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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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möglich, daß es, eben hierauf bauend, eine Politik einschlug, welche den Bruch
herbeiführte.

Von diesem Standpunkte aus will, wenn ich nicht irre, das aufgefaßt werde",
was augenblicklich von den Mündungen des Tvrneadflnsses bis zum Kaukasus die
Aufmerksamkeit in Spannung erhält. Es sind das fortan die Endpunkte einer
Linie, welche verschiedene Systeme voneinander scheiden und über die hinaus es
keine politische Gemeinschaft mehr geben wird; nämlich unter einer Voraussetzung:
daß die Verjüngung, die Neconstrnction Oestreichs, gelingt.

Die hiesigen Dinge nehmen sich ganz so aus, als ob man Rußland von nun
an keinen Schritt weiter gönne" und endlich sich seiner ehrgeizigen und letztlich
verhängnißvollen Ausbreitnngslust mit aller Macht widersetzen wollte. Die
Ueberzeugung hiervon hat den Divan mächtig gestärkt und ihm
den Muth gegeben, in Berufung auf den Ausspruch eines großen
Medschliß, welches am Sonnabend zusammentrat und gegen neun
Stunden lang beisammen saß, die Proposition der vier Großmächte
als vor der Hand unzureichend, zu verwerfen.

Dieser Beschluß muß uuter allen Umständen gerechtfertigt erscheinen. Will
Rußland den Frieden, so wird man denselben in ehrenvollerer Form gesichert
erhalten, wenn man hier bis zur letzten Grenze dessen, was der Zar gewähren
kann, vorgeht; will dagegen die nordische Macht zum Schwerte greifen und ist
der Ausbruch eines Kampfes letzlich unvermeidlich, so will es besser erscheinen,
wenn derselbe noch um einige Wochen verschoben wird, als wenn er jetzt aus¬
bricht. Während dieses Zeitraumes werden die Rüstungen vollendet, nämlich drei
Armeecorps an der Donau und eins am Kaukasus versammelt und die großen
Festungen an dem ersteren Strom und vor dem Balkan vollkommen armirt sein.

Die augenblickliche Kampfbereitschaft der Pforte ist übrigens eine unver¬
gleichlich größere, wie irgend in einem Momente zuvor. Eine derartige Armee
wurde von hier aus ehedem noch nie ins Feld gestellt. Es wird für Ihre Leser
von Interesse sein, einige Details darüber zu erfahren.

Wie Sie aus meinen frühern Mittheilungen sich erinnern werden, besteht die
türkische Armee ans 6 OrdnS odeo Armeecorps, von denen zwei (Gardecorps
und Armee von Stambul) ihr Standquartier in Konstantinopel selber, eins das
seinige in der europäischen Türkei, und die drei anderen in der asiatischen haben.
Ans die drei erstgenannten ist allein für einen Kampf ans dem europäischen Kriegs-
theater zu rechnen. Da jedes Armeecorps 6 Infanterie-, -i Cavaleriercgimenter
und -I Regiment Artillerie umfaßt, das Regiment Infanterie aber i Bataillone
zählt, so wäre dies eine Streitmacht von 72 (nämlich dreimal 24) Bataillonen
Infanterie, -12 Cavalcrie-Regimentern und 3 Regimentern Artillerie. Allein durch
Einziehung des Nedifs hat man die Zahl der Bataillone verdoppelt und verfügt
demnach auf der europäischen Seite über 144. Von diese", befinden sich -Il)0 auf


möglich, daß es, eben hierauf bauend, eine Politik einschlug, welche den Bruch
herbeiführte.

Von diesem Standpunkte aus will, wenn ich nicht irre, das aufgefaßt werde»,
was augenblicklich von den Mündungen des Tvrneadflnsses bis zum Kaukasus die
Aufmerksamkeit in Spannung erhält. Es sind das fortan die Endpunkte einer
Linie, welche verschiedene Systeme voneinander scheiden und über die hinaus es
keine politische Gemeinschaft mehr geben wird; nämlich unter einer Voraussetzung:
daß die Verjüngung, die Neconstrnction Oestreichs, gelingt.

Die hiesigen Dinge nehmen sich ganz so aus, als ob man Rußland von nun
an keinen Schritt weiter gönne» und endlich sich seiner ehrgeizigen und letztlich
verhängnißvollen Ausbreitnngslust mit aller Macht widersetzen wollte. Die
Ueberzeugung hiervon hat den Divan mächtig gestärkt und ihm
den Muth gegeben, in Berufung auf den Ausspruch eines großen
Medschliß, welches am Sonnabend zusammentrat und gegen neun
Stunden lang beisammen saß, die Proposition der vier Großmächte
als vor der Hand unzureichend, zu verwerfen.

Dieser Beschluß muß uuter allen Umständen gerechtfertigt erscheinen. Will
Rußland den Frieden, so wird man denselben in ehrenvollerer Form gesichert
erhalten, wenn man hier bis zur letzten Grenze dessen, was der Zar gewähren
kann, vorgeht; will dagegen die nordische Macht zum Schwerte greifen und ist
der Ausbruch eines Kampfes letzlich unvermeidlich, so will es besser erscheinen,
wenn derselbe noch um einige Wochen verschoben wird, als wenn er jetzt aus¬
bricht. Während dieses Zeitraumes werden die Rüstungen vollendet, nämlich drei
Armeecorps an der Donau und eins am Kaukasus versammelt und die großen
Festungen an dem ersteren Strom und vor dem Balkan vollkommen armirt sein.

Die augenblickliche Kampfbereitschaft der Pforte ist übrigens eine unver¬
gleichlich größere, wie irgend in einem Momente zuvor. Eine derartige Armee
wurde von hier aus ehedem noch nie ins Feld gestellt. Es wird für Ihre Leser
von Interesse sein, einige Details darüber zu erfahren.

Wie Sie aus meinen frühern Mittheilungen sich erinnern werden, besteht die
türkische Armee ans 6 OrdnS odeo Armeecorps, von denen zwei (Gardecorps
und Armee von Stambul) ihr Standquartier in Konstantinopel selber, eins das
seinige in der europäischen Türkei, und die drei anderen in der asiatischen haben.
Ans die drei erstgenannten ist allein für einen Kampf ans dem europäischen Kriegs-
theater zu rechnen. Da jedes Armeecorps 6 Infanterie-, -i Cavaleriercgimenter
und -I Regiment Artillerie umfaßt, das Regiment Infanterie aber i Bataillone
zählt, so wäre dies eine Streitmacht von 72 (nämlich dreimal 24) Bataillonen
Infanterie, -12 Cavalcrie-Regimentern und 3 Regimentern Artillerie. Allein durch
Einziehung des Nedifs hat man die Zahl der Bataillone verdoppelt und verfügt
demnach auf der europäischen Seite über 144. Von diese», befinden sich -Il)0 auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/478>, abgerufen am 01.07.2024.