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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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genossen zum politischen Parteimann umgeschaffen, als welcher er nun alle die
im Schoße des Gemeindelebens wohlbewahrte Zähigkeit und Selbstständigkeit
in einer Weise entwickeln wird, welche das norddeutsche politische Leben dem
englischen überraschend ähnlich machen wird. Damit ist die gewisse Aussicht
auf eine Veredlung aller derjenigen Nativnaleigenschaften eröffnet, welche für
die kleinen Verhältnisse deS täglichen Lebens lästig und schädlich waren, aber
auf dem großen Felde des öffentlichen Lebens unschätzbare Vorzüge sind. Der
norddeutsche Bauer wird eine entschiedene Slandespolitik verfolgen, aber er
wird sein Ohr nicht denjenigen verschließen, welche ihm die Ausgleichung der
verschiedenen Interessen als für das Ganze und die Theile gleich nothwendig
vorstellen; er wird keine Ohren haben weder für politische noch für kirchliche
Restaurationsversuche, weil er in der Politik reiner Realist und aller histori¬
schen Empfindelei bar ist und zweitens die Kirche nie über seine weltlichen
Interessen setzen wird; der sächsische Bauer wird also nie ein Kreuzzeitungs¬
mann werden können; endlich aber wird er ebensowenig denjenigen zufallen,
welche die Gegenwart über ihrer Zukunft ebenso vergessen, wie die Restaurationö-
mcinuer über ihrer Vergangenheit; Massenherrschaft, Socialismus, Communis-
mus wären das sicherste Mittel, die sächsischen Bauern sofort unter die Waffen
zu bringen, da er kaum angefangen hat, bewegliches Eigenthum dem un¬
beweglichen gleichzusetzen und geistiges überhaupt zu schätzen, Mangel beider
aber für den gewissen Beweis der Regierungsunfähigkeit hält und noch jahr¬
hundertlang halten wird.




"Krinnerunqen an I. G. Fichte.
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(Schluß.)

Alle diese Erfolge sollten ein plötzliches, sehr unerfreuliches Ende nehmen.
Forberg hatte in dem "Philosophischen Journal" einen Aufsatz erscheinen
lassen, der als atheistisch gedeutet werden konnte, und Fichte fügte gleichsam
als Kritik eine Abhandlung über den Grund unsres Glaubens an
eine göttliche Weltordnung hinzu, in der er die bisher angenommenen
metaphysischen Beweise für das Dasein Gottes verwarf und dafür den mo¬
ralischen substituirte. Die Abhandlung war nicht atheistischer als irgend eine
andere philosophische Schrift, die von der Einheit der Vernunft ausgeht, aber
das Mißtrauen gegen die Neuerer war an den deutschen Höfen damals grade
sehr groß geworden ; es erfolgte eine Denunciation, der kursächsische Hof ver-


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genossen zum politischen Parteimann umgeschaffen, als welcher er nun alle die
im Schoße des Gemeindelebens wohlbewahrte Zähigkeit und Selbstständigkeit
in einer Weise entwickeln wird, welche das norddeutsche politische Leben dem
englischen überraschend ähnlich machen wird. Damit ist die gewisse Aussicht
auf eine Veredlung aller derjenigen Nativnaleigenschaften eröffnet, welche für
die kleinen Verhältnisse deS täglichen Lebens lästig und schädlich waren, aber
auf dem großen Felde des öffentlichen Lebens unschätzbare Vorzüge sind. Der
norddeutsche Bauer wird eine entschiedene Slandespolitik verfolgen, aber er
wird sein Ohr nicht denjenigen verschließen, welche ihm die Ausgleichung der
verschiedenen Interessen als für das Ganze und die Theile gleich nothwendig
vorstellen; er wird keine Ohren haben weder für politische noch für kirchliche
Restaurationsversuche, weil er in der Politik reiner Realist und aller histori¬
schen Empfindelei bar ist und zweitens die Kirche nie über seine weltlichen
Interessen setzen wird; der sächsische Bauer wird also nie ein Kreuzzeitungs¬
mann werden können; endlich aber wird er ebensowenig denjenigen zufallen,
welche die Gegenwart über ihrer Zukunft ebenso vergessen, wie die Restaurationö-
mcinuer über ihrer Vergangenheit; Massenherrschaft, Socialismus, Communis-
mus wären das sicherste Mittel, die sächsischen Bauern sofort unter die Waffen
zu bringen, da er kaum angefangen hat, bewegliches Eigenthum dem un¬
beweglichen gleichzusetzen und geistiges überhaupt zu schätzen, Mangel beider
aber für den gewissen Beweis der Regierungsunfähigkeit hält und noch jahr¬
hundertlang halten wird.




«Krinnerunqen an I. G. Fichte.
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(Schluß.)

Alle diese Erfolge sollten ein plötzliches, sehr unerfreuliches Ende nehmen.
Forberg hatte in dem „Philosophischen Journal" einen Aufsatz erscheinen
lassen, der als atheistisch gedeutet werden konnte, und Fichte fügte gleichsam
als Kritik eine Abhandlung über den Grund unsres Glaubens an
eine göttliche Weltordnung hinzu, in der er die bisher angenommenen
metaphysischen Beweise für das Dasein Gottes verwarf und dafür den mo¬
ralischen substituirte. Die Abhandlung war nicht atheistischer als irgend eine
andere philosophische Schrift, die von der Einheit der Vernunft ausgeht, aber
das Mißtrauen gegen die Neuerer war an den deutschen Höfen damals grade
sehr groß geworden ; es erfolgte eine Denunciation, der kursächsische Hof ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/299>, abgerufen am 27.07.2024.