Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.gefallen jeder Macht, sie trete im Osten oder Westen auf, Platz zu machen beginnt. Die Lethargie der N. Pr. Z. nimmt andrerseits ihren gewöhnlichen Verlauf. Nur noch eins. Am wenigsten hängt die sogenannte Ministcrkrisis mit der ange¬ Die orientalische Angelegenheit beschäftigt uns, gefallen jeder Macht, sie trete im Osten oder Westen auf, Platz zu machen beginnt. Die Lethargie der N. Pr. Z. nimmt andrerseits ihren gewöhnlichen Verlauf. Nur noch eins. Am wenigsten hängt die sogenannte Ministcrkrisis mit der ange¬ Die orientalische Angelegenheit beschäftigt uns, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96415"/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> gefallen jeder Macht, sie trete im Osten oder Westen auf, Platz zu machen beginnt.<lb/> Die Verwarnung der Blätter, etwas säuberlicher mit Rußland umzugehen, die ich erst<lb/> in einigen Wochen erwartete, ist richtig schon jetzt erfolgt. „Rat.-Zeit.", „Volkszeitung"<lb/> und „Voss. Zeit." (Sie lesen richtig, die „Voss. Zeit." hat in dieser Krisis ganz gut<lb/> angefeuert) habe» in diesen Tagen einen höflichen, nachsichtigen, aber doch auch nicht<lb/> mißzuverstehender Fingerzeig über ihre russcnseiudlichcu Artikel und Notizen erhalten. Die<lb/> Wirkung dieses übrigens nicht russischer, sondern Pariser Censur entlehnten Avertisse-<lb/> meuts war schou im Laufe der Woche deutlich zu merken. Man sagte uns doch, die<lb/> Kreuzzeitung wäre infolge ihrer russischen Tendenz verwarnt worden? Die Sache ver¬<lb/> hielt sich anders. Die „kleinen Lombards" konnte man ihr natürlich nicht hingehen<lb/> lassen, aber mit der Verwarnung in Sachen der auswärtigen Politik hatte es, wie wir<lb/> gleich vermuthet, seiue umgekehrte Bewandtniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_766"> Die Lethargie der N. Pr. Z. nimmt andrerseits ihren gewöhnlichen Verlauf.<lb/> Nachdem der Rücktritt der gesammten Redaction feierlich verkündet worden, werden jetzt<lb/> alle diejenigen von ihr verhöhnt, die die Sache für Ernst gehalten haben. Das „Pr.<lb/> Wochenblatt" hat heute einen sehr offenherzigen Artikel über das verunglückte Manöver<lb/> und spricht die Vermuthung aus, das Blatt habe wol nur in dieser Weise dem Desaveu<lb/> der eigenen Partei in der von ihrem Organ während der russischen Krisis eingehaltenen<lb/> Linie aus dem Wege gehen wollen. Wahrscheinlich geschieht aber der Partei mit dieser<lb/> Annahme mehr Ehre als sie verdient und man thut am besten, die ganze Angelegenheit,<lb/> deren persönliche Wendung jedes politische Interesse verloren hat, sich selbst zu über¬<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_767"> Nur noch eins. Am wenigsten hängt die sogenannte Ministcrkrisis mit der ange¬<lb/> drohten Demission der Kreuzzeitung zusammen. Es gehört die ganze stupide Neuigkeits¬<lb/> hungrige Klatschsucht der Korrespondenten, die ganze märchenhafte Leichtgläubigkeit eines ge¬<lb/> wissen Publicums dazu, um das Gegentheil zu behaupte» und als baare Münze hinzunehmen.<lb/> Die Minister sind in den Bädern oder auf Reisen, Herr Quedl studirt in Paris den<lb/> Mechanismus der öffentlichen Preßanstaltcn, die Kreuzzeitung findet es bequemer, eine Zeit¬<lb/> lang keine Leitartikel zu schreiben — woher könnte da wol die Krisis ihren Stoff neh¬<lb/> men ? Es wird damit gewöhnlich einigen Ministern das unnöthige Compliment gemacht,<lb/> daß sich das Land um ihr Portefeuille besorgt zeige und wenn das oben citirte heroisch¬<lb/> komische Gedicht wirklich von einem talentvollen Mitgliede des literarischen Cabinets<lb/> herrührt, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß die Verbreitung der Krisis-Gerüchte<lb/> denjenigen seiner Collegen aufgetragen ward, die poetisch minder begabt scheinen. Je¬<lb/> dem das seiue. Daß hinterdrein auch unabhängige Federn von den Geschichten afficirt<lb/> werde», darf nicht Wunder nehmen. Darauf ward grade von den Erfindern gerechnet.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> </head> <p xml:id="ID_768" next="#ID_769"> Die orientalische Angelegenheit beschäftigt uns,<lb/> weil sie im öffentlichen Interesse noch kein stellvertretendes Aequivalent gefunden. Wir<lb/> erwarten mit Sehnsucht den Messias, der uns aus der russischen Knechtschaft befreit,<lb/> Alles soll uus willkommen fein und wäre es auch nur die Eroberung Pekings durch<lb/> Tim-te's Obergeneral dem Friedensfürsten Tai-ping-wang. Das muß man gestehen,<lb/> dieser Urchinese versteht es besser, im Interesse des Friedens zu wirthschaften, als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
gefallen jeder Macht, sie trete im Osten oder Westen auf, Platz zu machen beginnt.
