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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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andernfalls gar nicht erklärt werden können. Die dctachirten Werke umspannen
allerdings einen Halbkreis von nicht weniger als drittehalb Stunden Ausdeh¬
nung, wenn man die Tragweite ihres Geschützes mit einrechnet, aber mit einer
Armee von 103,000 Mann, und so stark war das Belagerungsheer, hätte sich
bei praktischen Dispositionen auch eine noch weitere Naumstrecke umfassen lassen.
Wenn eingewendet werden sollte, daß dies nicht dem General Schilder zur
Last falle, sondern dem Fürsten von Warschau, so ist damit der Vorwurf nicht
gehoben, denn ein verständiger und selbstbewußter Jngenieurgeneral würde
es abgelehnt haben, einen Platz anzugreifen, bevor den nöthigsten Vorbedin¬
gungen genügt worden.

Wenn diese Zeilen^ Ihren Blättern im Druck einverleibt sein werden, wird
dem Publicum auch bereits ein Nebersichtsplan der russischen Angriffsarbeiten
vor Silistria vorliegen. Männer von Fach werden dann aus eigner An¬
schauung urtheilen können, was der erste Ingenieur des russischen Kaiserreichs
gegenüber der größten Aufgabe seines Lebens, einen Platz, dessen Vorterrän
nach modernen preußischen Grundsätzen befestigt worden, anzugreifen, zu leisten
vermocht hat. Wenn ich mein eignes Urtheil zu Rathe ziehe, ist es ganz er¬
staunlich wenig, auch wenn man die richtige und kühne Leitung der Verthei¬
digung und den Heldenmuth der türkischen Truppen als größte Gegenkräfte in
Anschlag bringt.




Wochenbericht.
Theater.

-- Ohne unsrem Berichterstatter über die Münchener Vorstellungen
vorgreifen zu wollen, erlauben wir uns hier einige vorläufige Bemerkungen über
den Plan des Unternehmens. Es ist von mehren sonst kundigen Seiten angezweifelt
worden, ob eine durchgängige Besetzung eines Stücks mit Virtuosen mit einem
hingebenden Zusammenspiel im Sinn des Dichters, mit der richtigen Vertheilung
von Licht und Schatten verträglich sei? Soviel hat sich schon jetzt als Resultat
herausgestellt, daß diese Befürchtungen ungegründet sind. sowol für die Künstler
selbst als für das Publicum kaizn eine solche Anspannung von Kräften, die selbst¬
verständlich nur als Ausnahme gedacht werden kann, nur anregend und fördernd
wirken. Man gewinnt dadurch eine höhere Auffassung von der Poesie und einen
idealeren Begriff von der ausübenden Kunst. Dagegen möchten wir uns mit der
Auswahl der Stücke nicht ganz einverstanden erklären. Eine so außerordentliche
Concentration von Kräften darf nicht vergeudet werden. Man muß sie dazu be¬
nutzen, solche Stücke ersten Ranges aufzuführen, die unter den gewöhnlichen Um¬
ständen nnr höchst ungenügend zur Darstellung kommen können. Zu dieser Reihe
gehören gewiß die drei Lessingschen Stücke, aber keineswegs die Räuber, Cabale
und Liebe und Clavigv. Diese Stücke werden auch bei einer gewöhnlichen Truppe


andernfalls gar nicht erklärt werden können. Die dctachirten Werke umspannen
allerdings einen Halbkreis von nicht weniger als drittehalb Stunden Ausdeh¬
nung, wenn man die Tragweite ihres Geschützes mit einrechnet, aber mit einer
Armee von 103,000 Mann, und so stark war das Belagerungsheer, hätte sich
bei praktischen Dispositionen auch eine noch weitere Naumstrecke umfassen lassen.
Wenn eingewendet werden sollte, daß dies nicht dem General Schilder zur
Last falle, sondern dem Fürsten von Warschau, so ist damit der Vorwurf nicht
gehoben, denn ein verständiger und selbstbewußter Jngenieurgeneral würde
es abgelehnt haben, einen Platz anzugreifen, bevor den nöthigsten Vorbedin¬
gungen genügt worden.

Wenn diese Zeilen^ Ihren Blättern im Druck einverleibt sein werden, wird
dem Publicum auch bereits ein Nebersichtsplan der russischen Angriffsarbeiten
vor Silistria vorliegen. Männer von Fach werden dann aus eigner An¬
schauung urtheilen können, was der erste Ingenieur des russischen Kaiserreichs
gegenüber der größten Aufgabe seines Lebens, einen Platz, dessen Vorterrän
nach modernen preußischen Grundsätzen befestigt worden, anzugreifen, zu leisten
vermocht hat. Wenn ich mein eignes Urtheil zu Rathe ziehe, ist es ganz er¬
staunlich wenig, auch wenn man die richtige und kühne Leitung der Verthei¬
digung und den Heldenmuth der türkischen Truppen als größte Gegenkräfte in
Anschlag bringt.




