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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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See zu halten suchten oder bemüht waren, die sichere Bucht von Burgas zu
gewinnen. Dermaßen war das Meer aufgestürmt, daß die Wellen hoch an
dem Steilufer hinanliefen, mit dem der Strand bei Varna zur See abstürzt
und dann und wann weiße Schaumflocken über die Mauer sprühten, welche
die Festung auf der Wasserseite abschließt.

Man schifft eben weitere Truppenmassen nach der Krim ein, und, wenn
ich recht berichtet worden bin, werden von den 13,000 Mann, die sich in
Varna und dessen Umgegend noch befinden, mindestens 10,000 Mann den
alliirten Erpeditionsarmeen nachgesendet werden. In Uebereinstimmung mit
dieser Maßregel sind Befehle nach Gallipoli abgefertigt worden, die sämmtliche
dort zurückgebliebene Streitkräfte ebenfalls nach der Halbinsel beordern.
Auch höre ich, daß man in Stambul die Einschiffung von 3000 Mann tür¬
kischer Reservetruppen für die Krim vorbereitet.

Die Macht, welche bis dahin nach der Krim geworfen worden ist, kann
auf etwa 63,000 Mann angeschlagen werden. Man dürfte nicht zu hoch
greifen, wenn man annimmt, daß der Nachschub von hier aus, von Stambul
und Gallipoli, sie auf 83--90,000 Mann bringen wird, d. h. auf ein Stärke¬
maß, welches für alle Vorkommnisse ausreichend sein wird. Denn es man¬
gelt den Russen an dem nothwendigen Unternehmungsgeist, um einen bedeu¬
tenden Theil der Donauarmee nach dem Isthmus von Perekop zu transpor-
tiren; auch dürfte dies, nachdem man ungenützt die Monate August und
September hat verstreichen lassen, jetzt nicht mehr möglich sein.

Der Tod des Marschall Se. Arnaud wurde hier am Sonntag (I.October)
Abends bekannt, und hat nicht verfehlt, einiges Aufsehen zu erregen, wenn
auch der Verstorbene nicht eben die Liebe der französischen Armee besaß. Man
sagt ganz laut, daß der Kaiser Napoleon M. sich zu diesem Trauerfalle Glück
zu wünschen habe. Wie Sie sich denken' können sind die militärischen Vor¬
gänge in Taurien Gegenstand aller Gespräche im hiesigen Lager. Man dis-
cutirt mit Lebhaftigkeit die Frage: wann Sebastopol fallen werde, und die
französischen Hcißköpse wollen kaum bis zur Mitte des Monats warten; früher
indeß dürfte auf keinen Fall das große und heiß erwünschte Ereigniß eintreten.

Omer Pascha hatte aus seinem Hauptquartier zu Bukarest einen jungen
türkischen Generalstabshauptmann hierher gesendet, um sich von hieraus über
die Vorgänge auf der wünschen Halbinsel Bericht erstatten zu lassen. Der
junge Offizier konnte indeß hier so wenige Nachrichten von wirklichem Werthe
einziehen, daß er es vorzog, sich nach dem fraglichen Kriegsschauplatz selbst
einzuschiffen. Am Sonnabend ging er auf einer türkischen Dampfsregatte dahin
ab. Ich führe dies absichtlich an, um Ihnen damit die Schwierigkeiten zu
bezeichnen, welche es hat, sich anderwärts als an Ort und Stelle über die
Ereignisse zu orientiren.


See zu halten suchten oder bemüht waren, die sichere Bucht von Burgas zu
gewinnen. Dermaßen war das Meer aufgestürmt, daß die Wellen hoch an
dem Steilufer hinanliefen, mit dem der Strand bei Varna zur See abstürzt
und dann und wann weiße Schaumflocken über die Mauer sprühten, welche
die Festung auf der Wasserseite abschließt.

Man schifft eben weitere Truppenmassen nach der Krim ein, und, wenn
ich recht berichtet worden bin, werden von den 13,000 Mann, die sich in
Varna und dessen Umgegend noch befinden, mindestens 10,000 Mann den
alliirten Erpeditionsarmeen nachgesendet werden. In Uebereinstimmung mit
dieser Maßregel sind Befehle nach Gallipoli abgefertigt worden, die sämmtliche
dort zurückgebliebene Streitkräfte ebenfalls nach der Halbinsel beordern.
Auch höre ich, daß man in Stambul die Einschiffung von 3000 Mann tür¬
kischer Reservetruppen für die Krim vorbereitet.

Die Macht, welche bis dahin nach der Krim geworfen worden ist, kann
auf etwa 63,000 Mann angeschlagen werden. Man dürfte nicht zu hoch
greifen, wenn man annimmt, daß der Nachschub von hier aus, von Stambul
und Gallipoli, sie auf 83—90,000 Mann bringen wird, d. h. auf ein Stärke¬
maß, welches für alle Vorkommnisse ausreichend sein wird. Denn es man¬
gelt den Russen an dem nothwendigen Unternehmungsgeist, um einen bedeu¬
tenden Theil der Donauarmee nach dem Isthmus von Perekop zu transpor-
tiren; auch dürfte dies, nachdem man ungenützt die Monate August und
September hat verstreichen lassen, jetzt nicht mehr möglich sein.

Der Tod des Marschall Se. Arnaud wurde hier am Sonntag (I.October)
Abends bekannt, und hat nicht verfehlt, einiges Aufsehen zu erregen, wenn
auch der Verstorbene nicht eben die Liebe der französischen Armee besaß. Man
sagt ganz laut, daß der Kaiser Napoleon M. sich zu diesem Trauerfalle Glück
zu wünschen habe. Wie Sie sich denken' können sind die militärischen Vor¬
gänge in Taurien Gegenstand aller Gespräche im hiesigen Lager. Man dis-
cutirt mit Lebhaftigkeit die Frage: wann Sebastopol fallen werde, und die
französischen Hcißköpse wollen kaum bis zur Mitte des Monats warten; früher
indeß dürfte auf keinen Fall das große und heiß erwünschte Ereigniß eintreten.

Omer Pascha hatte aus seinem Hauptquartier zu Bukarest einen jungen
türkischen Generalstabshauptmann hierher gesendet, um sich von hieraus über
die Vorgänge auf der wünschen Halbinsel Bericht erstatten zu lassen. Der
junge Offizier konnte indeß hier so wenige Nachrichten von wirklichem Werthe
einziehen, daß er es vorzog, sich nach dem fraglichen Kriegsschauplatz selbst
einzuschiffen. Am Sonnabend ging er auf einer türkischen Dampfsregatte dahin
ab. Ich führe dies absichtlich an, um Ihnen damit die Schwierigkeiten zu
bezeichnen, welche es hat, sich anderwärts als an Ort und Stelle über die
Ereignisse zu orientiren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/196>, abgerufen am 22.07.2024.