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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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das Vorbild Walter Scotts doch wieder das maßgebende werden. Die Jdea-
lisirung historischer Zustände nach einer bestimmten ästhetischen Tendenz verliert
ihren Werth, sobald der Geschmack sich ändert; die Handzeichnung nach der
Natur dagegen bleibt immer bestehn. --


Tahiti, Roman aus der Südsee von Friedrich Gerstäcker, i Bände. Leip¬
zig, Costenoble; Berlin, Gärtner. --

Die liebenswürdige Persönlichkeit, die dem Verfasser in sämmtlichen Welt¬
theilen so viele Freunde verschafft hat, verleugnet sich auch in diesem Werke nicht.
Ebensowenig seine Fähigkeit, Gegenstände, die er wirklich gesehen, und Zustände,
die er beobachtet, mit lebhaften und eindringlichen Farben zu schildern. We¬
niger bedeutend ist sein psychologisches Talent, und in der Composition läßt sich
eine gewisse Nachlässigkeit nicht verkennen.

Die Handlung bewegt sich um einen doppelten Mittelpunkt. Einerseits
um die Flucht eines jungen Europäers aus seinem Schiffe, seine Rettung durch
ein indianisches Mädchen und seine Verheirathung mit derselben; andrerseits
um die Streitigkeiten zwischen den englischen und französischen Missionären auf
Tahiti, die zu einem blutigen Conflict führten und die beinahe einen Krieg
zwischen Frankreich und England herbeigeführt hätten, wenn nicht die beider¬
seitigen Staatsmänner so verständig gewesen wären, die nationale Ehrenfrage
in eine einfache Geldfrage zu verwandeln und ihr so die Spitze abzubrechen.
Beide Begebenheiten sind vortrefflich geschildert, und gegen eine Combination
der beiden wäre an und für sich auch nichts einzuwenden gewesen, wenn der
Dichter nur ein richtiges Verhältniß zwischen ihnen gefunden und die eine blos
als Rahmen der anderen benutzt hätte. Da aber beide mit gleicher Breite
ausgeführt sind, so entsteht eine Collision der Interessen. Man verliert eine
Zeitlang die eine über der anderen aus den Augen und wenn man wieder zu
ihr zurückgeführt wird, so hat sich das Interesse schon abgestumpft. Es ist das
schade; denn einzelne von diesen Schilderungen sind mit bewundernswürdiger
Naturtreue ausgeführt und die Entwicklung wenigstens des ersten Verhältnisses
auch sehr richtig gedacht. Grade in unsrer Zeit, wo die Anschauung fast ganz
in Reflexionen untergegangen ist, wird man mit Freude und Theilnahme bei
einem Gemälde verweilen, weil es mit den kräftigsten, sinnlichsten Farben und
den schärfsten Umrissen dargestellt ist. --


' Der moderne Falstaff. Von Theodor König. Leipzig, Schultze. --

Der Dichter dieses Romans hat sich in jüngster Zeit bereits durch zwei
ähnliche Versuche: "Moderner Jesuitismus" und "Anton Gregor" einen Namen
gemacht. Wir haben bereits damals das Talent bereitwillig anerkannt, und fin¬
den es auch diesmal, namentlich in den Bildern aus dem Leben des kleinen Bür-


das Vorbild Walter Scotts doch wieder das maßgebende werden. Die Jdea-
lisirung historischer Zustände nach einer bestimmten ästhetischen Tendenz verliert
ihren Werth, sobald der Geschmack sich ändert; die Handzeichnung nach der
Natur dagegen bleibt immer bestehn. —


Tahiti, Roman aus der Südsee von Friedrich Gerstäcker, i Bände. Leip¬
zig, Costenoble; Berlin, Gärtner. —

Die liebenswürdige Persönlichkeit, die dem Verfasser in sämmtlichen Welt¬
theilen so viele Freunde verschafft hat, verleugnet sich auch in diesem Werke nicht.
Ebensowenig seine Fähigkeit, Gegenstände, die er wirklich gesehen, und Zustände,
die er beobachtet, mit lebhaften und eindringlichen Farben zu schildern. We¬
niger bedeutend ist sein psychologisches Talent, und in der Composition läßt sich
eine gewisse Nachlässigkeit nicht verkennen.

