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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Bildende Kunst.
Fingerzeige auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst von August Reichens¬
perger. Nebst einem Titelkupfer, 31 Tafeln mit 125 Abbildungen.
Leipzig, Weigel. --

Wir finden uns Herrn Reichensperger gegenüber in einer eigenthümlichen
Lage. Fast jede seiner Schriften enthält viele Einzelnheiten, die uns aus der
Seele gesprochen sind und die-uns wünschen lassen, daß wir auch mit dem
Ganzen übereinstimmen könnten. Und doch müssen wir sehr bald gewahr wer¬
den, daß unsre Ansichten von den seinigen durch eine unübersteigliche Kluft
getrennt sind. Wir können uns diesen Widerspruch auch nicht daraus erklä¬
ren, daß wir ihm Inconsequenzen nachweisen; er entwickelt vielmehr eine
Folgerichtigkeit, die in ihrem Kreise vollkommen zu Hause ist, die jedem Rede
steht, die sich vor keiner Anklage scheut, und wir haben uns nnr darüber zu
verwundern, daß ein so hochgebildeter Mann sich, wie es scheint, mit voller
Seele in eine Anschauungsweise vertieft hat, die uns wie ein Schattenbild
vergangener Zeiten ansieht. Es ist eine sonderbare Erscheinung M unsrer
Zeit, daß bei dem schärfsten Denken sich zuweilen die Kernpunkte des Denkens
der Logik entziehen, daß hier die Phantasie ein freies Spiel treibt, ohne daß
man doch von einer wirklichen Leidenschaft reden könnte. Denn das müssen
wir offen aussprechen, wenn wir auch keinen Verdacht haben, daß Herr
Reichensperger etwas sagt, was er nicht wirklich glaubt, so macht er ans uns
doch nicht jenen imponirenden Eindruck, den der echte Glaube überall hervor¬
ruft, auch wo man ihn für einen sinnlosen Fanatismus halten muß. Der
echte Gläubige tritt uns mit der Gewalt einer Naturkraft gegenüber, gegen die
wir ankämpfen, bei der wir aber auf keine innere Vermittlung rechnen können.
Herrn Reichensperger gegenüber aber befinden wir uns auf.gleichem Niveau,
und wir würden ihm gegenüber mit vollkommener Offenheit und Unbefangen¬
heit zu Werke gehen, wenn uns äußerliche Gründe es verstatteten. Es sind
wunderliche Leute diese Ultramontanen. "Möchte nur erst einmal Luft und
Sonne unter den Streitenden oder beziehungsweise Wetteifernden gleich getheilt
sein!" so sagt Herr Reichensperger S. 1ö. und wir stimmen aus vollster
Seele in diesen Stoßseufzer ein. Nur finden wir die gegenwärtige Theilung
der Luft und des Lichts nicht so, wie unser Verfasser sie darstellt. Würden
wir den Ton, mit dem er die Aufklärung bespricht, gegen den Katholicismus
anwenden", so würde man uns Luft und Licht überhaupt versagen, d. h. man
würde uns einsperren, und zwar in einem protestantischen Staat ebensogut
wie in einem katholischen. Wenn es Herr Reichensperger dahin bringen kann,
daß von Staatswegen in religiösen Dingen die Presse frei gegeben wird, wobei


Bildende Kunst.
Fingerzeige auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst von August Reichens¬
perger. Nebst einem Titelkupfer, 31 Tafeln mit 125 Abbildungen.
Leipzig, Weigel. —

