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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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finden können, ohne fie grade entschuldigen zu müssen. Allein jetzt, nachdem das
ganze Land in das Bestehende sich gefügt und nachdem hei verschiedenen Gelegen¬
heiten sich herausgestellt, daß Frankreich, wenn auch keine" Enthusiasmus für den
Napoleonismus fühle, doch das Bestehende dulden und unangetastet lassen wolle,
jetzt, sagen wir, sind die mehrfachen Attentate noch viel bedenklicher und beunruhi¬
gender, weil sie auf größere Entschlossenheit und auf lange vorbereitete Pläne
hindeuten. Dies Gefühl wird auch die Regierung hege" und es kann in einem
gegebenen Momente, zu einer Zeit, wo man sich dessen am wenigsten versieht, sein,
daß der Kaiser, um aus der peinlichen Lage daheim herauszukommen, zum Schwerte
seine Zuflucht nimmt. Darüber, daß eine so absolute Negierung und eine solche
Tyrannei der Bureaukratie auf die Dauer in Frankreich nicht haltbar sei, tauscht
sich unsere jetzige Gewalt nicht. Je länger die anscheinende Beruhigung im Lande
währt, um so heftiger wird das Verlangen nach Erweiterung der Freiheiten sein,
und der Kaiser wird vielleicht seine Stellung unerträglich finden und sich durch
eine Divergenz nach außen Erleichterung verschaffen wollen. Die beim Regie¬
rungsantritte der jetzigen Regierung gehegten Befürchtungen, müssen unserer Mei¬
nung nach, in einiger Zeit wiederkehren und dies scheint um so gewisser als die
europäischen Regierungen Napoleon III. gegenüber dieselbe Politik verfolgt wie
mit Ludwig Philipp, und der Kaiser der Franzosen nicht darnach ist, so viel zu
ertragen, als der friedliebende bürgerliche König. Das nächste Jahr kann daher
leicht Überraschungen bringen, aus die wir namentlich nach der voraussichtlich
friedlichen Lösung der Differenzen im Oriente noch weniger gefaßt sein werden,
als dies gleich nach der Volksmeinung des Kaiserreichs der Fall gewesen sein würde.


.2.

,.,",
Das englische Ministerium ist in der letzten Zeit wegen
seines Verhaltens in der orientalischen Frage lebhaft angegriffen worden, man
hat es der Schwachheit, ja sogar des Verraths angeklagt, von Uneinigkeiten im
Cat'met und selbst von einer rnssenfreundlichcn Partei in demselben gesprochen,
und prophezeit, daß England bereits die Türkei aufgegeben und sich dem poli¬
tischen Einfluß Rußlands gebeugt habe. So allgemein diese Anklagen sind,
scheinen sie uns doch mehr auf Voraussetzungen, als auf die bis jetzt bekannt
gewordenen Thatsachen gegründet zu sein, und zum Theil durch ein Verkennen
des Ziels zu entstehen, welches Englands Politik in dieser wichtigen Frage zu
verfolgen hat. Es versteht sich von selbst, daß wir, wie alle andern nicht mit
den Regierungen in Verbindung stehenden Organe lediglich auf das angewiesen
sind, was die halb- und ganzvfficiellen Stimmen der betheiligten Mächte bisher
haben bekannt werden lassen, und daß sich unser Urtheil blos ans eine gewissen¬
hafte Prüfung dieser Mittheilungen und eine parteilose Erwägung der von dem
Conflict berührten Interessen gründen kann.


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finden können, ohne fie grade entschuldigen zu müssen. Allein jetzt, nachdem das
ganze Land in das Bestehende sich gefügt und nachdem hei verschiedenen Gelegen¬
heiten sich herausgestellt, daß Frankreich, wenn auch keine» Enthusiasmus für den
Napoleonismus fühle, doch das Bestehende dulden und unangetastet lassen wolle,
jetzt, sagen wir, sind die mehrfachen Attentate noch viel bedenklicher und beunruhi¬
gender, weil sie auf größere Entschlossenheit und auf lange vorbereitete Pläne
hindeuten. Dies Gefühl wird auch die Regierung hege« und es kann in einem
gegebenen Momente, zu einer Zeit, wo man sich dessen am wenigsten versieht, sein,
daß der Kaiser, um aus der peinlichen Lage daheim herauszukommen, zum Schwerte
seine Zuflucht nimmt. Darüber, daß eine so absolute Negierung und eine solche
Tyrannei der Bureaukratie auf die Dauer in Frankreich nicht haltbar sei, tauscht
sich unsere jetzige Gewalt nicht. Je länger die anscheinende Beruhigung im Lande
währt, um so heftiger wird das Verlangen nach Erweiterung der Freiheiten sein,
und der Kaiser wird vielleicht seine Stellung unerträglich finden und sich durch
eine Divergenz nach außen Erleichterung verschaffen wollen. Die beim Regie¬
rungsantritte der jetzigen Regierung gehegten Befürchtungen, müssen unserer Mei¬
nung nach, in einiger Zeit wiederkehren und dies scheint um so gewisser als die
europäischen Regierungen Napoleon III. gegenüber dieselbe Politik verfolgt wie
mit Ludwig Philipp, und der Kaiser der Franzosen nicht darnach ist, so viel zu
ertragen, als der friedliebende bürgerliche König. Das nächste Jahr kann daher
leicht Überraschungen bringen, aus die wir namentlich nach der voraussichtlich
friedlichen Lösung der Differenzen im Oriente noch weniger gefaßt sein werden,
als dies gleich nach der Volksmeinung des Kaiserreichs der Fall gewesen sein würde.