Die Handlung bewegt sich um einen doppelten Mittelpunkt. Einerseits
um die Flucht eines jungen Europäers aus seinem Schiffe, seine Rettung durch
ein indianisches Mädchen und seine Verheirathung mit derselben; andrerseits
um die Streitigkeiten zwischen den englischen und französischen Missionären auf
Tahiti, die zu einem blutigen Conflict führten und die beinahe einen Krieg
zwischen Frankreich und England herbeigeführt hätten, wenn nicht die beider¬
seitigen Staatsmänner so verständig gewesen wären, die nationale Ehrenfrage
in eine einfache Geldfrage zu verwandeln und ihr so die Spitze abzubrechen.
Beide Begebenheiten sind vortrefflich geschildert, und gegen eine Combination
der beiden wäre an und für sich auch nichts einzuwenden gewesen, wenn der
Dichter nur ein richtiges Verhältniß zwischen ihnen gefunden und die eine blos
als Rahmen der anderen benutzt hätte. Da aber beide mit gleicher Breite
ausgeführt sind, so entsteht eine Collision der Interessen. Man verliert eine
Zeitlang die eine über der anderen aus den Augen und wenn man wieder zu
ihr zurückgeführt wird, so hat sich das Interesse schon abgestumpft. Es ist das
schade; denn einzelne von diesen Schilderungen sind mit bewundernswürdiger
Naturtreue ausgeführt und die Entwicklung wenigstens des ersten Verhältnisses
auch sehr richtig gedacht. Grade in unsrer Zeit, wo die Anschauung fast ganz
in Reflexionen untergegangen ist, wird man mit Freude und Theilnahme bei
einem Gemälde verweilen, weil es mit den kräftigsten, sinnlichsten Farben und
den schärfsten Umrissen dargestellt ist. —


' Der moderne Falstaff. Von Theodor König. Leipzig, Schultze. —

Der Dichter dieses Romans hat sich in jüngster Zeit bereits durch zwei
ähnliche Versuche: „Moderner Jesuitismus" und „Anton Gregor" einen Namen
gemacht. Wir haben bereits damals das Talent bereitwillig anerkannt, und fin¬
den es auch diesmal, namentlich in den Bildern aus dem Leben des kleinen Bür-


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[0104] das Vorbild Walter Scotts doch wieder das maßgebende werden. Die Jdea- lisirung historischer Zustände nach einer bestimmten ästhetischen Tendenz verliert ihren Werth, sobald der Geschmack sich ändert; die Handzeichnung nach der Natur dagegen bleibt immer bestehn. — Tahiti, Roman aus der Südsee von Friedrich Gerstäcker, i Bände. Leip¬ zig, Costenoble; Berlin, Gärtner. — Die liebenswürdige Persönlichkeit, die dem Verfasser in sämmtlichen Welt¬ theilen so viele Freunde verschafft hat, verleugnet sich auch in diesem Werke nicht. Ebensowenig seine Fähigkeit, Gegenstände, die er wirklich gesehen, und Zustände, die er beobachtet, mit lebhaften und eindringlichen Farben zu schildern. We¬ niger bedeutend ist sein psychologisches Talent, und in der Composition läßt sich eine gewisse Nachlässigkeit nicht verkennen. Die Handlung bewegt sich um einen doppelten Mittelpunkt. Einerseits um die Flucht eines jungen Europäers aus seinem Schiffe, seine Rettung durch ein indianisches Mädchen und seine Verheirathung mit derselben; andrerseits um die Streitigkeiten zwischen den englischen und französischen Missionären auf Tahiti, die zu einem blutigen Conflict führten und die beinahe einen Krieg zwischen Frankreich und England herbeigeführt hätten, wenn nicht die beider¬ seitigen Staatsmänner so verständig gewesen wären, die nationale Ehrenfrage in eine einfache Geldfrage zu verwandeln und ihr so die Spitze abzubrechen. Beide Begebenheiten sind vortrefflich geschildert, und gegen eine Combination der beiden wäre an und für sich auch nichts einzuwenden gewesen, wenn der Dichter nur ein richtiges Verhältniß zwischen ihnen gefunden und die eine blos als Rahmen der anderen benutzt hätte. Da aber beide mit gleicher Breite ausgeführt sind, so entsteht eine Collision der Interessen. Man verliert eine Zeitlang die eine über der anderen aus den Augen und wenn man wieder zu ihr zurückgeführt wird, so hat sich das Interesse schon abgestumpft. Es ist das schade; denn einzelne von diesen Schilderungen sind mit bewundernswürdiger Naturtreue ausgeführt und die Entwicklung wenigstens des ersten Verhältnisses auch sehr richtig gedacht. Grade in unsrer Zeit, wo die Anschauung fast ganz in Reflexionen untergegangen ist, wird man mit Freude und Theilnahme bei einem Gemälde verweilen, weil es mit den kräftigsten, sinnlichsten Farben und den schärfsten Umrissen dargestellt ist. — ' Der moderne Falstaff. Von Theodor König. Leipzig, Schultze. — Der Dichter dieses Romans hat sich in jüngster Zeit bereits durch zwei ähnliche Versuche: „Moderner Jesuitismus" und „Anton Gregor" einen Namen gemacht. Wir haben bereits damals das Talent bereitwillig anerkannt, und fin¬ den es auch diesmal, namentlich in den Bildern aus dem Leben des kleinen Bür-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/104>, abgerufen am 27.07.2024.