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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zu ertödten. Es entfernt aus dem Bewußtsein seines Opfers alle ablenkenden
Gedanken, alle edeln und heiligen Empfindungen, um ihn ausschließlich in das
brennende Verlangen des Gewinns zu spannen. So müßte es nothwendig in
den Tod des Körpers und der Seele auslaufen, wäre nicht in den meisten
Fällen der Stoff des wahnsinnigen Spielers bald erschöpft. Wo aber nicht das
Aeußerste, da ruft es doch die unheilvollsten Verirrungen des Willens, lang¬
dauernde und gefährliche Einflüsse aus den ganzen Organismus hervor. Das
thut es grade an denjenigen Orten, denen vorzugsweise kranke, der Heilung
bedürftige Personen zuströmen, für die jede Aufregung während der Cur rasch¬
wirkendes Gift zu sein Pflegt.

Fragen wir endlich die öffentliche Sittlichkeit. Sie schüttelt den Kopf
schon, wenn nur von unschuldigem Whist oder Lhombre als von einer Ge¬
wohnheit des täglichen Lebens die Rede ist. Denn um von der Psychologie
zu schweigen, so hat sie schon aus der Physiognomik erfahren, daß gewohnheits¬
mäßiges Kartenspiel den Zügen bald stärker, bald schwächer einen lauernden,
begehrlichen Ausdruck mittheilt. Wie vielmehr das Glücksspiel? Es gebiert
nicht das Vergnügen, sondern die Leidenschaft, und unter der wüsten Allein¬
gewalt dieser Leidenschaften muß ja die schöne Reihe menschlicher Tugenden
von der ersten bis zur letzten zu Grunde gehen. Zwei Eigenschaften, die das
Jahrhundert und die Wissenschaft des gesellschaftlichen Haushalts mit Recht
im höchsten Preise halten, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, verschwinden wie mit
den Wurzeln ausgerottet, wo das Spiel sein häßliches Gesicht erhebt. Ihre
Schwestern vermögen natürlich nicht auszuharren, denn die feindliche Schar
der Laster und Verbrechen dringt im Gefolge des den Zug anführenden Ty¬
rannen nur allzu siegreich auf sie ein. Es ist fast abgeschmackt, und auf jeden
Fall überflüssig, noch die Geschichten von Diebstahl, Unterschleif, Selbstmord,
und schwärzeren Unthaten heranzuziehen, in denen Spielverlust die große Ur¬
sache ist -- jederman kennt sie seit den Tagen seiner Ammenmärchen zu Hun¬
derten, und sie haben in" der Regel dazu noch den trübseligen Vorzug vor
ihresgleichen, sich wirklich ereignet zu haben. Genug, daß die Sittlichkeit einem
Feinde nicht entgeht, der der Gesundheit und der Wirthschaft seiner Schlacht¬
opfer die schwersten Wunden zu schlagen pflegt. Genug, daß diese drei hohen
Richter übereinstimmend und mit den überzeugendsten Gründen zur Ausrottung
der Glücksspiele auffordern.




Literatur.

Emendationen zu den Werken Heinrichs von Kleist. -- Wir habe"
schon einige Mal Gelegenheit gehabt, auf Nachlässigkeiten in den neueren Ausgaben
unsrer Klassiker hinzudeuten.' Zu diesen Classikern rechnen wir Heinrich von Kleist,


zu ertödten. Es entfernt aus dem Bewußtsein seines Opfers alle ablenkenden
Gedanken, alle edeln und heiligen Empfindungen, um ihn ausschließlich in das
brennende Verlangen des Gewinns zu spannen. So müßte es nothwendig in
den Tod des Körpers und der Seele auslaufen, wäre nicht in den meisten
Fällen der Stoff des wahnsinnigen Spielers bald erschöpft. Wo aber nicht das
Aeußerste, da ruft es doch die unheilvollsten Verirrungen des Willens, lang¬
dauernde und gefährliche Einflüsse aus den ganzen Organismus hervor. Das
thut es grade an denjenigen Orten, denen vorzugsweise kranke, der Heilung
bedürftige Personen zuströmen, für die jede Aufregung während der Cur rasch¬
wirkendes Gift zu sein Pflegt.

