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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Timoleons den Uebelstand, daß sie zu viel Licht enthält ohne Schatten. Denn
bei dem idealen Zustand, in dem wir Syrakus unter Timoleon verlassen, wird
es uns unbegreiflich, wie nur 17 Jahre später eine neue Tyrannei sich erheben
konnte. Hier scheint doch Plutarch auf die Stimmung mehr Einfluß gehabt
zu haben, als billig wäre. -- Auch die Geschichte der macedonischen Diplomatie
ist sehr lebendig entwickelt; nach unsrem Geschmack mit einem zu großen Inter¬
esse für die griechischen Freistaaten, die in jener Zeit keinen Inhalt mehr hatten,
der unsre Theilnahme erwecken und uns zum Bedauern ihres Untergangs be¬
stimmen könnte. -- Man möge diese zerstreuten Bemerkungen nur in dem Sinn
auffassen, daß sie die Aufmerksamkeit des Publicums auf ein Werk hinleiten
sollen, welches in Deutschland noch lange nicht den gebührenden Anklang ge¬
funden hat. Macaulay ist in Deutschland völlig durchgedrungen, wir lesen
ihn eifriger als unsre eignen Geschichtschreiber. Grote verdient es nicht weni¬
ger, denn was ihm an Glanz der Darstellung abgeht, ersetzt die Größe seiner
sittlichen Weltansicht. --




Erinnerungen an Steffens.

Steffens ist für unsre Kenntniß der deutschen Literatur in ihrer goldnen
Zeit für uns fast ebenso wichtig, als die eigentlichen Dichter, die sie geschaffen
haben. Er gehörte trotz seiner großen Begabung nicht zu jenen glänzenden
Geistern, die eine neue Periode in ursprünglicher Kraft beginnen oder einer
gewordenen den classischen Ausdruck geben, aber er war eine in seltenem Grade
empfängliche Natur, in der jede neue Schwingung des Zeitgeistes in seltener
Elasticität wiedertönte. Auch daß er als ein Fremder nach Deutschland kam
"ut daher den Eindruck jener bedeutenden Zeit als etwas Fertiges und Ganzes
'U unmittelbarer Lebendigkeit empfing, erhöht für uns den Reiz seiner Dar-
siellung. Er gehörte in jene Classe der Anempfinder, die Goethe im Wilhelm
Meister so schön geschildert hat, die mit großer Lebhaftigkeit das Interessante
""d Schöne in sich aufnehmen und ihm durch eine freilich etwas künstliche,
"ber doch nicht unwahre Wärme e>me tiefere Bedeutung geben.

Steffens war zum Theologen bestimmt; die Beschäftigung mit der Religion
und die Beschäftigung mit der Natur ging von frühester Kindheit bei ihm Hand
Hand, und unmerklich drang die Betrachtungsweise der einen in die der
"ndem ein. Was Fichte so schön von jeder Art der Schwärmerei entwickelt,
sie geneigt ist, die Naturkräfte zu vergöttern und die Kräfte des Geistes
a^ Zauberformeln für Wirkungen in der Natur zu mißbrauchen, findet auch


Timoleons den Uebelstand, daß sie zu viel Licht enthält ohne Schatten. Denn
bei dem idealen Zustand, in dem wir Syrakus unter Timoleon verlassen, wird
es uns unbegreiflich, wie nur 17 Jahre später eine neue Tyrannei sich erheben
konnte. Hier scheint doch Plutarch auf die Stimmung mehr Einfluß gehabt
zu haben, als billig wäre. — Auch die Geschichte der macedonischen Diplomatie
ist sehr lebendig entwickelt; nach unsrem Geschmack mit einem zu großen Inter¬
esse für die griechischen Freistaaten, die in jener Zeit keinen Inhalt mehr hatten,
der unsre Theilnahme erwecken und uns zum Bedauern ihres Untergangs be¬
stimmen könnte. — Man möge diese zerstreuten Bemerkungen nur in dem Sinn
auffassen, daß sie die Aufmerksamkeit des Publicums auf ein Werk hinleiten
sollen, welches in Deutschland noch lange nicht den gebührenden Anklang ge¬
funden hat. Macaulay ist in Deutschland völlig durchgedrungen, wir lesen
ihn eifriger als unsre eignen Geschichtschreiber. Grote verdient es nicht weni¬
ger, denn was ihm an Glanz der Darstellung abgeht, ersetzt die Größe seiner
sittlichen Weltansicht. —




Erinnerungen an Steffens.

