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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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aus Steffens seine Anwendung. Nur war er nicht ein eigentlicher Schwärmer;
er gesteht mit liebenswürdiger Unbefangenheit ein, daß er sich persönlich nie
dem Reich des Uebersinnlichen genähert habe, trotz seiner großen und ange¬
borenen Neigung für die Welt der Wunder. Auch in späteren Zeiten hatte
er fast in jedem bestimmten Fall dem einzelnen Wunder die Unerschütterlichkeit
eines kalten Verstandes entgegengesetzt; er schwärmte nur für das Wunder im
allgemeinen; oder wenn wir uns einfacher und ehrlicher ausdrücken wollen,
für jenen poetischen Reiz, der in allem Irrationellen, Unvermittelten, Zü-
sammenhangslosen und Geheimnißvollen liegt. Seine Mystik war immer ein
Spiel der Gedanken, auch darin war er ein Anempfinder.

Steffens war immer nur ein halber Däne. Seine Mutter war eine ge¬
borene Deutsche; die Kinder mußten von frühester Jugend an deutsch üben-
In seinem W.Jahre, 1796, wurde er nach Kiel versetzt und trat so mitten in
das deutsche Leben ein. Hier lernte er den Kreis persönlich kennen, der ihn
vorher aus der Ferne angeregt hatte, jenen Kreis der Fürstin Galizin, Jacobi,
Hemsterhuis, Claudius, Hamann, Lavater u. s. w., den er im 3. Bd. S. !2!U>
vortrefflich beschreibt. Schon einige Jahre vorher hatte er bei einem dänische"
Professor, der in Deutschland die Kantische Philosophie studirt, Vorträge gehört,
die aber in sein inneres Denken nicht eingedrungen waren. Epoche machend
aber wirkten zwei Bücher auf ihn ein, Goethes Faust und Jacobiö Briefe über
Spinoza. Das erste Gedicht war recht dazu gemacht, den poetischen Sinn für
die Kräfte der Natur zu fesseln, mit geheimnißvollen Ahnungen zu durchdringen
und zu weitern Combinationen anzuregen. Er wußte es bald auswendig und
es blieb der Leitfaden seines Denkens und Empfindens. Jacobis Schrift zeigte
ihm zuerst die Spinozistische Denkweise von der sinnlichen Seite und übte auf
ihn ganz den Einfluß aus, wie Jacobiö Schrift gegen Kant auf Fichte. Die
reiche Phantasie und das warme Gemüth des Philosophen brachte in beide"
Fällen eine Wirkung hervor, die der Absicht entgegengesetzt war.

Die Anschauungen, die er dem allgemeinen Abscheu preisgeben wollte,
gestalteten sich unter seinen Händen zu einem so warmen und bestimmten Lebe",
daß sie die Phantasie gefangennahmen, und daß man sich mit dem Gefühl
für ein System interessirte, das man vorher nur mit dem kalten Verstände be¬
trachtete. -- So vorbereitet lernte er einige Schriften von Schelling kenne"
und traf hier ohne die gewöhnliche und natürliche Vermittlung Philosoph"!^'
Vorbereitung auf eine durchaus verwandte und sympathische Natur, die er
sogleich als ein Ganzes auffaßte und für die er eine sehnsuchtsvolle Begeisterung
empfand. Die Aufmerksamkeit, die Dänemark in der Regel seinen emporstrebende"
Talenten bewies, gab ihm die Mittel an die Hand, den ersehnten Mittelpunkt
der deutschen Cultur persönlich kennen zu lernen, und wir sehen ihn in de"
Jahren 1799--1802 in Jena und den übrigen Werkstätten des poetischen und


aus Steffens seine Anwendung. Nur war er nicht ein eigentlicher Schwärmer;
er gesteht mit liebenswürdiger Unbefangenheit ein, daß er sich persönlich nie
dem Reich des Uebersinnlichen genähert habe, trotz seiner großen und ange¬
borenen Neigung für die Welt der Wunder. Auch in späteren Zeiten hatte
er fast in jedem bestimmten Fall dem einzelnen Wunder die Unerschütterlichkeit
eines kalten Verstandes entgegengesetzt; er schwärmte nur für das Wunder im
allgemeinen; oder wenn wir uns einfacher und ehrlicher ausdrücken wollen,
für jenen poetischen Reiz, der in allem Irrationellen, Unvermittelten, Zü-
sammenhangslosen und Geheimnißvollen liegt. Seine Mystik war immer ein
Spiel der Gedanken, auch darin war er ein Anempfinder.

Steffens war immer nur ein halber Däne. Seine Mutter war eine ge¬
borene Deutsche; die Kinder mußten von frühester Jugend an deutsch üben-
In seinem W.Jahre, 1796, wurde er nach Kiel versetzt und trat so mitten in
das deutsche Leben ein. Hier lernte er den Kreis persönlich kennen, der ihn
vorher aus der Ferne angeregt hatte, jenen Kreis der Fürstin Galizin, Jacobi,
Hemsterhuis, Claudius, Hamann, Lavater u. s. w., den er im 3. Bd. S. !2!U>
vortrefflich beschreibt. Schon einige Jahre vorher hatte er bei einem dänische»
Professor, der in Deutschland die Kantische Philosophie studirt, Vorträge gehört,
die aber in sein inneres Denken nicht eingedrungen waren. Epoche machend
aber wirkten zwei Bücher auf ihn ein, Goethes Faust und Jacobiö Briefe über
Spinoza. Das erste Gedicht war recht dazu gemacht, den poetischen Sinn für
die Kräfte der Natur zu fesseln, mit geheimnißvollen Ahnungen zu durchdringen
und zu weitern Combinationen anzuregen. Er wußte es bald auswendig und
es blieb der Leitfaden seines Denkens und Empfindens. Jacobis Schrift zeigte
ihm zuerst die Spinozistische Denkweise von der sinnlichen Seite und übte auf
ihn ganz den Einfluß aus, wie Jacobiö Schrift gegen Kant auf Fichte. Die
reiche Phantasie und das warme Gemüth des Philosophen brachte in beide»
Fällen eine Wirkung hervor, die der Absicht entgegengesetzt war.