Fragen wir endlich die öffentliche Sittlichkeit. Sie schüttelt den Kopf
schon, wenn nur von unschuldigem Whist oder Lhombre als von einer Ge¬
wohnheit des täglichen Lebens die Rede ist. Denn um von der Psychologie
zu schweigen, so hat sie schon aus der Physiognomik erfahren, daß gewohnheits¬
mäßiges Kartenspiel den Zügen bald stärker, bald schwächer einen lauernden,
begehrlichen Ausdruck mittheilt. Wie vielmehr das Glücksspiel? Es gebiert
nicht das Vergnügen, sondern die Leidenschaft, und unter der wüsten Allein¬
gewalt dieser Leidenschaften muß ja die schöne Reihe menschlicher Tugenden
von der ersten bis zur letzten zu Grunde gehen. Zwei Eigenschaften, die das
Jahrhundert und die Wissenschaft des gesellschaftlichen Haushalts mit Recht
im höchsten Preise halten, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, verschwinden wie mit
den Wurzeln ausgerottet, wo das Spiel sein häßliches Gesicht erhebt. Ihre
Schwestern vermögen natürlich nicht auszuharren, denn die feindliche Schar
der Laster und Verbrechen dringt im Gefolge des den Zug anführenden Ty¬
rannen nur allzu siegreich auf sie ein. Es ist fast abgeschmackt, und auf jeden
Fall überflüssig, noch die Geschichten von Diebstahl, Unterschleif, Selbstmord,
und schwärzeren Unthaten heranzuziehen, in denen Spielverlust die große Ur¬
sache ist — jederman kennt sie seit den Tagen seiner Ammenmärchen zu Hun¬
derten, und sie haben in" der Regel dazu noch den trübseligen Vorzug vor
ihresgleichen, sich wirklich ereignet zu haben. Genug, daß die Sittlichkeit einem
Feinde nicht entgeht, der der Gesundheit und der Wirthschaft seiner Schlacht¬
opfer die schwersten Wunden zu schlagen pflegt. Genug, daß diese drei hohen
Richter übereinstimmend und mit den überzeugendsten Gründen zur Ausrottung
der Glücksspiele auffordern.




Literatur.

Emendationen zu den Werken Heinrichs von Kleist. — Wir habe»
schon einige Mal Gelegenheit gehabt, auf Nachlässigkeiten in den neueren Ausgaben
unsrer Klassiker hinzudeuten.' Zu diesen Classikern rechnen wir Heinrich von Kleist,


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[0402] zu ertödten. Es entfernt aus dem Bewußtsein seines Opfers alle ablenkenden Gedanken, alle edeln und heiligen Empfindungen, um ihn ausschließlich in das brennende Verlangen des Gewinns zu spannen. So müßte es nothwendig in den Tod des Körpers und der Seele auslaufen, wäre nicht in den meisten Fällen der Stoff des wahnsinnigen Spielers bald erschöpft. Wo aber nicht das Aeußerste, da ruft es doch die unheilvollsten Verirrungen des Willens, lang¬ dauernde und gefährliche Einflüsse aus den ganzen Organismus hervor. Das thut es grade an denjenigen Orten, denen vorzugsweise kranke, der Heilung bedürftige Personen zuströmen, für die jede Aufregung während der Cur rasch¬ wirkendes Gift zu sein Pflegt. Fragen wir endlich die öffentliche Sittlichkeit. Sie schüttelt den Kopf schon, wenn nur von unschuldigem Whist oder Lhombre als von einer Ge¬ wohnheit des täglichen Lebens die Rede ist. Denn um von der Psychologie zu schweigen, so hat sie schon aus der Physiognomik erfahren, daß gewohnheits¬ mäßiges Kartenspiel den Zügen bald stärker, bald schwächer einen lauernden, begehrlichen Ausdruck mittheilt. Wie vielmehr das Glücksspiel? Es gebiert nicht das Vergnügen, sondern die Leidenschaft, und unter der wüsten Allein¬ gewalt dieser Leidenschaften muß ja die schöne Reihe menschlicher Tugenden von der ersten bis zur letzten zu Grunde gehen. Zwei Eigenschaften, die das Jahrhundert und die Wissenschaft des gesellschaftlichen Haushalts mit Recht im höchsten Preise halten, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, verschwinden wie mit den Wurzeln ausgerottet, wo das Spiel sein häßliches Gesicht erhebt. Ihre Schwestern vermögen natürlich nicht auszuharren, denn die feindliche Schar der Laster und Verbrechen dringt im Gefolge des den Zug anführenden Ty¬ rannen nur allzu siegreich auf sie ein. Es ist fast abgeschmackt, und auf jeden Fall überflüssig, noch die Geschichten von Diebstahl, Unterschleif, Selbstmord, und schwärzeren Unthaten heranzuziehen, in denen Spielverlust die große Ur¬ sache ist — jederman kennt sie seit den Tagen seiner Ammenmärchen zu Hun¬ derten, und sie haben in" der Regel dazu noch den trübseligen Vorzug vor ihresgleichen, sich wirklich ereignet zu haben. Genug, daß die Sittlichkeit einem Feinde nicht entgeht, der der Gesundheit und der Wirthschaft seiner Schlacht¬ opfer die schwersten Wunden zu schlagen pflegt. Genug, daß diese drei hohen Richter übereinstimmend und mit den überzeugendsten Gründen zur Ausrottung der Glücksspiele auffordern. Literatur. Emendationen zu den Werken Heinrichs von Kleist. — Wir habe» schon einige Mal Gelegenheit gehabt, auf Nachlässigkeiten in den neueren Ausgaben unsrer Klassiker hinzudeuten.' Zu diesen Classikern rechnen wir Heinrich von Kleist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/402>, abgerufen am 27.07.2024.