Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dew Gründen von einem solchen Patriotismus gar nicht die Rede gewesen: es ist
nicht jedem gegeben, sich in Klopstockscher Manier eine Vision des Vaterlandes
auszumalen, und der an localen Eigenthümlichkeiten sich aufbauende Patriotismus
eines Justus Moser kann nur baun von Werth sein, wenn ihm ein allgemeineres
Gefühl zu Hilfe kommt, sonst verliert er sich in Genremalerei. Die Freiheitskriege
regten das deutsche Nationalgefühl auf das mächtigste an, und wandten das In¬
teresse von den Haupt- und Staats-Actionen gekrönter Häupter auf die Thaten des
Volks, wenn auch zunächst die Hohenstaufen, die Nibelungen u. f. w. darin ihre
Nahrung fanden. Man hat den Patriotismus zuweilen zu weit getrieben, indem
man als den einzigen Maßstab des Urtheils aufstellte, wieweit jemand "deutsch"
war, d. h. wieweit er die Entwickelung, die man sich als die allein richtige für
Deutschland ausgeklügelt hatte, forderte oder uicht; indem man also die Franzosen
sammt und sonders verwarf, weil sie meistens einen schädlichen Einfluß auf
Deutschland ausgeübt. Indeß das sind Auswüchse, die sich leicht heben lassen,
und die dem gesunden Kern keinen Abbruch thun. -- S) Die Geschichtsphi¬
losophie. Hegels Einfluß ans die Geschichte ist ganz unberechenbar, und er ist
noch lange nicht erschöpft. Soviel Mißgriffe er in Bezug auf die Thatsachen
wie in seiner Methode begangen hat, und wie wenig wir auch die Ausdehnung,
die er seiner Polemik gegen die "historische Schule" gegeben hat, billigen wollen,
so haben wir doch erst ans ihm gelernt, historisch zu denken, weite Perspectiven
zu umfassen und dabei das Gesetz der Perspektive im Auge zu behalten. Seine
Gestchtspuukte sind für die^ Geschichtschreibung ebenso wichtig geworden, als die
Methode der historischen Schule.

Das sind die Hauptquellen, aus denen der Geist der modernen Geschicht¬
schreibung herzuleiten ist. Wir gehen nun ans einzelne Bücher über, die für die
neue Tendenz charakteristisch sind, und die ihrer Zeit ein ungewöhnliches Auflesen
erregt haben, indem wir uns vorbehalten, in der Auswahl und Reihenfolge der¬
selben die unbedingteste Freiheit auszuüben. Wir beginnen mit der:

,..
Geschichte Papst Jmwccnz des dritten und seiner ^Zeitgenossen. Durch Friedrich
Hurter. 4 Bde. Hamburg, Perthes. 183i --i2.

Hurter, geb. 1786 in Schaffhausen, hatte seit 180L in Göttingen Theologie
studirt, und war 1823 Antistes und Dekan in seiner Vaterstadt geworden. Er
war also in einer amtlich protestantischen Stellung, als er jenes Buch herausgab,
in dem das reichhaltige Material offenbar dazu verwendet ist, den.Katholicismus
zu verherrlichen. Daher das große Aufsehen; freilich thaten auch die Journale
der Reaction und des Romanismus das Ihrige, es zu präconisireu.

Zwar haben wir es nicht mit einer Parteischrist im gemeineren Sinne des
Wortes zu thun; Hurter ist im Gegentheil fest davon überzeugt, sich nur durch den
objectiven Eindruck der Thatsache" bestimmen zu lassen, und er gibt sich in der


dew Gründen von einem solchen Patriotismus gar nicht die Rede gewesen: es ist
nicht jedem gegeben, sich in Klopstockscher Manier eine Vision des Vaterlandes
auszumalen, und der an localen Eigenthümlichkeiten sich aufbauende Patriotismus
eines Justus Moser kann nur baun von Werth sein, wenn ihm ein allgemeineres
Gefühl zu Hilfe kommt, sonst verliert er sich in Genremalerei. Die Freiheitskriege
regten das deutsche Nationalgefühl auf das mächtigste an, und wandten das In¬
teresse von den Haupt- und Staats-Actionen gekrönter Häupter auf die Thaten des
Volks, wenn auch zunächst die Hohenstaufen, die Nibelungen u. f. w. darin ihre
Nahrung fanden. Man hat den Patriotismus zuweilen zu weit getrieben, indem
man als den einzigen Maßstab des Urtheils aufstellte, wieweit jemand „deutsch"
war, d. h. wieweit er die Entwickelung, die man sich als die allein richtige für
Deutschland ausgeklügelt hatte, forderte oder uicht; indem man also die Franzosen
sammt und sonders verwarf, weil sie meistens einen schädlichen Einfluß auf
Deutschland ausgeübt. Indeß das sind Auswüchse, die sich leicht heben lassen,
und die dem gesunden Kern keinen Abbruch thun. — S) Die Geschichtsphi¬
losophie. Hegels Einfluß ans die Geschichte ist ganz unberechenbar, und er ist
noch lange nicht erschöpft. Soviel Mißgriffe er in Bezug auf die Thatsachen
wie in seiner Methode begangen hat, und wie wenig wir auch die Ausdehnung,
die er seiner Polemik gegen die „historische Schule" gegeben hat, billigen wollen,
so haben wir doch erst ans ihm gelernt, historisch zu denken, weite Perspectiven
zu umfassen und dabei das Gesetz der Perspektive im Auge zu behalten. Seine
Gestchtspuukte sind für die^ Geschichtschreibung ebenso wichtig geworden, als die
Methode der historischen Schule.

