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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ueber die gegenwärtige Finanzlage des osmanischen
Reiches.

Es gibt kaum einen Verwaltungszweig in der Türkei, über welchen man
sich in Europa und auch hier zu Lande dermaßen im Unklaren befände, wie
die osmanischen Staatsfinanzen. Wenn man den deutschen, englischen und
französischen Zeitungen vor zwei Jahren Glauben schenken durfte, stand da¬
mals das Reich des Sultans am Rande des Bankrotts. Seitdem nun sind
außerordentliche Rüstungen gemacht worden, mit denen verglichen aller mili¬
tärische Aufwand in früheren Krisen gering erscheinen muß; die Armee, welche
vordem nur 130,000 Mann unter den Waffen zählte, ist auf 300,000 Manu
vermehrt, der Krieg seit acht Monaten erklärt und auf beiden Landgrenzen in
Europa und Asien geführt worden.....man weiß, daß die Hilfsmittel
hierzu nicht vom Ausland bezogen sind, weil alle dort gemachten Anleihe¬
versuche scheiterten und fragt darum erstaunt, auf welchem Wege diese uner¬
meßlichen Ausgaben ihre Deckung fanden?! -- Auf die Meinung der politi-
schen Kannegießer, für die es keinem Zweifel mehr unterliegt, daß für den
ganzen Bedarf England und Frankreich aufkommen, wird selbstredend kein Ver¬
ständiger Gewicht legen. Wenn von beiden Mächten der osmanischen Re¬
gierung Vorschüsse gemacht wurden, so waren dieselben jedenfalls nur unbe¬
deutend, unter keinen Umständen überschritten sie die Summe von 10 Millionen
Franken, und dieselbe ist vermittelst der von der Pforte übernommenen Ver¬
pflegung der französischen und englischen Truppen wahrscheinlich schon zum
Theil wieder zurückerstattet.

Die großen Ausgaben müssen daher ans dem unmittelbaren Vermögen
des Landes bestritten worden sein und zwar, da die Abgaben nicht wesentlich
erhöht worden sind, in einer Art und Weise, die hier allein statthaft war und
für welche wir Franken ein schlechtes Verständniß haben, weil bei uns, auf
Grund der durchaus verschiedenen Verhältnisse, das Mittel nicht hätte in
Anwendung gebracht werden können.

Man kann die extraordinären Summen, welche das Pfortengouvernement
seit Anfang des Jahres 18S3 an sich gezogen hat, auf drei Hauptquellen
zurückführen. Zum Theil stammen sie aus Vorschüssen her, die einerseits von
den zinspflichtigen Regierungen, namentlich von der ägyptischen, andrerseits
von den Finanzpächtcrn gemacht worden sind; zum andern Theil aus den
Abzügen, welche man vom Gehalt der höher besoldeten Beamten machte, aus
den freiwilligen Gaben der Reichen und Großen des Landes, vor allem der


Ueber die gegenwärtige Finanzlage des osmanischen
Reiches.

Es gibt kaum einen Verwaltungszweig in der Türkei, über welchen man
sich in Europa und auch hier zu Lande dermaßen im Unklaren befände, wie
die osmanischen Staatsfinanzen. Wenn man den deutschen, englischen und
französischen Zeitungen vor zwei Jahren Glauben schenken durfte, stand da¬
mals das Reich des Sultans am Rande des Bankrotts. Seitdem nun sind
außerordentliche Rüstungen gemacht worden, mit denen verglichen aller mili¬
tärische Aufwand in früheren Krisen gering erscheinen muß; die Armee, welche
vordem nur 130,000 Mann unter den Waffen zählte, ist auf 300,000 Manu
vermehrt, der Krieg seit acht Monaten erklärt und auf beiden Landgrenzen in
Europa und Asien geführt worden.....man weiß, daß die Hilfsmittel
hierzu nicht vom Ausland bezogen sind, weil alle dort gemachten Anleihe¬
versuche scheiterten und fragt darum erstaunt, auf welchem Wege diese uner¬
meßlichen Ausgaben ihre Deckung fanden?! — Auf die Meinung der politi-
schen Kannegießer, für die es keinem Zweifel mehr unterliegt, daß für den
ganzen Bedarf England und Frankreich aufkommen, wird selbstredend kein Ver¬
ständiger Gewicht legen. Wenn von beiden Mächten der osmanischen Re¬
gierung Vorschüsse gemacht wurden, so waren dieselben jedenfalls nur unbe¬
deutend, unter keinen Umständen überschritten sie die Summe von 10 Millionen
Franken, und dieselbe ist vermittelst der von der Pforte übernommenen Ver¬
pflegung der französischen und englischen Truppen wahrscheinlich schon zum
Theil wieder zurückerstattet.

