Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.Es wird die Aufmerksamkeit nicht nur der Pforte, sondern aller am Kriege Alle Welt ist hier in höchster Erregung über die freudigen Nachrichten, die Gegenwärtig sieht man nur noch ausnahmsweise europäische Uniformen in den Damit soll nicht gesagt sein, daß die Politik ganz vom Schauplatz abgetreten In diesem Augenblick weht ein heftiger Sturm über die Hauptstadt hin. Grenzboten. in, i8se. 30
Es wird die Aufmerksamkeit nicht nur der Pforte, sondern aller am Kriege Alle Welt ist hier in höchster Erregung über die freudigen Nachrichten, die Gegenwärtig sieht man nur noch ausnahmsweise europäische Uniformen in den Damit soll nicht gesagt sein, daß die Politik ganz vom Schauplatz abgetreten In diesem Augenblick weht ein heftiger Sturm über die Hauptstadt hin. Grenzboten. in, i8se. 30
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281392"/> <p xml:id="ID_753"> Es wird die Aufmerksamkeit nicht nur der Pforte, sondern aller am Kriege<lb/> gegen Rußland betheiligten Regierungen in Anspruch nehmen, wie dem heutigen<lb/> Nothstande in Bulgarien, der leicht zu einem fressenden, auf die Nebenprovinzen<lb/> übergreifenden Uebel werden kann, abzuhelfen sein wird. Nicht am unrechten Orte<lb/> würde es sein, wenn, nachdem der Krieg völlig auf das linke Donauuser getragen<lb/> worden ist, Eisenbahncompagnien die längst vorgeschlagenen Linien, namentlich die<lb/> von Silistria nach Var'na in Angriff nähmen. Ein Kanal von Czernawoda nach<lb/> Kustendschc gehört leider zu den unausführbaren Projecten; außerdem hat er nun¬<lb/> mehr, wenn nicht seinen commerciell-praktischen, so doch seinen politischen Werth ver¬<lb/> loren, indem kaum daran zu zweifeln ist, daß Rußland beim nächsten Friedensschluß<lb/> Bessarabien verlieren und darum die Donau bis ins Meer frei werden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_754"> Alle Welt ist hier in höchster Erregung über die freudigen Nachrichten, die<lb/> von der Donau eingegangen sind. Wenn auch die kaufmännische Welt über die<lb/> gleichzeitige Bestätigung der Verwerfung der neuesten östreichischen Vorschläge<lb/> durch den Kaiser Nikolaus wegen der dadurch nothwendig bedingten Verlängerung<lb/> des Krieges nicht ohne Sorgen ist, sind dennoch die Töchter und Frauen des haut<lb/> Commerce um so erfreuter über die Aussicht, im kommenden Winter eine Garnison<lb/> von mindeste»« zwanzigtausend Mann Franzosen und Briten in Stambul zu wissen,<lb/> was den Bällen und diplomatischen Soireen von Pera selbstredend einen noch nicht<lb/> gesehenen Aufschwung verleihen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_755"> Gegenwärtig sieht man nur noch ausnahmsweise europäische Uniformen in den<lb/> Straßen. Die Ueberschissung von Truppen und Material aus England und Frank-<lb/> .reich Ist als beendet anzusehen. Nur einzelne Dampfer liegen noch Skutari gegen¬<lb/> über vor Anker. Man fühlt, daß Konstantinopel nicht mehr der Mittelpunkt der<lb/> Ereignisse ist, sondern daß derselbe nach Varna und Silistria, nach Rustschuck und<lb/> Turtokan hinausgerückt wurde, um demnächst an den Pruth verlegt zu werden.<lb/> Das Reich der Diplomatie und der Demonstration ist zu Eude und es ist die Aera<lb/> des Zuschlagens, die an seiner Statt begonnen hat. .</p><lb/> <p xml:id="ID_756"> Damit soll nicht gesagt sein, daß die Politik ganz vom Schauplatz abgetreten<lb/> ist. Sie hat sich lediglich in den Hintergrund zurückgezogen, und steht hier gleich¬<lb/> sam bereit, um den verlorenen Posten sofort wieder einzunehmen. Politische Fragen<lb/> sind wie jemals an der Tagesordnung, und eben jetzt discutirt man beim Eis-<lb/> schälchen in den Conditoreien von Balzer und Valauri zu Pera und am Strand<lb/> und in den Parks von Bujukdere keine eifriger als die: welches die demnächstige<lb/> Stellung Oestreichs zur Pforte sein werde, ob es Grund habe, daß seit einigen<lb/> Tagen das vornehme Türkenthum sich diesem Staate sichtlich zuneige und ob andrerseits<lb/> eine Entfremdung gegen die Westmächte bereits ersichtlich sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_757" next="#ID_758"> In diesem Augenblick weht ein heftiger Sturm über die Hauptstadt hin.