Das sind die Hauptquellen, aus denen der Geist der modernen Geschicht¬
schreibung herzuleiten ist. Wir gehen nun ans einzelne Bücher über, die für die
neue Tendenz charakteristisch sind, und die ihrer Zeit ein ungewöhnliches Auflesen
erregt haben, indem wir uns vorbehalten, in der Auswahl und Reihenfolge der¬
selben die unbedingteste Freiheit auszuüben. Wir beginnen mit der:

,..
Geschichte Papst Jmwccnz des dritten und seiner ^Zeitgenossen. Durch Friedrich
Hurter. 4 Bde. Hamburg, Perthes. 183i —i2.

Hurter, geb. 1786 in Schaffhausen, hatte seit 180L in Göttingen Theologie
studirt, und war 1823 Antistes und Dekan in seiner Vaterstadt geworden. Er
war also in einer amtlich protestantischen Stellung, als er jenes Buch herausgab,
in dem das reichhaltige Material offenbar dazu verwendet ist, den.Katholicismus
zu verherrlichen. Daher das große Aufsehen; freilich thaten auch die Journale
der Reaction und des Romanismus das Ihrige, es zu präconisireu.

Zwar haben wir es nicht mit einer Parteischrist im gemeineren Sinne des
Wortes zu thun; Hurter ist im Gegentheil fest davon überzeugt, sich nur durch den
objectiven Eindruck der Thatsache« bestimmen zu lassen, und er gibt sich in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96797"/>
            <p xml:id="ID_233" prev="#ID_232"> dew Gründen von einem solchen Patriotismus gar nicht die Rede gewesen: es ist<lb/>
nicht jedem gegeben, sich in Klopstockscher Manier eine Vision des Vaterlandes<lb/>
auszumalen, und der an localen Eigenthümlichkeiten sich aufbauende Patriotismus<lb/>
eines Justus Moser kann nur baun von Werth sein, wenn ihm ein allgemeineres<lb/>
Gefühl zu Hilfe kommt, sonst verliert er sich in Genremalerei. Die Freiheitskriege<lb/>
regten das deutsche Nationalgefühl auf das mächtigste an, und wandten das In¬<lb/>
teresse von den Haupt- und Staats-Actionen gekrönter Häupter auf die Thaten des<lb/>
Volks, wenn auch zunächst die Hohenstaufen, die Nibelungen u. f. w. darin ihre<lb/>
Nahrung fanden. Man hat den Patriotismus zuweilen zu weit getrieben, indem<lb/>
man als den einzigen Maßstab des Urtheils aufstellte, wieweit jemand &#x201E;deutsch"<lb/>
war, d. h. wieweit er die Entwickelung, die man sich als die allein richtige für<lb/>
Deutschland ausgeklügelt hatte, forderte oder uicht; indem man also die Franzosen<lb/>
sammt und sonders verwarf, weil sie meistens einen schädlichen Einfluß auf<lb/>
Deutschland ausgeübt. Indeß das sind Auswüchse, die sich leicht heben lassen,<lb/>
und die dem gesunden Kern keinen Abbruch thun. &#x2014; S) Die Geschichtsphi¬<lb/>
losophie. Hegels Einfluß ans die Geschichte ist ganz unberechenbar, und er ist<lb/>
noch lange nicht erschöpft. Soviel Mißgriffe er in Bezug auf die Thatsachen<lb/>
wie in seiner Methode begangen hat, und wie wenig wir auch die Ausdehnung,<lb/>
die er seiner Polemik gegen die &#x201E;historische Schule" gegeben hat, billigen wollen,<lb/>
so haben wir doch erst ans ihm gelernt, historisch zu denken, weite Perspectiven<lb/>
zu umfassen und dabei das Gesetz der Perspektive im Auge zu behalten. Seine<lb/>
Gestchtspuukte sind für die^ Geschichtschreibung ebenso wichtig geworden, als die<lb/>
Methode der historischen Schule.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_234"> Das sind die Hauptquellen, aus denen der Geist der modernen Geschicht¬<lb/>
schreibung herzuleiten ist. Wir gehen nun ans einzelne Bücher über, die für die<lb/>
neue Tendenz charakteristisch sind, und die ihrer Zeit ein ungewöhnliches Auflesen<lb/>
erregt haben, indem wir uns vorbehalten, in der Auswahl und Reihenfolge der¬<lb/>
selben die unbedingteste Freiheit auszuüben.  Wir beginnen mit der:</p><lb/>
            <div n="3">
              <head> ,..<lb/>
Geschichte Papst Jmwccnz des dritten und seiner ^Zeitgenossen.  Durch Friedrich<lb/>
