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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Oestreich med die türkische" Slaven.

Geschichte des Fürstenthums Montenegro Von der ältesten Zeit bis zum Jcihre 1832.
Von Alexander Andre, Wien, I. V. Wallishanser. 1833.

Das angezeigte Werk enthält in chronologischer Reihenfolge eine trockene
Aufzählung der Erinnerungen ans der Geschichte Montenegros, zusammengetra-
gen aus slawischen und italienischen Geschichtschreibern, ohne wissenschaftliche Kri¬
tik, aber mit viel Patriotismus, Das Jnteressanteste darin sind die Berichte über
das Verhältniß Montenegros zu Rußland, welche auch einige neue Notizen
enthalten.

Das kleine Bergland Montenegro, dessen serbische Bevölkerung als eine
Völkercnriosität in den letzten 20 Jahren oft von Touristen geschildert, dessen letz¬
ter Vladika als eine merkwürdige, ziemlich abenteuerliche Erscheinung in der euro¬
päischen Presse öfter porträtirt worden, fängt an, die Rolle, welche ihm dnrch
seine merkwürdige Lage und dnrch Rußlands Einfluß zugetheilt worden ist, auch
in der Lösung der orientalischen Frage zu spielen. Während man dnrch Jahr-
hunderte die Montenegriner ungefähr so betrachtete, wie die Türken selbst noch
hente thun, als eilten Stamm von Heiducken, von Nindviehdiebcn und Kopfab¬
schneidern, hat mau in neuester Zeit angefangen, ihnen sogar eine größere politische
Bedeutung und eine kräftigere Volkspersönlichkeit beizumessen, als sie beauspruchen
können. --Sie selbst haben sich in ihrer Weise tüchtig gerührt, um sich alö Vvlknud jun¬
ger Staat zu legitimiren. Bereits seit dem Jahre 1711 wurden ihre Raubzüge und
Kämpfe gegen die Türken von Nußland offen oder heimlich unterstützt, diese Unter¬
stützungen verwandelten sich allmälig in ein festes Schntzverhältniß, welches den russi¬
schen Einfluß auf sichere Grundlage, eine jährliche Subvention, brachte. Aus
Petersburg erhielt der Vladika den größten Theil seiner Einnahme, dort wurde
er zu seiner geistlichen Würde geweiht. In der neuesten Zeit hat Rußland
Montenegro als unabhängiges Fürstenthum anerkannt und sich ein ergebenes
Fürstengeschlecht dadurch begründet, daß eS die wirkliche Herrschaft von der ober¬
sten geistlichen Würde trennte, und dadurch eine Succession in gerader Linie
möglich machte.

Gegenüber diesen schlauen Maßregeln Rußlands hatte Oestreich bis auf die
neue Zeit mit den türkischen Slaven nichts zu machen gewußt, seine Politik war,
deu Sltttvs quo in der Türkei zu erhallen, und die östreichischen Autoritäten in
Cattarv sehen mit nichts weniger als mit freundlichem Blick ans die unzuverlässigen
Nachbarn. Jetzt aber ist ein Plan in Oestreichs Verfahren sichtbar. Zunächst,hat es
erkannt, daß die schwarzen Berge aus dreifachem Grunde auch für seine Politik von
Bedeutung sind; erstens deshalb, weil sie bei jeder Operation gegen die Türken
unentbehrliche Verbündete werden müssen, dann, weil sie ein Mittelpunkt sind für


Grenzboten. IV. ->8ö3. 38
Oestreich med die türkische» Slaven.

Geschichte des Fürstenthums Montenegro Von der ältesten Zeit bis zum Jcihre 1832.
Von Alexander Andre, Wien, I. V. Wallishanser. 1833.

Das angezeigte Werk enthält in chronologischer Reihenfolge eine trockene
Aufzählung der Erinnerungen ans der Geschichte Montenegros, zusammengetra-
gen aus slawischen und italienischen Geschichtschreibern, ohne wissenschaftliche Kri¬
tik, aber mit viel Patriotismus, Das Jnteressanteste darin sind die Berichte über
das Verhältniß Montenegros zu Rußland, welche auch einige neue Notizen
enthalten.

Das kleine Bergland Montenegro, dessen serbische Bevölkerung als eine
Völkercnriosität in den letzten 20 Jahren oft von Touristen geschildert, dessen letz¬
ter Vladika als eine merkwürdige, ziemlich abenteuerliche Erscheinung in der euro¬
päischen Presse öfter porträtirt worden, fängt an, die Rolle, welche ihm dnrch
seine merkwürdige Lage und dnrch Rußlands Einfluß zugetheilt worden ist, auch
in der Lösung der orientalischen Frage zu spielen. Während man dnrch Jahr-
hunderte die Montenegriner ungefähr so betrachtete, wie die Türken selbst noch
hente thun, als eilten Stamm von Heiducken, von Nindviehdiebcn und Kopfab¬
schneidern, hat mau in neuester Zeit angefangen, ihnen sogar eine größere politische
Bedeutung und eine kräftigere Volkspersönlichkeit beizumessen, als sie beauspruchen
können. —Sie selbst haben sich in ihrer Weise tüchtig gerührt, um sich alö Vvlknud jun¬
ger Staat zu legitimiren. Bereits seit dem Jahre 1711 wurden ihre Raubzüge und
Kämpfe gegen die Türken von Nußland offen oder heimlich unterstützt, diese Unter¬
stützungen verwandelten sich allmälig in ein festes Schntzverhältniß, welches den russi¬
schen Einfluß auf sichere Grundlage, eine jährliche Subvention, brachte. Aus
Petersburg erhielt der Vladika den größten Theil seiner Einnahme, dort wurde
er zu seiner geistlichen Würde geweiht. In der neuesten Zeit hat Rußland
Montenegro als unabhängiges Fürstenthum anerkannt und sich ein ergebenes
Fürstengeschlecht dadurch begründet, daß eS die wirkliche Herrschaft von der ober¬
sten geistlichen Würde trennte, und dadurch eine Succession in gerader Linie
möglich machte.