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Das englische Ministerium ist in der letzten Zeit wegen
seines Verhaltens in der orientalischen Frage lebhaft angegriffen worden, man
hat es der Schwachheit, ja sogar des Verraths angeklagt, von Uneinigkeiten im
Cat'met und selbst von einer rnssenfreundlichcn Partei in demselben gesprochen,
und prophezeit, daß England bereits die Türkei aufgegeben und sich dem poli¬
tischen Einfluß Rußlands gebeugt habe. So allgemein diese Anklagen sind,
scheinen sie uns doch mehr auf Voraussetzungen, als auf die bis jetzt bekannt
gewordenen Thatsachen gegründet zu sein, und zum Theil durch ein Verkennen
des Ziels zu entstehen, welches Englands Politik in dieser wichtigen Frage zu
verfolgen hat. Es versteht sich von selbst, daß wir, wie alle andern nicht mit
den Regierungen in Verbindung stehenden Organe lediglich auf das angewiesen
sind, was die halb- und ganzvfficiellen Stimmen der betheiligten Mächte bisher
haben bekannt werden lassen, und daß sich unser Urtheil blos ans eine gewissen¬
hafte Prüfung dieser Mittheilungen und eine parteilose Erwägung der von dem
Conflict berührten Interessen gründen kann.


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[0193] finden können, ohne fie grade entschuldigen zu müssen. Allein jetzt, nachdem das ganze Land in das Bestehende sich gefügt und nachdem hei verschiedenen Gelegen¬ heiten sich herausgestellt, daß Frankreich, wenn auch keine» Enthusiasmus für den Napoleonismus fühle, doch das Bestehende dulden und unangetastet lassen wolle, jetzt, sagen wir, sind die mehrfachen Attentate noch viel bedenklicher und beunruhi¬ gender, weil sie auf größere Entschlossenheit und auf lange vorbereitete Pläne hindeuten. Dies Gefühl wird auch die Regierung hege« und es kann in einem gegebenen Momente, zu einer Zeit, wo man sich dessen am wenigsten versieht, sein, daß der Kaiser, um aus der peinlichen Lage daheim herauszukommen, zum Schwerte seine Zuflucht nimmt. Darüber, daß eine so absolute Negierung und eine solche Tyrannei der Bureaukratie auf die Dauer in Frankreich nicht haltbar sei, tauscht sich unsere jetzige Gewalt nicht. Je länger die anscheinende Beruhigung im Lande währt, um so heftiger wird das Verlangen nach Erweiterung der Freiheiten sein, und der Kaiser wird vielleicht seine Stellung unerträglich finden und sich durch eine Divergenz nach außen Erleichterung verschaffen wollen. Die beim Regie¬ rungsantritte der jetzigen Regierung gehegten Befürchtungen, müssen unserer Mei¬ nung nach, in einiger Zeit wiederkehren und dies scheint um so gewisser als die europäischen Regierungen Napoleon III. gegenüber dieselbe Politik verfolgt wie mit Ludwig Philipp, und der Kaiser der Franzosen nicht darnach ist, so viel zu ertragen, als der friedliebende bürgerliche König. Das nächste Jahr kann daher leicht Überraschungen bringen, aus die wir namentlich nach der voraussichtlich friedlichen Lösung der Differenzen im Oriente noch weniger gefaßt sein werden, als dies gleich nach der Volksmeinung des Kaiserreichs der Fall gewesen sein würde. .2. ,.,„, Das englische Ministerium ist in der letzten Zeit wegen seines Verhaltens in der orientalischen Frage lebhaft angegriffen worden, man hat es der Schwachheit, ja sogar des Verraths angeklagt, von Uneinigkeiten im Cat'met und selbst von einer rnssenfreundlichcn Partei in demselben gesprochen, und prophezeit, daß England bereits die Türkei aufgegeben und sich dem poli¬ tischen Einfluß Rußlands gebeugt habe. So allgemein diese Anklagen sind, scheinen sie uns doch mehr auf Voraussetzungen, als auf die bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen gegründet zu sein, und zum Theil durch ein Verkennen des Ziels zu entstehen, welches Englands Politik in dieser wichtigen Frage zu verfolgen hat. Es versteht sich von selbst, daß wir, wie alle andern nicht mit den Regierungen in Verbindung stehenden Organe lediglich auf das angewiesen sind, was die halb- und ganzvfficiellen Stimmen der betheiligten Mächte bisher haben bekannt werden lassen, und daß sich unser Urtheil blos ans eine gewissen¬ hafte Prüfung dieser Mittheilungen und eine parteilose Erwägung der von dem Conflict berührten Interessen gründen kann. Grenzboten. Hi. -I8ö3. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/193>, abgerufen am 29.06.2024.