Hurter. 4 Bde. Hamburg, Perthes. 183i &#x2014;i2.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_235"> Hurter, geb. 1786 in Schaffhausen, hatte seit 180L in Göttingen Theologie<lb/>
studirt, und war 1823 Antistes und Dekan in seiner Vaterstadt geworden. Er<lb/>
war also in einer amtlich protestantischen Stellung, als er jenes Buch herausgab,<lb/>
in dem das reichhaltige Material offenbar dazu verwendet ist, den.Katholicismus<lb/>
zu verherrlichen. Daher das große Aufsehen; freilich thaten auch die Journale<lb/>
der Reaction und des Romanismus das Ihrige, es zu präconisireu.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Zwar haben wir es nicht mit einer Parteischrist im gemeineren Sinne des<lb/>
Wortes zu thun; Hurter ist im Gegentheil fest davon überzeugt, sich nur durch den<lb/>
objectiven Eindruck der Thatsache« bestimmen zu lassen, und er gibt sich in der</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] dew Gründen von einem solchen Patriotismus gar nicht die Rede gewesen: es ist nicht jedem gegeben, sich in Klopstockscher Manier eine Vision des Vaterlandes auszumalen, und der an localen Eigenthümlichkeiten sich aufbauende Patriotismus eines Justus Moser kann nur baun von Werth sein, wenn ihm ein allgemeineres Gefühl zu Hilfe kommt, sonst verliert er sich in Genremalerei. Die Freiheitskriege regten das deutsche Nationalgefühl auf das mächtigste an, und wandten das In¬ teresse von den Haupt- und Staats-Actionen gekrönter Häupter auf die Thaten des Volks, wenn auch zunächst die Hohenstaufen, die Nibelungen u. f. w. darin ihre Nahrung fanden. Man hat den Patriotismus zuweilen zu weit getrieben, indem man als den einzigen Maßstab des Urtheils aufstellte, wieweit jemand „deutsch" war, d. h. wieweit er die Entwickelung, die man sich als die allein richtige für Deutschland ausgeklügelt hatte, forderte oder uicht; indem man also die Franzosen sammt und sonders verwarf, weil sie meistens einen schädlichen Einfluß auf Deutschland ausgeübt. Indeß das sind Auswüchse, die sich leicht heben lassen, und die dem gesunden Kern keinen Abbruch thun. — S) Die Geschichtsphi¬ losophie. Hegels Einfluß ans die Geschichte ist ganz unberechenbar, und er ist noch lange nicht erschöpft. Soviel Mißgriffe er in Bezug auf die Thatsachen wie in seiner Methode begangen hat, und wie wenig wir auch die Ausdehnung, die er seiner Polemik gegen die „historische Schule" gegeben hat, billigen wollen, so haben wir doch erst ans ihm gelernt, historisch zu denken, weite Perspectiven zu umfassen und dabei das Gesetz der Perspektive im Auge zu behalten. Seine Gestchtspuukte sind für die^ Geschichtschreibung ebenso wichtig geworden, als die Methode der historischen Schule. Das sind die Hauptquellen, aus denen der Geist der modernen Geschicht¬ schreibung herzuleiten ist. Wir gehen nun ans einzelne Bücher über, die für die neue Tendenz charakteristisch sind, und die ihrer Zeit ein ungewöhnliches Auflesen erregt haben, indem wir uns vorbehalten, in der Auswahl und Reihenfolge der¬ selben die unbedingteste Freiheit auszuüben. Wir beginnen mit der: ,.. Geschichte Papst Jmwccnz des dritten und seiner ^Zeitgenossen. Durch Friedrich Hurter. 4 Bde. Hamburg, Perthes. 183i —i2. Hurter, geb. 1786 in Schaffhausen, hatte seit 180L in Göttingen Theologie studirt, und war 1823 Antistes und Dekan in seiner Vaterstadt geworden. Er war also in einer amtlich protestantischen Stellung, als er jenes Buch herausgab, in dem das reichhaltige Material offenbar dazu verwendet ist, den.Katholicismus zu verherrlichen. Daher das große Aufsehen; freilich thaten auch die Journale der Reaction und des Romanismus das Ihrige, es zu präconisireu. Zwar haben wir es nicht mit einer Parteischrist im gemeineren Sinne des Wortes zu thun; Hurter ist im Gegentheil fest davon überzeugt, sich nur durch den objectiven Eindruck der Thatsache« bestimmen zu lassen, und er gibt sich in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/92>, abgerufen am 05.02.2025.