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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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nach ihren antiken Elementen unbefangen darstellen will, so wird man wol
zunächst die müßige Frage nach der Zurechnung der einzelnen beseitigen müssen.
Es war natürlich, daß bei der Richtung des Geistes, die als Resultat des
18. Jahrhunderts gewonnen war, Goethe, Schiller und ihre Freunde nach
einer Bildungöform zurückgriffen, welche dem Ideal der reinen Menschheit
wenigstens am nächsten stand, und wer sie deshalb tadeln wollte, würde thöricht
handeln. Wenn man indeß behauptet, daß durch diese Vertiefung in den Geist
einer uns fremden Bildung, wodurch der Inhalt der Kunstwelt von dem
Inhalt der Wirklichkeit getrennt wurde, ein classisches Zeitalter der deutschen
Literatur in dem Sinne, wie es ini Alterthum die Griechen und in neuerer
Zeit die Italiener, die Engländer, Franzosen und Spanier gehabt haben, für
Deutschland unmöglich gemacht wurde, weil ein classisches Zeitalter nur das¬
jenige genannt werden kann, in welchem die Nation das Publicum der Poeten
und das sittliche Bewußtsein der Nation zugleich der Inhalt der Poesie ist: --
wenn man dies behauptet und infolge dessen die spätere chaotische Verwirrung
der Literatur als eine Folge des falschen Idealismus unsrer großen Dichter
darstellt, so liegt darin doch wol nicht ein Tadel gegen jene Dichter, sondern
die einfache Darlegung eines Naturprocesses, und Herr ChvleviuS sollte beim
zweiten Theile seines Werks diese Auffassung ohne alle Beimischung eines
patriotischen Gefühls einer ruhigen Prüfung unterziehen.




Länder- und Völkerkunde.
Australien. Geschichte und Beschreibung der drei australischen Kolonien: Neu-
Süd-Wales, Victoria nud Süd-Australien. Von Samuel Sidney. Aus
dem Englischen von Volckhausen. Hamburg, Meißner. --

Das Original hat ursprünglich einen politischen Zweck. Es galt, die
Mißbräuche der Verwaltung der australischen Kolonien hervorzuheben und auf
eine Abstellung derselben hinzuwirken. Allein die Schrift hat noch ein weiter¬
gehendes Interesse, und der Uebersetzer hat daher ganz recht daran gethan, si^
dem deutschen Publicum bekannt zu machen. Es ist nämlich darin eine mit
Urkunden belegte, höchst ausführliche Geschichte der Ansiedlung, die auch unser
deutsches Publicum ernsthaft beschäftigen muß, weil das merkwürdige Problem,
wie auf einer ganz ungesunden und unnatürlichen Basis sich doch eine tüchtige
Organisation entwickeln kann, scharfsinnig behandelt ist. -- Die erste Spur, daß
die Strafe der Verbannung gesetzlich bestimmt sei, findet sich zu den Zeiten der
Elisabeth, wo eine Parlamentsacte zur Verbannung der Landstreicher und
Vagabunden ermächtigt. Diese Acte änderte Jacob l. dahin ab, daß die Ver-


nach ihren antiken Elementen unbefangen darstellen will, so wird man wol
zunächst die müßige Frage nach der Zurechnung der einzelnen beseitigen müssen.
Es war natürlich, daß bei der Richtung des Geistes, die als Resultat des
18. Jahrhunderts gewonnen war, Goethe, Schiller und ihre Freunde nach
einer Bildungöform zurückgriffen, welche dem Ideal der reinen Menschheit
wenigstens am nächsten stand, und wer sie deshalb tadeln wollte, würde thöricht
handeln. Wenn man indeß behauptet, daß durch diese Vertiefung in den Geist
einer uns fremden Bildung, wodurch der Inhalt der Kunstwelt von dem
Inhalt der Wirklichkeit getrennt wurde, ein classisches Zeitalter der deutschen
Literatur in dem Sinne, wie es ini Alterthum die Griechen und in neuerer
Zeit die Italiener, die Engländer, Franzosen und Spanier gehabt haben, für
Deutschland unmöglich gemacht wurde, weil ein classisches Zeitalter nur das¬
jenige genannt werden kann, in welchem die Nation das Publicum der Poeten
und das sittliche Bewußtsein der Nation zugleich der Inhalt der Poesie ist: —
wenn man dies behauptet und infolge dessen die spätere chaotische Verwirrung
der Literatur als eine Folge des falschen Idealismus unsrer großen Dichter
darstellt, so liegt darin doch wol nicht ein Tadel gegen jene Dichter, sondern
die einfache Darlegung eines Naturprocesses, und Herr ChvleviuS sollte beim
zweiten Theile seines Werks diese Auffassung ohne alle Beimischung eines
patriotischen Gefühls einer ruhigen Prüfung unterziehen.




Länder- und Völkerkunde.
Australien. Geschichte und Beschreibung der drei australischen Kolonien: Neu-
Süd-Wales, Victoria nud Süd-Australien. Von Samuel Sidney. Aus
dem Englischen von Volckhausen. Hamburg, Meißner. —

Das Original hat ursprünglich einen politischen Zweck. Es galt, die
Mißbräuche der Verwaltung der australischen Kolonien hervorzuheben und auf
eine Abstellung derselben hinzuwirken. Allein die Schrift hat noch ein weiter¬
gehendes Interesse, und der Uebersetzer hat daher ganz recht daran gethan, si^
dem deutschen Publicum bekannt zu machen. Es ist nämlich darin eine mit
Urkunden belegte, höchst ausführliche Geschichte der Ansiedlung, die auch unser
deutsches Publicum ernsthaft beschäftigen muß, weil das merkwürdige Problem,
wie auf einer ganz ungesunden und unnatürlichen Basis sich doch eine tüchtige
Organisation entwickeln kann, scharfsinnig behandelt ist. — Die erste Spur, daß
die Strafe der Verbannung gesetzlich bestimmt sei, findet sich zu den Zeiten der
Elisabeth, wo eine Parlamentsacte zur Verbannung der Landstreicher und
Vagabunden ermächtigt. Diese Acte änderte Jacob l. dahin ab, daß die Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/508>, abgerufen am 31.08.2024.