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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Der Himmel ist sonnig und wolkenfrei bei einem sehr heftigen Nordwinde,
der das Brausen der Brandung des Marmorameeres bis zu meinem Zimmer hin¬
auf ertönen macht. Der Bosporus geht daher mit schäumgekrönten Wellen.




Wochenbericht.
Die Wiener Note und die Modifikationen der Pforte.

Der
authentische Text der von den Gesandten der vier Mächte in Wien festgestellten Note
liegt endlich vor; ein sicheres Urtheil kann jetzt über den Werth und die Bedeutung
der zwischen Rußland und der Pforte vorgeschlagenen Vermittelung gefällt werden. Dies
Urtheil muß unbedingt ungünstig für die Politik der beiden westlichen Cabincte lauten.
Die Befürchtungen, welche die letzten Nachrichte" und die Haltung des englischen
Ministeriums beinahe zur Gewißheit werden ließen, haben sich erfüllt. Die Pforte ist
von ihren beiden Alliirten getäuscht, die herrischen Forderungen Rußlands sind zugestan¬
den worden.

Was war der Kernpunkt der Forderungen Menschikvffs, die Ursache ihrer Zurück¬
weisung durch den Divan, die von England und Frankreich unterstützt wurde? Daß
der rassische Kaiser die Frage des heiligen Grabes benutzen wollte, um sich durch eine
neue Auslegung der Verträge von Kainardji und Adrianopel die Anerkennung seines
Protectorats über die griechischen Christen in der Türkei durch den Sultan zu ver¬
schaffen und denselben zu einer Garantie der Rechte dieser Christen gegenüber Nußland
zu nöthigen. Dies wies der Sultan als einen Eingriff in seine Souveränetät zurück,
dies betrachteten England und Frankreich als einen Anspruch, dessen Erfüllung den Ein¬
fluß Rußlands über die sich zur griechischen Kirche bekennenden Unterthanen des Sul¬
tans, d. h. über 10 -- 12 Millionen, in einer Weise ausdehnen müsse, die ihm die
Erbschaft des türkischen Reiches sichere und seiner Diplomatie die Mittel in die Hand
gäbe, in den innern Angelegenheiten der Türkei fortan nach Belieben mitzuschaltcn.
Die Rechte seiner griechisch-christlichen Unterthanen wollte der Sultan erhalten, selbst er¬
weitern; nur wollte er keine Garantie an den russischen Kaiser in einem diplomatischen
Actenstücke darüber geben, noch weniger das von diesem beanspruchte Protectorat an¬
erkennen. Deshalb erbot sich die Pforte nur, die Fermcme und Hattischeriffs, die der
Sultan erlassen, zu des Kaisers Kenntniß zu bringen und weigerte sich, die von Men-
schikoff ihr unterbreitete Note zu unterzeichnen, welche ein für allemal dem Kaiser von
Rußland gegenüber die Rechte der griechischen Christen garantirte.

Die Wiener Note unterscheidet sich von der Mcnschikoffschen nur durch die Fassung,
nicht durch den Inhalt und die Tendenz. Der Sultan verpflichtet sich darin dem Kaiser
zur Aufrechterhaltung der Rechte der griechischen Christen und erkennt ihm das Pro¬
tectorat über dieselben zu. Wenn die Menschikoffsche Note die Verpflichtung des
Sultaus bestimmter aussprach, so ist in Betreff des Protectorats die Wiener Note so¬
gar noch verfänglicher.


Der Himmel ist sonnig und wolkenfrei bei einem sehr heftigen Nordwinde,
der das Brausen der Brandung des Marmorameeres bis zu meinem Zimmer hin¬
auf ertönen macht. Der Bosporus geht daher mit schäumgekrönten Wellen.




Wochenbericht.
Die Wiener Note und die Modifikationen der Pforte.

Der
authentische Text der von den Gesandten der vier Mächte in Wien festgestellten Note
liegt endlich vor; ein sicheres Urtheil kann jetzt über den Werth und die Bedeutung
der zwischen Rußland und der Pforte vorgeschlagenen Vermittelung gefällt werden. Dies
Urtheil muß unbedingt ungünstig für die Politik der beiden westlichen Cabincte lauten.
Die Befürchtungen, welche die letzten Nachrichte» und die Haltung des englischen
Ministeriums beinahe zur Gewißheit werden ließen, haben sich erfüllt. Die Pforte ist
von ihren beiden Alliirten getäuscht, die herrischen Forderungen Rußlands sind zugestan¬
den worden.

Was war der Kernpunkt der Forderungen Menschikvffs, die Ursache ihrer Zurück¬
weisung durch den Divan, die von England und Frankreich unterstützt wurde? Daß
der rassische Kaiser die Frage des heiligen Grabes benutzen wollte, um sich durch eine
neue Auslegung der Verträge von Kainardji und Adrianopel die Anerkennung seines
Protectorats über die griechischen Christen in der Türkei durch den Sultan zu ver¬
schaffen und denselben zu einer Garantie der Rechte dieser Christen gegenüber Nußland
zu nöthigen. Dies wies der Sultan als einen Eingriff in seine Souveränetät zurück,
dies betrachteten England und Frankreich als einen Anspruch, dessen Erfüllung den Ein¬
fluß Rußlands über die sich zur griechischen Kirche bekennenden Unterthanen des Sul¬
tans, d. h. über 10 — 12 Millionen, in einer Weise ausdehnen müsse, die ihm die
Erbschaft des türkischen Reiches sichere und seiner Diplomatie die Mittel in die Hand
gäbe, in den innern Angelegenheiten der Türkei fortan nach Belieben mitzuschaltcn.
Die Rechte seiner griechisch-christlichen Unterthanen wollte der Sultan erhalten, selbst er¬
weitern; nur wollte er keine Garantie an den russischen Kaiser in einem diplomatischen
Actenstücke darüber geben, noch weniger das von diesem beanspruchte Protectorat an¬
erkennen. Deshalb erbot sich die Pforte nur, die Fermcme und Hattischeriffs, die der
Sultan erlassen, zu des Kaisers Kenntniß zu bringen und weigerte sich, die von Men-
schikoff ihr unterbreitete Note zu unterzeichnen, welche ein für allemal dem Kaiser von
Rußland gegenüber die Rechte der griechischen Christen garantirte.

Die Wiener Note unterscheidet sich von der Mcnschikoffschen nur durch die Fassung,
nicht durch den Inhalt und die Tendenz. Der Sultan verpflichtet sich darin dem Kaiser
zur Aufrechterhaltung der Rechte der griechischen Christen und erkennt ihm das Pro¬
tectorat über dieselben zu. Wenn die Menschikoffsche Note die Verpflichtung des
Sultaus bestimmter aussprach, so ist in Betreff des Protectorats die Wiener Note so¬
gar noch verfänglicher.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/482>, abgerufen am 03.07.2024.