Wochenbericht.
Theater.

— Ohne unsrem Berichterstatter über die Münchener Vorstellungen
vorgreifen zu wollen, erlauben wir uns hier einige vorläufige Bemerkungen über
den Plan des Unternehmens. Es ist von mehren sonst kundigen Seiten angezweifelt
worden, ob eine durchgängige Besetzung eines Stücks mit Virtuosen mit einem
hingebenden Zusammenspiel im Sinn des Dichters, mit der richtigen Vertheilung
von Licht und Schatten verträglich sei? Soviel hat sich schon jetzt als Resultat
herausgestellt, daß diese Befürchtungen ungegründet sind. sowol für die Künstler
selbst als für das Publicum kaizn eine solche Anspannung von Kräften, die selbst¬
verständlich nur als Ausnahme gedacht werden kann, nur anregend und fördernd
wirken. Man gewinnt dadurch eine höhere Auffassung von der Poesie und einen
idealeren Begriff von der ausübenden Kunst. Dagegen möchten wir uns mit der
Auswahl der Stücke nicht ganz einverstanden erklären. Eine so außerordentliche
Concentration von Kräften darf nicht vergeudet werden. Man muß sie dazu be¬
nutzen, solche Stücke ersten Ranges aufzuführen, die unter den gewöhnlichen Um¬
ständen nnr höchst ungenügend zur Darstellung kommen können. Zu dieser Reihe
gehören gewiß die drei Lessingschen Stücke, aber keineswegs die Räuber, Cabale
und Liebe und Clavigv. Diese Stücke werden auch bei einer gewöhnlichen Truppe


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[0276] andernfalls gar nicht erklärt werden können. Die dctachirten Werke umspannen allerdings einen Halbkreis von nicht weniger als drittehalb Stunden Ausdeh¬ nung, wenn man die Tragweite ihres Geschützes mit einrechnet, aber mit einer Armee von 103,000 Mann, und so stark war das Belagerungsheer, hätte sich bei praktischen Dispositionen auch eine noch weitere Naumstrecke umfassen lassen. Wenn eingewendet werden sollte, daß dies nicht dem General Schilder zur Last falle, sondern dem Fürsten von Warschau, so ist damit der Vorwurf nicht gehoben, denn ein verständiger und selbstbewußter Jngenieurgeneral würde es abgelehnt haben, einen Platz anzugreifen, bevor den nöthigsten Vorbedin¬ gungen genügt worden. Wenn diese Zeilen^ Ihren Blättern im Druck einverleibt sein werden, wird dem Publicum auch bereits ein Nebersichtsplan der russischen Angriffsarbeiten vor Silistria vorliegen. Männer von Fach werden dann aus eigner An¬ schauung urtheilen können, was der erste Ingenieur des russischen Kaiserreichs gegenüber der größten Aufgabe seines Lebens, einen Platz, dessen Vorterrän nach modernen preußischen Grundsätzen befestigt worden, anzugreifen, zu leisten vermocht hat. Wenn ich mein eignes Urtheil zu Rathe ziehe, ist es ganz er¬ staunlich wenig, auch wenn man die richtige und kühne Leitung der Verthei¬ digung und den Heldenmuth der türkischen Truppen als größte Gegenkräfte in Anschlag bringt. Wochenbericht. Theater. — Ohne unsrem Berichterstatter über die Münchener Vorstellungen vorgreifen zu wollen, erlauben wir uns hier einige vorläufige Bemerkungen über den Plan des Unternehmens. Es ist von mehren sonst kundigen Seiten angezweifelt worden, ob eine durchgängige Besetzung eines Stücks mit Virtuosen mit einem hingebenden Zusammenspiel im Sinn des Dichters, mit der richtigen Vertheilung von Licht und Schatten verträglich sei? Soviel hat sich schon jetzt als Resultat herausgestellt, daß diese Befürchtungen ungegründet sind. sowol für die Künstler selbst als für das Publicum kaizn eine solche Anspannung von Kräften, die selbst¬ verständlich nur als Ausnahme gedacht werden kann, nur anregend und fördernd wirken. Man gewinnt dadurch eine höhere Auffassung von der Poesie und einen idealeren Begriff von der ausübenden Kunst. Dagegen möchten wir uns mit der Auswahl der Stücke nicht ganz einverstanden erklären. Eine so außerordentliche Concentration von Kräften darf nicht vergeudet werden. Man muß sie dazu be¬ nutzen, solche Stücke ersten Ranges aufzuführen, die unter den gewöhnlichen Um¬ ständen nnr höchst ungenügend zur Darstellung kommen können. Zu dieser Reihe gehören gewiß die drei Lessingschen Stücke, aber keineswegs die Räuber, Cabale und Liebe und Clavigv. Diese Stücke werden auch bei einer gewöhnlichen Truppe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/276>, abgerufen am 27.07.2024.