Wir finden uns Herrn Reichensperger gegenüber in einer eigenthümlichen
Lage. Fast jede seiner Schriften enthält viele Einzelnheiten, die uns aus der
Seele gesprochen sind und die-uns wünschen lassen, daß wir auch mit dem
Ganzen übereinstimmen könnten. Und doch müssen wir sehr bald gewahr wer¬
den, daß unsre Ansichten von den seinigen durch eine unübersteigliche Kluft
getrennt sind. Wir können uns diesen Widerspruch auch nicht daraus erklä¬
ren, daß wir ihm Inconsequenzen nachweisen; er entwickelt vielmehr eine
Folgerichtigkeit, die in ihrem Kreise vollkommen zu Hause ist, die jedem Rede
steht, die sich vor keiner Anklage scheut, und wir haben uns nnr darüber zu
verwundern, daß ein so hochgebildeter Mann sich, wie es scheint, mit voller
Seele in eine Anschauungsweise vertieft hat, die uns wie ein Schattenbild
vergangener Zeiten ansieht. Es ist eine sonderbare Erscheinung M unsrer
Zeit, daß bei dem schärfsten Denken sich zuweilen die Kernpunkte des Denkens
der Logik entziehen, daß hier die Phantasie ein freies Spiel treibt, ohne daß
man doch von einer wirklichen Leidenschaft reden könnte. Denn das müssen
wir offen aussprechen, wenn wir auch keinen Verdacht haben, daß Herr
Reichensperger etwas sagt, was er nicht wirklich glaubt, so macht er ans uns
doch nicht jenen imponirenden Eindruck, den der echte Glaube überall hervor¬
ruft, auch wo man ihn für einen sinnlosen Fanatismus halten muß. Der
echte Gläubige tritt uns mit der Gewalt einer Naturkraft gegenüber, gegen die
wir ankämpfen, bei der wir aber auf keine innere Vermittlung rechnen können.
Herrn Reichensperger gegenüber aber befinden wir uns auf.gleichem Niveau,
und wir würden ihm gegenüber mit vollkommener Offenheit und Unbefangen¬
heit zu Werke gehen, wenn uns äußerliche Gründe es verstatteten. Es sind
wunderliche Leute diese Ultramontanen. „Möchte nur erst einmal Luft und
Sonne unter den Streitenden oder beziehungsweise Wetteifernden gleich getheilt
sein!" so sagt Herr Reichensperger S. 1ö. und wir stimmen aus vollster
Seele in diesen Stoßseufzer ein. Nur finden wir die gegenwärtige Theilung
der Luft und des Lichts nicht so, wie unser Verfasser sie darstellt. Würden
wir den Ton, mit dem er die Aufklärung bespricht, gegen den Katholicismus
anwenden», so würde man uns Luft und Licht überhaupt versagen, d. h. man
würde uns einsperren, und zwar in einem protestantischen Staat ebensogut
wie in einem katholischen. Wenn es Herr Reichensperger dahin bringen kann,
daß von Staatswegen in religiösen Dingen die Presse frei gegeben wird, wobei


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[0142] Bildende Kunst. Fingerzeige auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst von August Reichens¬ perger. Nebst einem Titelkupfer, 31 Tafeln mit 125 Abbildungen. Leipzig, Weigel. — Wir finden uns Herrn Reichensperger gegenüber in einer eigenthümlichen Lage. Fast jede seiner Schriften enthält viele Einzelnheiten, die uns aus der Seele gesprochen sind und die-uns wünschen lassen, daß wir auch mit dem Ganzen übereinstimmen könnten. Und doch müssen wir sehr bald gewahr wer¬ den, daß unsre Ansichten von den seinigen durch eine unübersteigliche Kluft getrennt sind. Wir können uns diesen Widerspruch auch nicht daraus erklä¬ ren, daß wir ihm Inconsequenzen nachweisen; er entwickelt vielmehr eine Folgerichtigkeit, die in ihrem Kreise vollkommen zu Hause ist, die jedem Rede steht, die sich vor keiner Anklage scheut, und wir haben uns nnr darüber zu verwundern, daß ein so hochgebildeter Mann sich, wie es scheint, mit voller Seele in eine Anschauungsweise vertieft hat, die uns wie ein Schattenbild vergangener Zeiten ansieht. Es ist eine sonderbare Erscheinung M unsrer Zeit, daß bei dem schärfsten Denken sich zuweilen die Kernpunkte des Denkens der Logik entziehen, daß hier die Phantasie ein freies Spiel treibt, ohne daß man doch von einer wirklichen Leidenschaft reden könnte. Denn das müssen wir offen aussprechen, wenn wir auch keinen Verdacht haben, daß Herr Reichensperger etwas sagt, was er nicht wirklich glaubt, so macht er ans uns doch nicht jenen imponirenden Eindruck, den der echte Glaube überall hervor¬ ruft, auch wo man ihn für einen sinnlosen Fanatismus halten muß. Der echte Gläubige tritt uns mit der Gewalt einer Naturkraft gegenüber, gegen die wir ankämpfen, bei der wir aber auf keine innere Vermittlung rechnen können. Herrn Reichensperger gegenüber aber befinden wir uns auf.gleichem Niveau, und wir würden ihm gegenüber mit vollkommener Offenheit und Unbefangen¬ heit zu Werke gehen, wenn uns äußerliche Gründe es verstatteten. Es sind wunderliche Leute diese Ultramontanen. „Möchte nur erst einmal Luft und Sonne unter den Streitenden oder beziehungsweise Wetteifernden gleich getheilt sein!" so sagt Herr Reichensperger S. 1ö. und wir stimmen aus vollster Seele in diesen Stoßseufzer ein. Nur finden wir die gegenwärtige Theilung der Luft und des Lichts nicht so, wie unser Verfasser sie darstellt. Würden wir den Ton, mit dem er die Aufklärung bespricht, gegen den Katholicismus anwenden», so würde man uns Luft und Licht überhaupt versagen, d. h. man würde uns einsperren, und zwar in einem protestantischen Staat ebensogut wie in einem katholischen. Wenn es Herr Reichensperger dahin bringen kann, daß von Staatswegen in religiösen Dingen die Presse frei gegeben wird, wobei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/142>, abgerufen am 28.12.2024.