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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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am Ende nützlicher sein wird, als ein unsicherer Kampf gegen die Bürgerschaft
mit den Radicalen als Bundesgenossen.

Der moderne Geist allein kann Schweden, wie den übrigen skandinavischen
Staaten, die innere Kraft verleihen, welche diese Länder angesichts der Aufgabe
und der Gefahren nöthig haben, welche ihre geographische Lage vielleicht ihnen
darbieten wird. Bereits hat im Juni 18i9 Dänemark von seinem König eine
constitutionelle Verfassung erhalten und in dieser friedlichen Revolution den Muth
und die Energie gewonnen, welche ihm den Sieg in dem Kriege mit den Herzog-
thümern verschafft haben. Auch für Schweden würde eine weise und gemäßigte
Reform, welche die socialen Rechte anerkennt, die die menschliche Würde bei jeder
Nation fordert, eine treffliche Garantie für die Zukunft sein. Es wird dies we¬
nigstens ein ernsthaftes Resultat der geistigen Bewegung sein, welche seit fünfzig
Jahren in diesem Lande herrscht, ein Resultat, das leichter zu erreichen und gewiß
fruchtbarer ist als die angestrebte Union der drei skandinavischen Reiche. Welchen
Aufschwung anch wird der öffentliche Geist, werden die Schriftsteller und Dichter
Schwedens nehmen, wenn sie in unbestrittenen und friedlichem Genuß von In¬
stitutionen sind, die alle socialen Rechte anerkennen und in weiser Toleranz die
sicherste Grundlage ihrer Autorität erstreben?




Das Dämonische in der Tragödie.

Lange Zeit hat auf unserm Theater die sogenannte Schicksalstragödie ge¬
herrscht, und wenn man auch jetzt im allgemeinen davon zurückgekommen, so tritt
sie doch immer noch in einzelnen Spuren, zuweilen in den sonderbarsten Ver¬
kleidungen hervor. Die Lächerlichkeiten Werners und seiner Nachfolger, an irgend
einen äußerlichen Gegenstand oder an ein Datum die dämonische Macht des
Schicksals anzuknüpfen, kommt wol nicht leicht wieder vor, obgleich noch Gichkow
in einem seiner Stücke diesen Einfall wieder aufgefrischt hat. Dagegen hat man,
soviel wir wissen, noch nicht gehörig die Seite hervorgehoben, die der Idee des
Schicksals auf dem Theater eine relative Berechtigung gibt.

Das Streben der neuern Zeit geht nach allen Richtungen darauf aus, die
innere und die äußere Welt i>i einen innern nothwendigen Zusammenhang zu
bringen. In der Kunst bemüht man sich also, die Thaten als die nothwendige
Folge der Charaktere in ihrer Verwickelung mit einer bestimmten Situation dar¬
zustellen, und in der That, oder wenn wir den bestimmtem Ausdruck wählen,
in der Schuld des Einzelnen den nothwendigen Grund des Schicksals zu finden.
Es ist namentlich die Hegelsche Philosophie, der das Verdienst zukommt, diesen
wesentlichen Zusammenhang nach allen seinen Konsequenzen hin ans das schärfste
verfolgt zu haben.


am Ende nützlicher sein wird, als ein unsicherer Kampf gegen die Bürgerschaft
mit den Radicalen als Bundesgenossen.

Der moderne Geist allein kann Schweden, wie den übrigen skandinavischen
Staaten, die innere Kraft verleihen, welche diese Länder angesichts der Aufgabe
und der Gefahren nöthig haben, welche ihre geographische Lage vielleicht ihnen
darbieten wird. Bereits hat im Juni 18i9 Dänemark von seinem König eine
constitutionelle Verfassung erhalten und in dieser friedlichen Revolution den Muth
und die Energie gewonnen, welche ihm den Sieg in dem Kriege mit den Herzog-
thümern verschafft haben. Auch für Schweden würde eine weise und gemäßigte
Reform, welche die socialen Rechte anerkennt, die die menschliche Würde bei jeder
Nation fordert, eine treffliche Garantie für die Zukunft sein. Es wird dies we¬
nigstens ein ernsthaftes Resultat der geistigen Bewegung sein, welche seit fünfzig
Jahren in diesem Lande herrscht, ein Resultat, das leichter zu erreichen und gewiß
fruchtbarer ist als die angestrebte Union der drei skandinavischen Reiche. Welchen
Aufschwung anch wird der öffentliche Geist, werden die Schriftsteller und Dichter
Schwedens nehmen, wenn sie in unbestrittenen und friedlichem Genuß von In¬
stitutionen sind, die alle socialen Rechte anerkennen und in weiser Toleranz die
sicherste Grundlage ihrer Autorität erstreben?




Das Dämonische in der Tragödie.

Lange Zeit hat auf unserm Theater die sogenannte Schicksalstragödie ge¬
herrscht, und wenn man auch jetzt im allgemeinen davon zurückgekommen, so tritt
sie doch immer noch in einzelnen Spuren, zuweilen in den sonderbarsten Ver¬
kleidungen hervor. Die Lächerlichkeiten Werners und seiner Nachfolger, an irgend
einen äußerlichen Gegenstand oder an ein Datum die dämonische Macht des
Schicksals anzuknüpfen, kommt wol nicht leicht wieder vor, obgleich noch Gichkow
in einem seiner Stücke diesen Einfall wieder aufgefrischt hat. Dagegen hat man,
soviel wir wissen, noch nicht gehörig die Seite hervorgehoben, die der Idee des
Schicksals auf dem Theater eine relative Berechtigung gibt.

Das Streben der neuern Zeit geht nach allen Richtungen darauf aus, die
innere und die äußere Welt i>i einen innern nothwendigen Zusammenhang zu
bringen. In der Kunst bemüht man sich also, die Thaten als die nothwendige
Folge der Charaktere in ihrer Verwickelung mit einer bestimmten Situation dar¬
zustellen, und in der That, oder wenn wir den bestimmtem Ausdruck wählen,
in der Schuld des Einzelnen den nothwendigen Grund des Schicksals zu finden.
Es ist namentlich die Hegelsche Philosophie, der das Verdienst zukommt, diesen
wesentlichen Zusammenhang nach allen seinen Konsequenzen hin ans das schärfste
verfolgt zu haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/20>, abgerufen am 05.02.2025.