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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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kühlen hervorgetreten sind. Und wahrlich, diese wiegen doch nicht geringer.
Wären solche Befestigungen vorhanden, so hätte schwerlich der dänische Protest
gegen die östreichische Liquidation von 7,300,000 si. für die Expedition nach den
Nordseeküsten (man begreift hier die Grunde kaum, warum diese Forderung beim
Bunde angemeldet und nicht als rein östreichisch-dänische Angelegenheit zwischen
den betreffenden Staaten direct verhandelt wurde) sich fast höhnisch darauf zu
berufen gewagt, daß jener Zug ein Heerzug des Kaisers gegen Preußen gewe¬
sen sei! Schweigt auch, solchen Aeußerungen gegenüber, jener "nationale" Pa¬
triotismus, welcher Norddeutschlands Vaterlaudsgesühl verdächtigte, weil die nörd¬
lichen Staaten nicht gewillt waren, doppelt sür Ulm und Rastatt zu zahle",
während die Nichterfüllung der pecuniären BundeSverpflichtnugen einzelner Bun-
desglieder die Fcstungskassc" erschöpft hatte? -- Die von Oestreich, Baiern ?c.
so lebhaft befürwortete technische Commission neben der Bundesmilitärcommission
scheint wenig Chancen für sich zu haben. Dies einestheils ihrer unklaren Stellung
halber, da man nicht ersehen kann, ob sie blos bcirathcnd oder selbstständig (also
unabhängig von der Militärcommisston und dem Bundestag) eintreten und wir¬
ken soll; anderntheils deshalb, weil sie unnöthig erscheint und in ihrer Zusam-
mensetzung eine Gleichvertretung nördlicher Interessen mit den südlichen kaum
durchführbar macht.




Mau möge die Lage Europas auffassen, wie man wolle, nicht zu leugne"
ist, daß stnrmersüllte Wolken mehr und mehr am Horizonte aufsteigen und ein
großes, politisches Gewitter, dessen Vorschwüle wir seit Jahren empfunden, end¬
lich zur Entladung kommen kaun. Buche indeß auch der Frieden erhalten, so
würde das Jahr 18S3 nichts destoweniger seinen bedeutenden Platz in der Ge¬
schichte unserer europäischen Welt einnehmen, weil el" großer Gegensatz, der im
Volksleben des Welttheils früh empfunden worden ist, aber fast unbegreiflicher
Weise in deu höhere" Sphäre" nie zuvor Geltung gewann, heute zum ersten
Male eine" politische" Ausdruck gefunden hat; ich meine den Gegensatz zwischen
Westen und Osten, zwische" dem civilisirte" Europa auf der eiuen Seite und
Rußland, dem ""civilisirte", a"f der audere".

Die orientalische Frage mußte sofort el"e andere Gestalt gewinnen, nachdem
dieser Gegensatz proclamirt war; und alles spricht dafür, daß Nußland am
mindesten auf eine derartige Wendung gesaßt war. Es hielt dieselbe, nämlich die
Auslösung der nordische" Triple-Allianz mit Oestreich und Preuße" sür so un-


kühlen hervorgetreten sind. Und wahrlich, diese wiegen doch nicht geringer.
Wären solche Befestigungen vorhanden, so hätte schwerlich der dänische Protest
gegen die östreichische Liquidation von 7,300,000 si. für die Expedition nach den
Nordseeküsten (man begreift hier die Grunde kaum, warum diese Forderung beim
Bunde angemeldet und nicht als rein östreichisch-dänische Angelegenheit zwischen
den betreffenden Staaten direct verhandelt wurde) sich fast höhnisch darauf zu
berufen gewagt, daß jener Zug ein Heerzug des Kaisers gegen Preußen gewe¬
sen sei! Schweigt auch, solchen Aeußerungen gegenüber, jener „nationale" Pa¬
triotismus, welcher Norddeutschlands Vaterlaudsgesühl verdächtigte, weil die nörd¬
lichen Staaten nicht gewillt waren, doppelt sür Ulm und Rastatt zu zahle»,
während die Nichterfüllung der pecuniären BundeSverpflichtnugen einzelner Bun-
desglieder die Fcstungskassc» erschöpft hatte? — Die von Oestreich, Baiern ?c.
so lebhaft befürwortete technische Commission neben der Bundesmilitärcommission
scheint wenig Chancen für sich zu haben. Dies einestheils ihrer unklaren Stellung
halber, da man nicht ersehen kann, ob sie blos bcirathcnd oder selbstständig (also
unabhängig von der Militärcommisston und dem Bundestag) eintreten und wir¬
ken soll; anderntheils deshalb, weil sie unnöthig erscheint und in ihrer Zusam-
mensetzung eine Gleichvertretung nördlicher Interessen mit den südlichen kaum
durchführbar macht.




Mau möge die Lage Europas auffassen, wie man wolle, nicht zu leugne»
ist, daß stnrmersüllte Wolken mehr und mehr am Horizonte aufsteigen und ein
großes, politisches Gewitter, dessen Vorschwüle wir seit Jahren empfunden, end¬
lich zur Entladung kommen kaun. Buche indeß auch der Frieden erhalten, so
würde das Jahr 18S3 nichts destoweniger seinen bedeutenden Platz in der Ge¬
schichte unserer europäischen Welt einnehmen, weil el» großer Gegensatz, der im
Volksleben des Welttheils früh empfunden worden ist, aber fast unbegreiflicher
Weise in deu höhere» Sphäre» nie zuvor Geltung gewann, heute zum ersten
Male eine» politische» Ausdruck gefunden hat; ich meine den Gegensatz zwischen
Westen und Osten, zwische» dem civilisirte» Europa auf der eiuen Seite und
Rußland, dem »»civilisirte», a»f der audere».

Die orientalische Frage mußte sofort el»e andere Gestalt gewinnen, nachdem
dieser Gegensatz proclamirt war; und alles spricht dafür, daß Nußland am
mindesten auf eine derartige Wendung gesaßt war. Es hielt dieselbe, nämlich die
Auslösung der nordische» Triple-Allianz mit Oestreich und Preuße» sür so un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/477>, abgerufen am 29.06.2024.