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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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ihre Thätigkeit daran ausgeübt haben. Die Grundlagen bilden die uralten
Stammsagen von Iran, die in die graue Vorzeit des altperstscheu Reiches hin¬
aufreichen. Diese Culturstufe wurde später nach der macedonischen Eroberung
durch die griechische Bildung zwar nicht aufgehoben, aber so umgestaltet, daß das
neupersische Reich dazu ein Verhältniß einnahm, welches wir jetzt mit dem Aus¬
druck romantisch bezeichnen würden. Dann kam der Islam mit seiner Eroberung,
und nachdem sich dieser fast 400 Jahre in Persien festgesetzt hatte, ging von
einem der mächtigsten Geschlechter dieser Eroberer der Plan aus, die alten Hel¬
densagen des unterdrückten Volks wieder aufzunehmen. Das ist eine Toleranz,
deren das Christenthum nicht fähig gewesen ist, denn in unsern deutschen Helden¬
sagen ist zwar die heidnische Vorwelt nicht ganz untergegangen, aber sie erscheint
wie etwas ganz Fremdes und Dämonisches, während in dem "Buch der Könige"
die alte einheimische Lichtreligion und die neue Offenbarung des Propheten sich
so ineinander verschmolzen haben, daß wir sie gar nicht mehr unterscheiden können.

Daß trotz dieser Umwandlungen, welche die Sage im Laufe der Zeit erfahren
hat, dennoch in dem ganzen Gedicht sich eine innere Harmonie ausspricht, möch¬
ten wir drei Umständen beimessen. Einmal der ungemeinen Begabung des Dich¬
ters, von dem die letzte Bearbeitung herrührt, die ihn in die erste Reihe der
Dichter aller Nationen stellt. Sodann dem höchst bedeutenden innern Leben der
alten Stammsagen, in denen soviel ursprüngliche Kraft und Gestaltung lag, daß
die Hand der Zeit sie nicht wegwischen konnte. Endlich der innern Verwandt¬
schaft zwischen den verschiedenen Religionen, die ihre idealisirende Thätigkeit daran
ausgeübt haben. Denn wenn auch in einzelnen Punkten die Lehre Mahomeds
sehr schroff und hart erscheint, und sich nicht im entferntesten mit der Bildungs¬
fähigkeit des Christenthums vergleichen läßt, so hat sie sich doch, grade weil ihr
Inhalt nicht sehr umfangreich war, den nationalen und klimatischen Einwirkungen
sehr gefügig gezeigt. Und um so leichter wurde ihr das bei den Traditionen
einer alten Religion, die, wenn auch weniger kriegerisch und eroberungslustig, dennoch
im Grunde den nämlichen Voraussetzungen entsprungen war, wie sie selber.




Die orientalische Frage.
1.

Die orientalische Angelegenheit ist noch immer diejenige Frage, die uns aus¬
schließlich in Anspruch nimmt und obgleich das Ende nun so ziemlich vorauszusehen
ist, kann doch nicht gesagt werden, wie bald die Acten über diesen wichtigen
Gegenstand geschlossen werden dürsten. Vielmehr gewinnt es den Anschein, als
ob sich die diplomatischen Verhandlungen wieder in die Länge ziehen werden.


ihre Thätigkeit daran ausgeübt haben. Die Grundlagen bilden die uralten
Stammsagen von Iran, die in die graue Vorzeit des altperstscheu Reiches hin¬
aufreichen. Diese Culturstufe wurde später nach der macedonischen Eroberung
durch die griechische Bildung zwar nicht aufgehoben, aber so umgestaltet, daß das
neupersische Reich dazu ein Verhältniß einnahm, welches wir jetzt mit dem Aus¬
druck romantisch bezeichnen würden. Dann kam der Islam mit seiner Eroberung,
und nachdem sich dieser fast 400 Jahre in Persien festgesetzt hatte, ging von
einem der mächtigsten Geschlechter dieser Eroberer der Plan aus, die alten Hel¬
densagen des unterdrückten Volks wieder aufzunehmen. Das ist eine Toleranz,
deren das Christenthum nicht fähig gewesen ist, denn in unsern deutschen Helden¬
sagen ist zwar die heidnische Vorwelt nicht ganz untergegangen, aber sie erscheint
wie etwas ganz Fremdes und Dämonisches, während in dem „Buch der Könige"
die alte einheimische Lichtreligion und die neue Offenbarung des Propheten sich
so ineinander verschmolzen haben, daß wir sie gar nicht mehr unterscheiden können.

Daß trotz dieser Umwandlungen, welche die Sage im Laufe der Zeit erfahren
hat, dennoch in dem ganzen Gedicht sich eine innere Harmonie ausspricht, möch¬
ten wir drei Umständen beimessen. Einmal der ungemeinen Begabung des Dich¬
ters, von dem die letzte Bearbeitung herrührt, die ihn in die erste Reihe der
Dichter aller Nationen stellt. Sodann dem höchst bedeutenden innern Leben der
alten Stammsagen, in denen soviel ursprüngliche Kraft und Gestaltung lag, daß
die Hand der Zeit sie nicht wegwischen konnte. Endlich der innern Verwandt¬
schaft zwischen den verschiedenen Religionen, die ihre idealisirende Thätigkeit daran
ausgeübt haben. Denn wenn auch in einzelnen Punkten die Lehre Mahomeds
sehr schroff und hart erscheint, und sich nicht im entferntesten mit der Bildungs¬
fähigkeit des Christenthums vergleichen läßt, so hat sie sich doch, grade weil ihr
Inhalt nicht sehr umfangreich war, den nationalen und klimatischen Einwirkungen
sehr gefügig gezeigt. Und um so leichter wurde ihr das bei den Traditionen
einer alten Religion, die, wenn auch weniger kriegerisch und eroberungslustig, dennoch
im Grunde den nämlichen Voraussetzungen entsprungen war, wie sie selber.




Die orientalische Frage.
1.

Die orientalische Angelegenheit ist noch immer diejenige Frage, die uns aus¬
schließlich in Anspruch nimmt und obgleich das Ende nun so ziemlich vorauszusehen
ist, kann doch nicht gesagt werden, wie bald die Acten über diesen wichtigen
Gegenstand geschlossen werden dürsten. Vielmehr gewinnt es den Anschein, als
ob sich die diplomatischen Verhandlungen wieder in die Länge ziehen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/190>, abgerufen am 29.06.2024.