Die großen Ausgaben müssen daher ans dem unmittelbaren Vermögen
des Landes bestritten worden sein und zwar, da die Abgaben nicht wesentlich
erhöht worden sind, in einer Art und Weise, die hier allein statthaft war und
für welche wir Franken ein schlechtes Verständniß haben, weil bei uns, auf
Grund der durchaus verschiedenen Verhältnisse, das Mittel nicht hätte in
Anwendung gebracht werden können.

Man kann die extraordinären Summen, welche das Pfortengouvernement
seit Anfang des Jahres 18S3 an sich gezogen hat, auf drei Hauptquellen
zurückführen. Zum Theil stammen sie aus Vorschüssen her, die einerseits von
den zinspflichtigen Regierungen, namentlich von der ägyptischen, andrerseits
von den Finanzpächtcrn gemacht worden sind; zum andern Theil aus den
Abzügen, welche man vom Gehalt der höher besoldeten Beamten machte, aus
den freiwilligen Gaben der Reichen und Großen des Landes, vor allem der


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[0112] Ueber die gegenwärtige Finanzlage des osmanischen Reiches. Es gibt kaum einen Verwaltungszweig in der Türkei, über welchen man sich in Europa und auch hier zu Lande dermaßen im Unklaren befände, wie die osmanischen Staatsfinanzen. Wenn man den deutschen, englischen und französischen Zeitungen vor zwei Jahren Glauben schenken durfte, stand da¬ mals das Reich des Sultans am Rande des Bankrotts. Seitdem nun sind außerordentliche Rüstungen gemacht worden, mit denen verglichen aller mili¬ tärische Aufwand in früheren Krisen gering erscheinen muß; die Armee, welche vordem nur 130,000 Mann unter den Waffen zählte, ist auf 300,000 Manu vermehrt, der Krieg seit acht Monaten erklärt und auf beiden Landgrenzen in Europa und Asien geführt worden.....man weiß, daß die Hilfsmittel hierzu nicht vom Ausland bezogen sind, weil alle dort gemachten Anleihe¬ versuche scheiterten und fragt darum erstaunt, auf welchem Wege diese uner¬ meßlichen Ausgaben ihre Deckung fanden?! — Auf die Meinung der politi- schen Kannegießer, für die es keinem Zweifel mehr unterliegt, daß für den ganzen Bedarf England und Frankreich aufkommen, wird selbstredend kein Ver¬ ständiger Gewicht legen. Wenn von beiden Mächten der osmanischen Re¬ gierung Vorschüsse gemacht wurden, so waren dieselben jedenfalls nur unbe¬ deutend, unter keinen Umständen überschritten sie die Summe von 10 Millionen Franken, und dieselbe ist vermittelst der von der Pforte übernommenen Ver¬ pflegung der französischen und englischen Truppen wahrscheinlich schon zum Theil wieder zurückerstattet. Die großen Ausgaben müssen daher ans dem unmittelbaren Vermögen des Landes bestritten worden sein und zwar, da die Abgaben nicht wesentlich erhöht worden sind, in einer Art und Weise, die hier allein statthaft war und für welche wir Franken ein schlechtes Verständniß haben, weil bei uns, auf Grund der durchaus verschiedenen Verhältnisse, das Mittel nicht hätte in Anwendung gebracht werden können. Man kann die extraordinären Summen, welche das Pfortengouvernement seit Anfang des Jahres 18S3 an sich gezogen hat, auf drei Hauptquellen zurückführen. Zum Theil stammen sie aus Vorschüssen her, die einerseits von den zinspflichtigen Regierungen, namentlich von der ägyptischen, andrerseits von den Finanzpächtcrn gemacht worden sind; zum andern Theil aus den Abzügen, welche man vom Gehalt der höher besoldeten Beamten machte, aus den freiwilligen Gaben der Reichen und Großen des Landes, vor allem der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/112>, abgerufen am 27.07.2024.