rechnungsfehler wäre hier gradezu der Untergang des Staates. Seit drei Tagen hat der heftige Sturm nachgelassen, welcher eine ganze Woche hindurch die Fluten des Eurin aufwühlte und für lange Zeit die eben jetzt so unschätzbar wichtige Verbindung dieses Platzes mit Konstantinopel sowol, wie mit den Gegenküsten, im besonderen mit der Krim aufhob. Denn kein Dampfer wagte den Ankergrund von Varnabay zu verlassen, und anderer¬ seits hatte der Telegraph auf dem weit vorgreifenden Cap Galata nur flüch¬ tige Kauffahrer zu signalisiren, die, vor Top und Takel treibend, die hohe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/195>, abgerufen am 28.12.2024.