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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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menfluß der Muster deutschen Gewerbfleißes in seiner Hauptstadt glaubt er der
eignen Industrie gefährlich, und zu lernen braucht er nicht, der Aufklärung bedarf
er nicht. In England pilgerten Arbcitercaravanen aus den entlegensten Districten
zur Weltausstellung -- ich fürchte, solchen Zuzug werden hier zu Lande die Herren
Pfarrer schon zu verhindern wissen. Denn wozu den Bauer gescheidt machen? In¬
zwischen ist doch der Münchener selbst industrios genug, um zu wissen, daß man
das Hühnchen pflücken muß, wenn man seiner habhaft wird. Ganz München ist
jetzt eine ungeheure Pflückmaschine und ob ein Stück Haut und Fleisch dabei mit¬
geht, kommt nicht in Betracht. --

Die Mustervorstellungen auf der hiesigen Bühne haben begonnen: die Braut
von Messina, Minna von Barnhelm und Nathan sind bis heute zur Aufführung
gekommen -- und der Gesammteindruck war in der That ein überwältigender, der
auch die so hochgespannter Erwartungen hinter sich zurückließ/)


' Ans Konstantinipel

-- Es ist ein abnormer Sommer,
den wir in diesem Jahre hier erleben. Die Hitze mag einem Bewohner Mittel¬
europas und dem Engländer und Franzosen immerhin noch drückend vorkommen, und
seit einigen Tagen wirkt sie auch ermattend auf den acclimatisirten Franken und auf
den eingeborenen Osmanen, Armenier und Griechen, aber im Vergleich mit den
vorausgegangenen Sommern, namentlich mit dem glühend heißen des Jahres
in welchem die Vegetation weit und breit versengt, kaum ein grünes Blatt um die
gegenwärtige Zeit noch an den Bäumen und anstatt des grünen Rasens nur ver¬
brannte Halme zu entdecken waren, kann man den diesjährigen Julimonat einen
wahrhaft kühlen nennen. Es steht diese hiesige Witterung etwas im Contrast mit
der in Deutschland, wo, wie ich aus den Zeitungen ersehe, die Tage heiß und selbst
die Abende noch weit in die Nacht hinein von Schwüle heimgesucht sind. Wenn
dort die Ernte unter solchen Witterungsverhältnissen mit mehr Aussichten wie je¬
mals erfüllt, kann man hier den Fruchtertrag ebenfalls als einen außergewöhnlich
reichen ansehen. Wo gesäet worden ist -- und dies geschah auf einem leider we¬
niger ausgedehnten Flächenraume wie in anderen Jahren, lassen Korn und Weizen
nichts zu wünschen übrig. Dieser besondere Glücksumstand verspricht den großen
Ausfall zu decken, der namentlich auf dem Kriegstheater selbst infolge des Kampfes
mit Rußland entstanden ist. Die armen bulgarischen und walachischcn Bauern lie¬
gen ohne Unterlaß mit ihren Gespannen nunmehr seit einem vollen Jahre aus den
Heerstraßen, um den Transport des Kriegsmaterials, des Mundbedarfs, der Fou-
rage und der Kranken und Verwundeten für Russen wie für Türken zu besorgen.
Erstcrerscits bezahlte man sie gar nicht; letztercrseits bezeugte man vielen guten
Willen, die Leute vor Schaden sicher zu stellen, konnte ihnen aber dennoch nur
Bons austheilen, die von Juden für ein Geringes ausgekauft worden sind, weil der
Landmann, ohne Capital, wie er nnn einmal arm und nothdürftig ist, mit ge¬
ringen Procenten zufrieden sein mußte, um nur nicht noch länger ohne alle Mittel
zu sein.



) (Anm. der Red.) - Der Brief ist durch einen Zufall eine Woche liegen geblieben-
Wir liefern die Theaterberichte nach.

menfluß der Muster deutschen Gewerbfleißes in seiner Hauptstadt glaubt er der
eignen Industrie gefährlich, und zu lernen braucht er nicht, der Aufklärung bedarf
er nicht. In England pilgerten Arbcitercaravanen aus den entlegensten Districten
zur Weltausstellung — ich fürchte, solchen Zuzug werden hier zu Lande die Herren
Pfarrer schon zu verhindern wissen. Denn wozu den Bauer gescheidt machen? In¬
zwischen ist doch der Münchener selbst industrios genug, um zu wissen, daß man
das Hühnchen pflücken muß, wenn man seiner habhaft wird. Ganz München ist
jetzt eine ungeheure Pflückmaschine und ob ein Stück Haut und Fleisch dabei mit¬
geht, kommt nicht in Betracht. —

Die Mustervorstellungen auf der hiesigen Bühne haben begonnen: die Braut
von Messina, Minna von Barnhelm und Nathan sind bis heute zur Aufführung
gekommen — und der Gesammteindruck war in der That ein überwältigender, der
auch die so hochgespannter Erwartungen hinter sich zurückließ/)


' Ans Konstantinipel

— Es ist ein abnormer Sommer,
den wir in diesem Jahre hier erleben. Die Hitze mag einem Bewohner Mittel¬
europas und dem Engländer und Franzosen immerhin noch drückend vorkommen, und
seit einigen Tagen wirkt sie auch ermattend auf den acclimatisirten Franken und auf
den eingeborenen Osmanen, Armenier und Griechen, aber im Vergleich mit den
vorausgegangenen Sommern, namentlich mit dem glühend heißen des Jahres
in welchem die Vegetation weit und breit versengt, kaum ein grünes Blatt um die
gegenwärtige Zeit noch an den Bäumen und anstatt des grünen Rasens nur ver¬
brannte Halme zu entdecken waren, kann man den diesjährigen Julimonat einen
wahrhaft kühlen nennen. Es steht diese hiesige Witterung etwas im Contrast mit
der in Deutschland, wo, wie ich aus den Zeitungen ersehe, die Tage heiß und selbst
die Abende noch weit in die Nacht hinein von Schwüle heimgesucht sind. Wenn
dort die Ernte unter solchen Witterungsverhältnissen mit mehr Aussichten wie je¬
mals erfüllt, kann man hier den Fruchtertrag ebenfalls als einen außergewöhnlich
reichen ansehen. Wo gesäet worden ist — und dies geschah auf einem leider we¬
niger ausgedehnten Flächenraume wie in anderen Jahren, lassen Korn und Weizen
nichts zu wünschen übrig. Dieser besondere Glücksumstand verspricht den großen
Ausfall zu decken, der namentlich auf dem Kriegstheater selbst infolge des Kampfes
mit Rußland entstanden ist. Die armen bulgarischen und walachischcn Bauern lie¬
gen ohne Unterlaß mit ihren Gespannen nunmehr seit einem vollen Jahre aus den
Heerstraßen, um den Transport des Kriegsmaterials, des Mundbedarfs, der Fou-
rage und der Kranken und Verwundeten für Russen wie für Türken zu besorgen.
Erstcrerscits bezahlte man sie gar nicht; letztercrseits bezeugte man vielen guten
Willen, die Leute vor Schaden sicher zu stellen, konnte ihnen aber dennoch nur
Bons austheilen, die von Juden für ein Geringes ausgekauft worden sind, weil der
Landmann, ohne Capital, wie er nnn einmal arm und nothdürftig ist, mit ge¬
ringen Procenten zufrieden sein mußte, um nur nicht noch länger ohne alle Mittel
zu sein.



) (Anm. der Red.) - Der Brief ist durch einen Zufall eine Woche liegen geblieben-
Wir liefern die Theaterberichte nach.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/240>, abgerufen am 31.08.2024.