Die Verwarnung der Blätter, etwas säuberlicher mit Rußland umzugehen, die ich erst
in einigen Wochen erwartete, ist richtig schon jetzt erfolgt. „Rat.-Zeit.", „Volkszeitung"
und „Voss. Zeit." (Sie lesen richtig, die „Voss. Zeit." hat in dieser Krisis ganz gut
angefeuert) habe» in diesen Tagen einen höflichen, nachsichtigen, aber doch auch nicht
mißzuverstehender Fingerzeig über ihre russcnseiudlichcu Artikel und Notizen erhalten. Die
Wirkung dieses übrigens nicht russischer, sondern Pariser Censur entlehnten Avertisse-
meuts war schou im Laufe der Woche deutlich zu merken. Man sagte uns doch, die
Kreuzzeitung wäre infolge ihrer russischen Tendenz verwarnt worden? Die Sache ver¬
hielt sich anders. Die „kleinen Lombards" konnte man ihr natürlich nicht hingehen
lassen, aber mit der Verwarnung in Sachen der auswärtigen Politik hatte es, wie wir
gleich vermuthet, seiue umgekehrte Bewandtniß.
Die Lethargie der N. Pr. Z. nimmt andrerseits ihren gewöhnlichen Verlauf.
Nachdem der Rücktritt der gesammten Redaction feierlich verkündet worden, werden jetzt
alle diejenigen von ihr verhöhnt, die die Sache für Ernst gehalten haben. Das „Pr.
Wochenblatt" hat heute einen sehr offenherzigen Artikel über das verunglückte Manöver
und spricht die Vermuthung aus, das Blatt habe wol nur in dieser Weise dem Desaveu
der eigenen Partei in der von ihrem Organ während der russischen Krisis eingehaltenen
Linie aus dem Wege gehen wollen. Wahrscheinlich geschieht aber der Partei mit dieser
Annahme mehr Ehre als sie verdient und man thut am besten, die ganze Angelegenheit,
deren persönliche Wendung jedes politische Interesse verloren hat, sich selbst zu über¬
lassen.
Nur noch eins. Am wenigsten hängt die sogenannte Ministcrkrisis mit der ange¬
drohten Demission der Kreuzzeitung zusammen. Es gehört die ganze stupide Neuigkeits¬
hungrige Klatschsucht der Korrespondenten, die ganze märchenhafte Leichtgläubigkeit eines ge¬
wissen Publicums dazu, um das Gegentheil zu behaupte» und als baare Münze hinzunehmen.
Die Minister sind in den Bädern oder auf Reisen, Herr Quedl studirt in Paris den
Mechanismus der öffentlichen Preßanstaltcn, die Kreuzzeitung findet es bequemer, eine Zeit¬
lang keine Leitartikel zu schreiben — woher könnte da wol die Krisis ihren Stoff neh¬
men ? Es wird damit gewöhnlich einigen Ministern das unnöthige Compliment gemacht,
daß sich das Land um ihr Portefeuille besorgt zeige und wenn das oben citirte heroisch¬
komische Gedicht wirklich von einem talentvollen Mitgliede des literarischen Cabinets
herrührt, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß die Verbreitung der Krisis-Gerüchte
denjenigen seiner Collegen aufgetragen ward, die poetisch minder begabt scheinen. Je¬
dem das seiue. Daß hinterdrein auch unabhängige Federn von den Geschichten afficirt
werde», darf nicht Wunder nehmen. Darauf ward grade von den Erfindern gerechnet.
Die orientalische Angelegenheit beschäftigt uns,
weil sie im öffentlichen Interesse noch kein stellvertretendes Aequivalent gefunden. Wir
erwarten mit Sehnsucht den Messias, der uns aus der russischen Knechtschaft befreit,
Alles soll uus willkommen fein und wäre es auch nur die Eroberung Pekings durch
Tim-te's Obergeneral dem Friedensfürsten Tai-ping-wang. Das muß man gestehen,
dieser Urchinese versteht es besser, im Interesse des Friedens zu wirthschaften, als
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