Gegenüber diesen schlauen Maßregeln Rußlands hatte Oestreich bis auf die
neue Zeit mit den türkischen Slaven nichts zu machen gewußt, seine Politik war,
deu Sltttvs quo in der Türkei zu erhallen, und die östreichischen Autoritäten in
Cattarv sehen mit nichts weniger als mit freundlichem Blick ans die unzuverlässigen
Nachbarn. Jetzt aber ist ein Plan in Oestreichs Verfahren sichtbar. Zunächst,hat es
erkannt, daß die schwarzen Berge aus dreifachem Grunde auch für seine Politik von
Bedeutung sind; erstens deshalb, weil sie bei jeder Operation gegen die Türken
unentbehrliche Verbündete werden müssen, dann, weil sie ein Mittelpunkt sind für


Grenzboten. IV. ->8ö3. 38
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[0305] Oestreich med die türkische» Slaven. Geschichte des Fürstenthums Montenegro Von der ältesten Zeit bis zum Jcihre 1832. Von Alexander Andre, Wien, I. V. Wallishanser. 1833. Das angezeigte Werk enthält in chronologischer Reihenfolge eine trockene Aufzählung der Erinnerungen ans der Geschichte Montenegros, zusammengetra- gen aus slawischen und italienischen Geschichtschreibern, ohne wissenschaftliche Kri¬ tik, aber mit viel Patriotismus, Das Jnteressanteste darin sind die Berichte über das Verhältniß Montenegros zu Rußland, welche auch einige neue Notizen enthalten. Das kleine Bergland Montenegro, dessen serbische Bevölkerung als eine Völkercnriosität in den letzten 20 Jahren oft von Touristen geschildert, dessen letz¬ ter Vladika als eine merkwürdige, ziemlich abenteuerliche Erscheinung in der euro¬ päischen Presse öfter porträtirt worden, fängt an, die Rolle, welche ihm dnrch seine merkwürdige Lage und dnrch Rußlands Einfluß zugetheilt worden ist, auch in der Lösung der orientalischen Frage zu spielen. Während man dnrch Jahr- hunderte die Montenegriner ungefähr so betrachtete, wie die Türken selbst noch hente thun, als eilten Stamm von Heiducken, von Nindviehdiebcn und Kopfab¬ schneidern, hat mau in neuester Zeit angefangen, ihnen sogar eine größere politische Bedeutung und eine kräftigere Volkspersönlichkeit beizumessen, als sie beauspruchen können. —Sie selbst haben sich in ihrer Weise tüchtig gerührt, um sich alö Vvlknud jun¬ ger Staat zu legitimiren. Bereits seit dem Jahre 1711 wurden ihre Raubzüge und Kämpfe gegen die Türken von Nußland offen oder heimlich unterstützt, diese Unter¬ stützungen verwandelten sich allmälig in ein festes Schntzverhältniß, welches den russi¬ schen Einfluß auf sichere Grundlage, eine jährliche Subvention, brachte. Aus Petersburg erhielt der Vladika den größten Theil seiner Einnahme, dort wurde er zu seiner geistlichen Würde geweiht. In der neuesten Zeit hat Rußland Montenegro als unabhängiges Fürstenthum anerkannt und sich ein ergebenes Fürstengeschlecht dadurch begründet, daß eS die wirkliche Herrschaft von der ober¬ sten geistlichen Würde trennte, und dadurch eine Succession in gerader Linie möglich machte. Gegenüber diesen schlauen Maßregeln Rußlands hatte Oestreich bis auf die neue Zeit mit den türkischen Slaven nichts zu machen gewußt, seine Politik war, deu Sltttvs quo in der Türkei zu erhallen, und die östreichischen Autoritäten in Cattarv sehen mit nichts weniger als mit freundlichem Blick ans die unzuverlässigen Nachbarn. Jetzt aber ist ein Plan in Oestreichs Verfahren sichtbar. Zunächst,hat es erkannt, daß die schwarzen Berge aus dreifachem Grunde auch für seine Politik von Bedeutung sind; erstens deshalb, weil sie bei jeder Operation gegen die Türken unentbehrliche Verbündete werden müssen, dann, weil sie ein Mittelpunkt sind für Grenzboten. IV. ->8ö3. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/305>, abgerufen am 05.02.2025.