Die Anschauungen, die er dem allgemeinen Abscheu preisgeben wollte,
gestalteten sich unter seinen Händen zu einem so warmen und bestimmten Lebe»,
daß sie die Phantasie gefangennahmen, und daß man sich mit dem Gefühl
für ein System interessirte, das man vorher nur mit dem kalten Verstände be¬
trachtete. — So vorbereitet lernte er einige Schriften von Schelling kenne»
und traf hier ohne die gewöhnliche und natürliche Vermittlung Philosoph«!^'
Vorbereitung auf eine durchaus verwandte und sympathische Natur, die er
sogleich als ein Ganzes auffaßte und für die er eine sehnsuchtsvolle Begeisterung
empfand. Die Aufmerksamkeit, die Dänemark in der Regel seinen emporstrebende»
Talenten bewies, gab ihm die Mittel an die Hand, den ersehnten Mittelpunkt
der deutschen Cultur persönlich kennen zu lernen, und wir sehen ihn in de»
Jahren 1799—1802 in Jena und den übrigen Werkstätten des poetischen und


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[0382] aus Steffens seine Anwendung. Nur war er nicht ein eigentlicher Schwärmer; er gesteht mit liebenswürdiger Unbefangenheit ein, daß er sich persönlich nie dem Reich des Uebersinnlichen genähert habe, trotz seiner großen und ange¬ borenen Neigung für die Welt der Wunder. Auch in späteren Zeiten hatte er fast in jedem bestimmten Fall dem einzelnen Wunder die Unerschütterlichkeit eines kalten Verstandes entgegengesetzt; er schwärmte nur für das Wunder im allgemeinen; oder wenn wir uns einfacher und ehrlicher ausdrücken wollen, für jenen poetischen Reiz, der in allem Irrationellen, Unvermittelten, Zü- sammenhangslosen und Geheimnißvollen liegt. Seine Mystik war immer ein Spiel der Gedanken, auch darin war er ein Anempfinder. Steffens war immer nur ein halber Däne. Seine Mutter war eine ge¬ borene Deutsche; die Kinder mußten von frühester Jugend an deutsch üben- In seinem W.Jahre, 1796, wurde er nach Kiel versetzt und trat so mitten in das deutsche Leben ein. Hier lernte er den Kreis persönlich kennen, der ihn vorher aus der Ferne angeregt hatte, jenen Kreis der Fürstin Galizin, Jacobi, Hemsterhuis, Claudius, Hamann, Lavater u. s. w., den er im 3. Bd. S. !2!U> vortrefflich beschreibt. Schon einige Jahre vorher hatte er bei einem dänische» Professor, der in Deutschland die Kantische Philosophie studirt, Vorträge gehört, die aber in sein inneres Denken nicht eingedrungen waren. Epoche machend aber wirkten zwei Bücher auf ihn ein, Goethes Faust und Jacobiö Briefe über Spinoza. Das erste Gedicht war recht dazu gemacht, den poetischen Sinn für die Kräfte der Natur zu fesseln, mit geheimnißvollen Ahnungen zu durchdringen und zu weitern Combinationen anzuregen. Er wußte es bald auswendig und es blieb der Leitfaden seines Denkens und Empfindens. Jacobis Schrift zeigte ihm zuerst die Spinozistische Denkweise von der sinnlichen Seite und übte auf ihn ganz den Einfluß aus, wie Jacobiö Schrift gegen Kant auf Fichte. Die reiche Phantasie und das warme Gemüth des Philosophen brachte in beide» Fällen eine Wirkung hervor, die der Absicht entgegengesetzt war. Die Anschauungen, die er dem allgemeinen Abscheu preisgeben wollte, gestalteten sich unter seinen Händen zu einem so warmen und bestimmten Lebe», daß sie die Phantasie gefangennahmen, und daß man sich mit dem Gefühl für ein System interessirte, das man vorher nur mit dem kalten Verstände be¬ trachtete. — So vorbereitet lernte er einige Schriften von Schelling kenne» und traf hier ohne die gewöhnliche und natürliche Vermittlung Philosoph«!^' Vorbereitung auf eine durchaus verwandte und sympathische Natur, die er sogleich als ein Ganzes auffaßte und für die er eine sehnsuchtsvolle Begeisterung empfand. Die Aufmerksamkeit, die Dänemark in der Regel seinen emporstrebende» Talenten bewies, gab ihm die Mittel an die Hand, den ersehnten Mittelpunkt der deutschen Cultur persönlich kennen zu lernen, und wir sehen ihn in de» Jahren 1799—1802 in Jena und den übrigen Werkstätten des poetischen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/382>, abgerufen am 06.10.2024.