<lb/> Unermeßliche Staubwolken ziehen daher und hüllen Straßen und Kirchhöfe, die hier<lb/> die öffentlichen Plätze vertreten, ein. Mit dem Fernrohr kann ich von meinem<lb/> Arbeitszimmer aus bis zum Leanderthurm schauen, wo die Wellen des Marmora-<lb/> mecrs, die seit mehren Stunden aufgeregt sind, im wüsten Schaumrcgen sich an<lb/> der Klippe brechen. Es ist ein Tag, wie man deren sonst am Bosporus während<lb/> des Sommers wenige zu haben pflegt. Muselmanen, Griechen, Armenier und Franken<lb/> halten sich soviel wie möglich in ihren Wohnungen zurück, und selbst die sonst nie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. in, i8se. 30</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0241]
Es wird die Aufmerksamkeit nicht nur der Pforte, sondern aller am Kriege
gegen Rußland betheiligten Regierungen in Anspruch nehmen, wie dem heutigen
Nothstande in Bulgarien, der leicht zu einem fressenden, auf die Nebenprovinzen
übergreifenden Uebel werden kann, abzuhelfen sein wird. Nicht am unrechten Orte
würde es sein, wenn, nachdem der Krieg völlig auf das linke Donauuser getragen
worden ist, Eisenbahncompagnien die längst vorgeschlagenen Linien, namentlich die
von Silistria nach Var'na in Angriff nähmen. Ein Kanal von Czernawoda nach
Kustendschc gehört leider zu den unausführbaren Projecten; außerdem hat er nun¬
mehr, wenn nicht seinen commerciell-praktischen, so doch seinen politischen Werth ver¬
loren, indem kaum daran zu zweifeln ist, daß Rußland beim nächsten Friedensschluß
Bessarabien verlieren und darum die Donau bis ins Meer frei werden wird.
Alle Welt ist hier in höchster Erregung über die freudigen Nachrichten, die
von der Donau eingegangen sind. Wenn auch die kaufmännische Welt über die
gleichzeitige Bestätigung der Verwerfung der neuesten östreichischen Vorschläge
durch den Kaiser Nikolaus wegen der dadurch nothwendig bedingten Verlängerung
des Krieges nicht ohne Sorgen ist, sind dennoch die Töchter und Frauen des haut
Commerce um so erfreuter über die Aussicht, im kommenden Winter eine Garnison
von mindeste»« zwanzigtausend Mann Franzosen und Briten in Stambul zu wissen,
was den Bällen und diplomatischen Soireen von Pera selbstredend einen noch nicht
gesehenen Aufschwung verleihen wird.
Gegenwärtig sieht man nur noch ausnahmsweise europäische Uniformen in den
Straßen. Die Ueberschissung von Truppen und Material aus England und Frank-
.reich Ist als beendet anzusehen. Nur einzelne Dampfer liegen noch Skutari gegen¬
über vor Anker. Man fühlt, daß Konstantinopel nicht mehr der Mittelpunkt der
Ereignisse ist, sondern daß derselbe nach Varna und Silistria, nach Rustschuck und
Turtokan hinausgerückt wurde, um demnächst an den Pruth verlegt zu werden.
Das Reich der Diplomatie und der Demonstration ist zu Eude und es ist die Aera
des Zuschlagens, die an seiner Statt begonnen hat. .
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Politik ganz vom Schauplatz abgetreten
ist. Sie hat sich lediglich in den Hintergrund zurückgezogen, und steht hier gleich¬
sam bereit, um den verlorenen Posten sofort wieder einzunehmen. Politische Fragen
sind wie jemals an der Tagesordnung, und eben jetzt discutirt man beim Eis-
schälchen in den Conditoreien von Balzer und Valauri zu Pera und am Strand
und in den Parks von Bujukdere keine eifriger als die: welches die demnächstige
Stellung Oestreichs zur Pforte sein werde, ob es Grund habe, daß seit einigen
Tagen das vornehme Türkenthum sich diesem Staate sichtlich zuneige und ob andrerseits
eine Entfremdung gegen die Westmächte bereits ersichtlich sei.
In diesem Augenblick weht ein heftiger Sturm über die Hauptstadt hin.
Unermeßliche Staubwolken ziehen daher und hüllen Straßen und Kirchhöfe, die hier
die öffentlichen Plätze vertreten, ein. Mit dem Fernrohr kann ich von meinem
Arbeitszimmer aus bis zum Leanderthurm schauen, wo die Wellen des Marmora-
mecrs, die seit mehren Stunden aufgeregt sind, im wüsten Schaumrcgen sich an
der Klippe brechen. Es ist ein Tag, wie man deren sonst am Bosporus während
des Sommers wenige zu haben pflegt. Muselmanen, Griechen, Armenier und Franken
halten sich soviel wie möglich in ihren Wohnungen zurück, und selbst die sonst nie
Grenzboten. in, i8se. 30
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