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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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das wenigstens vorläufig sicher nicht geschehen wird, denn wenn man uns auch
erzählt, daß sich die vier Mächte jetzt in der That verständigt haben, so heißt
das doch nicht gemeinschaftlich Front machen, wenn man gemeinschaftlich der dro¬
henden Gefahr den Rücken wendet.

Wenn wir also nicht in der Lage sind, zur Erledigung dieser augenblicklichen
Frage einen irgend nennenswerthen factischen Beitrag zu liefern, so scheint es
nicht unzweckmäßig, jetzt die. Aufmerksamkeit wieder den allgemeinen politischen
Fragen zuzuwenden, die zwar die augenblickliche Wirksamkeit ausschließen, die
aber doch besprochen sein wollen, da nnr durch ihre Erledigung eine öffentliche
Meinung in der Nation, also eine factische Macht, gebildet werden kann. Daher
halten wir es für unsere Pflicht, sehr sorgfältig die theoretischen Bewegungen zu
verfolgen, die in der Demokratie vorgehen, d. h. nicht etwa in der sogenannten
demokratischen Partei, an deren Existenz wir noch immer zweifeln, sondern in
der Masse der Staatsbürger, die sich an dem unmittelbaren politischen Leben
Deutschlands in den letzten Jahren nicht betheiligt haben. Sie sind in Beziehung
auf theoretische Untersuchungen insofern im Vortheil, als sie nicht durch unmittel¬
bare Interessen und Noraussetzungeu gebunden werden. Die beiden Schriften,
die wir oben angezeigt haben, sind in einem Sinn geschrieben, der den Voraus-
setzungen der historischen Demokratie unbedingt widerspricht. Trotzdem nennt sich
der erste einen Demokraten, und der zweite läßt es wenigstens unbestimmt, ob
er nicht gleichfalls dazu gehört; aus keinen Fall gehört er zu irgend einer von
den Parteien, die sich innerhalb des jetzigen Staatslebens bewegen.

Auf Herrn Diezel sind wir schon mehre Male gekommen. Abgesehen von
der herausfordernden Form, die er seinem ersten Werke gegeben hatte, und die
von unserer Seite eine sehr ernste Zurechtweisung nöthig machte, hatten wir
zweierlei an ihm zu tadeln, einmal die Neigung zu künstlicher Construction der
Geschichte, die von einer vorgefaßten Idee, von einer aphoristischen Methode
ausgeht, sodann die Ungeduld des Urtheils, die alle Thatsachen verleugnet, wenn
sie der vorgefaßten Meinung widersprechen. Ans seiner Methode, die Vermischung
der Racen zu eiuer Nation als organische Grundlage ihrer weiteren Entwickelung
zu benutzen und die Racen mit allgemeinen abstracten Principien zu identistciren,
war eine ganz sonderbare Darstellung der französischen Geschichte hervorgegangen,
die sich an einen beständigen und fortdauernden Gegensatz zwischen dem celtoro-
manischen Princip und dem germanischen knüpft, und die mit dem Sieg des er¬
stem und infolge dessen mit der vollständigen Auflösung des französischen Or¬
ganismus schließt. Ein Irrthum, der weniger aus jenen historisch-philosophischen
Conjecturen, als ans der gerechten Mißstimmung über die gegenwärtige Lethargie
der Franzosen dem Bonapartismus' gegenüber zu erklären ist. Aber wenn wir
auch gern zugeben wollen, daß die gegenwärtige innere Politik der Franzosen
einen sehr kläglichen Eindruck macht, wie denn überhaupt in dieser Art Politik


das wenigstens vorläufig sicher nicht geschehen wird, denn wenn man uns auch
erzählt, daß sich die vier Mächte jetzt in der That verständigt haben, so heißt
das doch nicht gemeinschaftlich Front machen, wenn man gemeinschaftlich der dro¬
henden Gefahr den Rücken wendet.

Wenn wir also nicht in der Lage sind, zur Erledigung dieser augenblicklichen
Frage einen irgend nennenswerthen factischen Beitrag zu liefern, so scheint es
nicht unzweckmäßig, jetzt die. Aufmerksamkeit wieder den allgemeinen politischen
Fragen zuzuwenden, die zwar die augenblickliche Wirksamkeit ausschließen, die
aber doch besprochen sein wollen, da nnr durch ihre Erledigung eine öffentliche
Meinung in der Nation, also eine factische Macht, gebildet werden kann. Daher
halten wir es für unsere Pflicht, sehr sorgfältig die theoretischen Bewegungen zu
verfolgen, die in der Demokratie vorgehen, d. h. nicht etwa in der sogenannten
demokratischen Partei, an deren Existenz wir noch immer zweifeln, sondern in
der Masse der Staatsbürger, die sich an dem unmittelbaren politischen Leben
Deutschlands in den letzten Jahren nicht betheiligt haben. Sie sind in Beziehung
auf theoretische Untersuchungen insofern im Vortheil, als sie nicht durch unmittel¬
bare Interessen und Noraussetzungeu gebunden werden. Die beiden Schriften,
die wir oben angezeigt haben, sind in einem Sinn geschrieben, der den Voraus-
setzungen der historischen Demokratie unbedingt widerspricht. Trotzdem nennt sich
der erste einen Demokraten, und der zweite läßt es wenigstens unbestimmt, ob
er nicht gleichfalls dazu gehört; aus keinen Fall gehört er zu irgend einer von
den Parteien, die sich innerhalb des jetzigen Staatslebens bewegen.

Auf Herrn Diezel sind wir schon mehre Male gekommen. Abgesehen von
der herausfordernden Form, die er seinem ersten Werke gegeben hatte, und die
von unserer Seite eine sehr ernste Zurechtweisung nöthig machte, hatten wir
zweierlei an ihm zu tadeln, einmal die Neigung zu künstlicher Construction der
Geschichte, die von einer vorgefaßten Idee, von einer aphoristischen Methode
ausgeht, sodann die Ungeduld des Urtheils, die alle Thatsachen verleugnet, wenn
sie der vorgefaßten Meinung widersprechen. Ans seiner Methode, die Vermischung
der Racen zu eiuer Nation als organische Grundlage ihrer weiteren Entwickelung
zu benutzen und die Racen mit allgemeinen abstracten Principien zu identistciren,
war eine ganz sonderbare Darstellung der französischen Geschichte hervorgegangen,
die sich an einen beständigen und fortdauernden Gegensatz zwischen dem celtoro-
manischen Princip und dem germanischen knüpft, und die mit dem Sieg des er¬
stem und infolge dessen mit der vollständigen Auflösung des französischen Or¬
ganismus schließt. Ein Irrthum, der weniger aus jenen historisch-philosophischen
Conjecturen, als ans der gerechten Mißstimmung über die gegenwärtige Lethargie
der Franzosen dem Bonapartismus' gegenüber zu erklären ist. Aber wenn wir
auch gern zugeben wollen, daß die gegenwärtige innere Politik der Franzosen
einen sehr kläglichen Eindruck macht, wie denn überhaupt in dieser Art Politik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/355>, abgerufen am 01.07.2024.