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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der Grenze Floridas; aber die Spanier faßten Argwohn gegen die neuen Colo-
nisten, überfielen das Fort, das dieselben erbaut hatten, nahmen seine Verthei¬
diger gefangen, und hingen sie sämmtlich auf. Ueber ihren Köpfen stand aus
einem Zettel: "Gesängen als Ketzer und nicht als Franzosen!" Ein
Edelmann von Mont de Marsan, Dominique de Gonrgues, beschloß Rache für
diese Frevelthat zu nehmen. Er verkaufte sein Erbtheil, warb 200 Frei¬
willige, und ging 1367 von Bordeaux mit drei vollständig ausgerüsteten Fahr¬
zeugen unter Segel. Er überfiel die Spanier, die seine Landsleute so schmach¬
voll ermordet hatten, und ließ sie ebenfalls mit der Aufschrift hängen: "Ge¬
sängen als Räuber und Mörder, und nicht als Spanier!"

Die spätern Refugivs waren glücklicher. Sie ließen sich hauptsächlich in
Newyork, Maryland und Südcarolina nieder, und waren auch hier die eifrigsten
Vertheidiger Englands gegen Frankreich'und Spanien. Als sich später Amerika
für unabhängig erklärte, gehörten von den 7 Präsidenten, welche während des
Unabhängigkeitskriegs dem Kongreß vorstanden, drei, Henri Laurens, I. Jah
und Elias Boudinot, französischen RefugiöSfamilieu an.




W o es e n b e r i es t.
Mllfik.

-- Roger trat das zweite Mal als Prophet auf. Die Darstellung
der Rolle war an vielen Stellen eine hinreißende, so besonders im zweiten Acte bei der
Aufopferung der Geliebten und im vierten Acte bei der Verleugnung der Mutter. Auch
die übrigen Scenen, die keine tragischen Momente bieten, spielte er mit einer Würde,
die nur das Resultat eines tiefen Nachdenkens und tüchtiger künstlerischer Durchbildung
sein können. Für den deutschen Zuschauer, der an eine gewisse Gemessenheit der dra¬
matischen Action gewöhnt ist, wirkte in jenen aufregenden Scenen der Künstler nur
durch eine gewisse Ueberrumpelung der Gefühle, die in ruhigen Augenblicken der Verstand
nicht gern anerkennen mag. Wir würden dem dentschen Künstler kaum solche Extra¬
vaganzen gestatten; sie würden auch, von ihm ausgeführt, gemachter und plumper er¬
scheinen. Die Opernsänger der neuesten Zeit sind dahin gedrängt worden, die Sünden
ihrer Vorgänger, die eben nur Sänger und nichts Weiteres waren, durch angelegent¬
liches Studium der dramatischen Kunst zu sühnen, allein ihr Eifer hat leider mancher¬
lei Uebermaß herbeigeführte und manche Verzerrungen accreditirt. Wir werden bald
kein rechtes Maß mehr dafür haben, wie weit der singende Künstler Sänger oder
Schauspieler sein dürfe. Aas neue musikalische Drama der Zukunft führt allerdings
den Sänger über eine Klippe hinweg: er hat nicht nöthig, besondere Aufmerksamkeit
dem musikalischen Theile seiner Leistung zuzuwenden, es genügt ihm der Besitz einer
starken und ausdauernden Stimme. Hier erscheint die Kunst des Gesanges nur eine
potenzirte Declamation mit längerm Verweilen auf den einzelnen Silben, mit einer be¬
stimmten rythmischen Fügung und einem höhern oder tiefern Tonfalle, den der ge-


der Grenze Floridas; aber die Spanier faßten Argwohn gegen die neuen Colo-
nisten, überfielen das Fort, das dieselben erbaut hatten, nahmen seine Verthei¬
diger gefangen, und hingen sie sämmtlich auf. Ueber ihren Köpfen stand aus
einem Zettel: „Gesängen als Ketzer und nicht als Franzosen!" Ein
Edelmann von Mont de Marsan, Dominique de Gonrgues, beschloß Rache für
diese Frevelthat zu nehmen. Er verkaufte sein Erbtheil, warb 200 Frei¬
willige, und ging 1367 von Bordeaux mit drei vollständig ausgerüsteten Fahr¬
zeugen unter Segel. Er überfiel die Spanier, die seine Landsleute so schmach¬
voll ermordet hatten, und ließ sie ebenfalls mit der Aufschrift hängen: „Ge¬
sängen als Räuber und Mörder, und nicht als Spanier!"

Die spätern Refugivs waren glücklicher. Sie ließen sich hauptsächlich in
Newyork, Maryland und Südcarolina nieder, und waren auch hier die eifrigsten
Vertheidiger Englands gegen Frankreich'und Spanien. Als sich später Amerika
für unabhängig erklärte, gehörten von den 7 Präsidenten, welche während des
Unabhängigkeitskriegs dem Kongreß vorstanden, drei, Henri Laurens, I. Jah
und Elias Boudinot, französischen RefugiöSfamilieu an.




W o es e n b e r i es t.
Mllfik.

— Roger trat das zweite Mal als Prophet auf. Die Darstellung
der Rolle war an vielen Stellen eine hinreißende, so besonders im zweiten Acte bei der
Aufopferung der Geliebten und im vierten Acte bei der Verleugnung der Mutter. Auch
die übrigen Scenen, die keine tragischen Momente bieten, spielte er mit einer Würde,
die nur das Resultat eines tiefen Nachdenkens und tüchtiger künstlerischer Durchbildung
sein können. Für den deutschen Zuschauer, der an eine gewisse Gemessenheit der dra¬
matischen Action gewöhnt ist, wirkte in jenen aufregenden Scenen der Künstler nur
durch eine gewisse Ueberrumpelung der Gefühle, die in ruhigen Augenblicken der Verstand
nicht gern anerkennen mag. Wir würden dem dentschen Künstler kaum solche Extra¬
vaganzen gestatten; sie würden auch, von ihm ausgeführt, gemachter und plumper er¬
scheinen. Die Opernsänger der neuesten Zeit sind dahin gedrängt worden, die Sünden
ihrer Vorgänger, die eben nur Sänger und nichts Weiteres waren, durch angelegent¬
liches Studium der dramatischen Kunst zu sühnen, allein ihr Eifer hat leider mancher¬
lei Uebermaß herbeigeführte und manche Verzerrungen accreditirt. Wir werden bald
kein rechtes Maß mehr dafür haben, wie weit der singende Künstler Sänger oder
Schauspieler sein dürfe. Aas neue musikalische Drama der Zukunft führt allerdings
den Sänger über eine Klippe hinweg: er hat nicht nöthig, besondere Aufmerksamkeit
dem musikalischen Theile seiner Leistung zuzuwenden, es genügt ihm der Besitz einer
starken und ausdauernden Stimme. Hier erscheint die Kunst des Gesanges nur eine
potenzirte Declamation mit längerm Verweilen auf den einzelnen Silben, mit einer be¬
stimmten rythmischen Fügung und einem höhern oder tiefern Tonfalle, den der ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/324>, abgerufen am 29.06.2024.