Steffens ist für unsre Kenntniß der deutschen Literatur in ihrer goldnen
Zeit für uns fast ebenso wichtig, als die eigentlichen Dichter, die sie geschaffen
haben. Er gehörte trotz seiner großen Begabung nicht zu jenen glänzenden
Geistern, die eine neue Periode in ursprünglicher Kraft beginnen oder einer
gewordenen den classischen Ausdruck geben, aber er war eine in seltenem Grade
empfängliche Natur, in der jede neue Schwingung des Zeitgeistes in seltener
Elasticität wiedertönte. Auch daß er als ein Fremder nach Deutschland kam
"ut daher den Eindruck jener bedeutenden Zeit als etwas Fertiges und Ganzes
'U unmittelbarer Lebendigkeit empfing, erhöht für uns den Reiz seiner Dar-
siellung. Er gehörte in jene Classe der Anempfinder, die Goethe im Wilhelm
Meister so schön geschildert hat, die mit großer Lebhaftigkeit das Interessante
""d Schöne in sich aufnehmen und ihm durch eine freilich etwas künstliche,
"ber doch nicht unwahre Wärme e>me tiefere Bedeutung geben.

Steffens war zum Theologen bestimmt; die Beschäftigung mit der Religion
und die Beschäftigung mit der Natur ging von frühester Kindheit bei ihm Hand
Hand, und unmerklich drang die Betrachtungsweise der einen in die der
"ndem ein. Was Fichte so schön von jeder Art der Schwärmerei entwickelt,
sie geneigt ist, die Naturkräfte zu vergöttern und die Kräfte des Geistes
a^ Zauberformeln für Wirkungen in der Natur zu mißbrauchen, findet auch


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[0381] Timoleons den Uebelstand, daß sie zu viel Licht enthält ohne Schatten. Denn bei dem idealen Zustand, in dem wir Syrakus unter Timoleon verlassen, wird es uns unbegreiflich, wie nur 17 Jahre später eine neue Tyrannei sich erheben konnte. Hier scheint doch Plutarch auf die Stimmung mehr Einfluß gehabt zu haben, als billig wäre. — Auch die Geschichte der macedonischen Diplomatie ist sehr lebendig entwickelt; nach unsrem Geschmack mit einem zu großen Inter¬ esse für die griechischen Freistaaten, die in jener Zeit keinen Inhalt mehr hatten, der unsre Theilnahme erwecken und uns zum Bedauern ihres Untergangs be¬ stimmen könnte. — Man möge diese zerstreuten Bemerkungen nur in dem Sinn auffassen, daß sie die Aufmerksamkeit des Publicums auf ein Werk hinleiten sollen, welches in Deutschland noch lange nicht den gebührenden Anklang ge¬ funden hat. Macaulay ist in Deutschland völlig durchgedrungen, wir lesen ihn eifriger als unsre eignen Geschichtschreiber. Grote verdient es nicht weni¬ ger, denn was ihm an Glanz der Darstellung abgeht, ersetzt die Größe seiner sittlichen Weltansicht. — Erinnerungen an Steffens. Steffens ist für unsre Kenntniß der deutschen Literatur in ihrer goldnen Zeit für uns fast ebenso wichtig, als die eigentlichen Dichter, die sie geschaffen haben. Er gehörte trotz seiner großen Begabung nicht zu jenen glänzenden Geistern, die eine neue Periode in ursprünglicher Kraft beginnen oder einer gewordenen den classischen Ausdruck geben, aber er war eine in seltenem Grade empfängliche Natur, in der jede neue Schwingung des Zeitgeistes in seltener Elasticität wiedertönte. Auch daß er als ein Fremder nach Deutschland kam "ut daher den Eindruck jener bedeutenden Zeit als etwas Fertiges und Ganzes 'U unmittelbarer Lebendigkeit empfing, erhöht für uns den Reiz seiner Dar- siellung. Er gehörte in jene Classe der Anempfinder, die Goethe im Wilhelm Meister so schön geschildert hat, die mit großer Lebhaftigkeit das Interessante ""d Schöne in sich aufnehmen und ihm durch eine freilich etwas künstliche, "ber doch nicht unwahre Wärme e>me tiefere Bedeutung geben. Steffens war zum Theologen bestimmt; die Beschäftigung mit der Religion und die Beschäftigung mit der Natur ging von frühester Kindheit bei ihm Hand Hand, und unmerklich drang die Betrachtungsweise der einen in die der "ndem ein. Was Fichte so schön von jeder Art der Schwärmerei entwickelt, sie geneigt ist, die Naturkräfte zu vergöttern und die Kräfte des Geistes a^ Zauberformeln für Wirkungen in der Natur zu mißbrauchen, findet auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/381>, abgerufen am 27.07.2024.