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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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thümer und Vorurtheile bekämpfen kann, ohne dabei die Einbildungskraft oder
das Gefühl zu Hilfe zu rufen. Dagegen schulden wir der Kirche, und namentlich
der protestantischen Kirche, eine große Rücksicht. Sie ist in der That in der
Masse des Volks noch immer die Grundveste der Sittlichkeit, und sie ist'aus der
andern Seite auch ein Hebel für die Freiheit. Die Symbole des Protestantis¬
mus sind die unsrigen; er hat seine Rolle in der Weltgeschichte noch nicht aus¬
gespielt, er hat noch immer eine höchst bedeutende Misston zu erfülle", und wenn
wir auch unsere geistige Freiheit durch keinerlei Rücksichten zurückhalten lassen,
und wenn wir uus auch bescheiden müssen, in dem Kampf für die menschliche
Entwickelung nicht innerhalb der Kirche zu wirken, -- denu hier spricht der ka¬
tegorische Imperativ ebenso bestimmt, wie bei der wissenschaftlichen Forschung --
so werden wir doch in den ernsteste" Fragen des Lebens mit ihr Hand in Hand
gehen und werden unsererseits alles vermeide" müsse", was ihre Integrität und
Festigkeit irgendwie untergraben konnte.




Demokratische Bewegungen.
Nußland, Deutschland und die östliche Frage. Von Gustav Diezel. --
Stuttgart, K. Göpel. --
Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutsch¬
lands.-- Stuttgart, K, Göpel.--

Es gibt für den Augenblick keine unerfreulichere und langweiligere Beschäf¬
tigung als die sogenannte Tagespolitik. So fest wir davon überzeugt sind, daß
die orientalische Frage den Knotenpunkt der allgemeine" europäischen Verwickelunge"
bildet, "ut daß also an sie anch Deutschlands Verhängniß mit tausend unzerrei߬
baren Fäden sich knüpft, so finden wir uns doch in der unangenehmen Lage,
uns dieses Verhängnisses bewußt zu sein, und dabei kein Mittel zu kennen, wie
wir ihm entgehen, wie wir ihm eine andere Wendung geben konnten. Der Nation
ist eine unmittelbare Betheiligung versagt, und wenn wir auch die Handlungs-
weise der Großniächle mit derselben Aufmerksamkeit wie ein Schachspiel verfolge",
so bleiben uns doch die Züge unverständlich, denn sie setze" bei dem einen Spieler
entweder eine absolute Rathlosigkeit voraus, oder eine Weisheit, die über allen
menschlichen Begriff geht. Was zur Kritik der Interessen, die Deutschland an
der orientalischen Frage zu nehmen hat, gesagt werden kann, ist bereits gesagt
worden, und sxeeMs exeipienäis, d. h. mit Ausnahme der Kreuzzeitung, ist
auch alle Welt einer Meinung. Wir wissen alle sehr genau, daß es in" Interesse
Deutschlands und der deutschen Großmächte liegt, mit den beiden westlichen
Mächten gemeinschaftlich gegen Rußland Front zu machen, u"d wir wissen, daß


thümer und Vorurtheile bekämpfen kann, ohne dabei die Einbildungskraft oder
das Gefühl zu Hilfe zu rufen. Dagegen schulden wir der Kirche, und namentlich
der protestantischen Kirche, eine große Rücksicht. Sie ist in der That in der
Masse des Volks noch immer die Grundveste der Sittlichkeit, und sie ist'aus der
andern Seite auch ein Hebel für die Freiheit. Die Symbole des Protestantis¬
mus sind die unsrigen; er hat seine Rolle in der Weltgeschichte noch nicht aus¬
gespielt, er hat noch immer eine höchst bedeutende Misston zu erfülle», und wenn
wir auch unsere geistige Freiheit durch keinerlei Rücksichten zurückhalten lassen,
und wenn wir uus auch bescheiden müssen, in dem Kampf für die menschliche
Entwickelung nicht innerhalb der Kirche zu wirken, — denu hier spricht der ka¬
tegorische Imperativ ebenso bestimmt, wie bei der wissenschaftlichen Forschung —
so werden wir doch in den ernsteste» Fragen des Lebens mit ihr Hand in Hand
gehen und werden unsererseits alles vermeide» müsse», was ihre Integrität und
Festigkeit irgendwie untergraben konnte.




Demokratische Bewegungen.
Nußland, Deutschland und die östliche Frage. Von Gustav Diezel. —
Stuttgart, K. Göpel. —
Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutsch¬
lands.— Stuttgart, K, Göpel.—

Es gibt für den Augenblick keine unerfreulichere und langweiligere Beschäf¬
tigung als die sogenannte Tagespolitik. So fest wir davon überzeugt sind, daß
die orientalische Frage den Knotenpunkt der allgemeine» europäischen Verwickelunge»
bildet, »ut daß also an sie anch Deutschlands Verhängniß mit tausend unzerrei߬
baren Fäden sich knüpft, so finden wir uns doch in der unangenehmen Lage,
uns dieses Verhängnisses bewußt zu sein, und dabei kein Mittel zu kennen, wie
wir ihm entgehen, wie wir ihm eine andere Wendung geben konnten. Der Nation
ist eine unmittelbare Betheiligung versagt, und wenn wir auch die Handlungs-
weise der Großniächle mit derselben Aufmerksamkeit wie ein Schachspiel verfolge»,
so bleiben uns doch die Züge unverständlich, denn sie setze» bei dem einen Spieler
entweder eine absolute Rathlosigkeit voraus, oder eine Weisheit, die über allen
menschlichen Begriff geht. Was zur Kritik der Interessen, die Deutschland an
der orientalischen Frage zu nehmen hat, gesagt werden kann, ist bereits gesagt
worden, und sxeeMs exeipienäis, d. h. mit Ausnahme der Kreuzzeitung, ist
auch alle Welt einer Meinung. Wir wissen alle sehr genau, daß es in» Interesse
Deutschlands und der deutschen Großmächte liegt, mit den beiden westlichen
Mächten gemeinschaftlich gegen Rußland Front zu machen, u»d wir wissen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/354>, abgerufen am 29.06.2024.