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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Ueberscher, ohne der Sprache irgendwie Gewalt anzuthun, uns die Weise des
Orients zu vermitteln wußte. In der vorliegenden Sammlung, die wieder dem
"Buch der Könige" von Firdusi entnommen ist, hat sich dieses Talent aufs neue
bethätigt. Die Gedichte in einem leichten, bequemen, sehr glücklich gewählten
Versmaß geschrieben, lesen sich trotz der fremdartigen Namen und trotz einzelner
Wortbildungen, die der Analogie des Persischen entnommen sind, namentlich in-
bezug auf die zusammengesetzten Worte, fast wie deutsch, und die einzige Anfor¬
derung, die man billigerweise an einen Uebersetzer fremder Poesien stellen kann,
daß die Form für den Leser kein Hinderniß ist, den Inhalt unbefangen, unmittel¬
bar und mit Genuß aufzunehmen, und ihn ungefähr in der Stimmung aufzuneh¬
men, wie es mit dem Original der Fall sein würde, ist vollkommen befriedigt.
Es ist also vorauszusetzen, daß diese Dichtungen dem Orient neue Freunde in
Deutschland erwerben werden.

Wir haben uns schon mehrmals dahin ausgesprochen, daß wir die wetteifernde
Begeisterung, mit der "ufere Dichter und Uebersetzer sich bemüht haben, den Orient
nachzuschaffen, nicht ganz theilen können. Weder die künstlichen Liebes- und Trink¬
lieder, zu denen Hafis die neue Anregung gab, nachdem Horaz und Anakreon
ihre Kraft verloren hatten, noch die überschwengliche Mystik der orientalischen
Religionsvorstellnngen hat unsere Anschauungen wesentlich bereichert, unseren Gedan¬
ken einen edleren Inhalt, unseren Empfindungen eine freiere und cvrrectere Form
gegeben. Horaz' und Anakreon und in noch höherem Grade Properz waren dem
ganzen Kreis unserer Bildung ungleich verwandter, und ihre Empfindungen ath¬
meten trotz aller Kühnheit jenes schone eingeborene Maß des Alterthums, das
wir Neueren immer nur in sehr glücklichen Stunden wiederfinden. Die orienta¬
lische Poesie dagegen ist in ihrer Form, wie in ihrem Wesen gleich maßlos und
wir haben von ihr gelernt, uus künstlich einen Rausch anzueignen, der uns eben¬
sowenig kleidet, wie der physische Rausch einem Gebildeten. Dabei hat die ganze
Form etwas Exotisches, das unserem Wesen widerstrebt und uns in unnatürliche
Bahnen verlockt.

Anders ist es mit den epischen Dichtungen der Orientalen, soweit sich diese
auf wirkliche Traditionen des Volkes beziehen. Die Geschichten aus ,.Tausend und
Eine Nacht" sind bei uns ein Volksbuch geworden, und mit Recht, denn die schö¬
pferische Phantasie, die in denselben waltet, ist die allgemein menschliche, und die
Farbe und Stimmung ist so harmonisch, so auf einen bestimmten Kreis von Vor¬
stellungen bezogen, daß wir uus darin zu Hause fühlen, denn fremd ist uns nur,
was mit sich selbst nicht übereinstimmt.

Ganz kann man dieses von dem großen Epos der Perser nicht behaupten.
Es ist nicht wie die großen Heldensagen der übrigen Völker aus einer lebendigen,
unmittelbar angeschauter Tradition entnommen, wir finden darin vielmehr drei
verschiedene Zeitalter wieder, die ziemlich fern voneinander lagen, die aber alle


Ueberscher, ohne der Sprache irgendwie Gewalt anzuthun, uns die Weise des
Orients zu vermitteln wußte. In der vorliegenden Sammlung, die wieder dem
„Buch der Könige" von Firdusi entnommen ist, hat sich dieses Talent aufs neue
bethätigt. Die Gedichte in einem leichten, bequemen, sehr glücklich gewählten
Versmaß geschrieben, lesen sich trotz der fremdartigen Namen und trotz einzelner
Wortbildungen, die der Analogie des Persischen entnommen sind, namentlich in-
bezug auf die zusammengesetzten Worte, fast wie deutsch, und die einzige Anfor¬
derung, die man billigerweise an einen Uebersetzer fremder Poesien stellen kann,
daß die Form für den Leser kein Hinderniß ist, den Inhalt unbefangen, unmittel¬
bar und mit Genuß aufzunehmen, und ihn ungefähr in der Stimmung aufzuneh¬
men, wie es mit dem Original der Fall sein würde, ist vollkommen befriedigt.
Es ist also vorauszusetzen, daß diese Dichtungen dem Orient neue Freunde in
Deutschland erwerben werden.

Wir haben uns schon mehrmals dahin ausgesprochen, daß wir die wetteifernde
Begeisterung, mit der »ufere Dichter und Uebersetzer sich bemüht haben, den Orient
nachzuschaffen, nicht ganz theilen können. Weder die künstlichen Liebes- und Trink¬
lieder, zu denen Hafis die neue Anregung gab, nachdem Horaz und Anakreon
ihre Kraft verloren hatten, noch die überschwengliche Mystik der orientalischen
Religionsvorstellnngen hat unsere Anschauungen wesentlich bereichert, unseren Gedan¬
ken einen edleren Inhalt, unseren Empfindungen eine freiere und cvrrectere Form
gegeben. Horaz' und Anakreon und in noch höherem Grade Properz waren dem
ganzen Kreis unserer Bildung ungleich verwandter, und ihre Empfindungen ath¬
meten trotz aller Kühnheit jenes schone eingeborene Maß des Alterthums, das
wir Neueren immer nur in sehr glücklichen Stunden wiederfinden. Die orienta¬
lische Poesie dagegen ist in ihrer Form, wie in ihrem Wesen gleich maßlos und
wir haben von ihr gelernt, uus künstlich einen Rausch anzueignen, der uns eben¬
sowenig kleidet, wie der physische Rausch einem Gebildeten. Dabei hat die ganze
Form etwas Exotisches, das unserem Wesen widerstrebt und uns in unnatürliche
Bahnen verlockt.

Anders ist es mit den epischen Dichtungen der Orientalen, soweit sich diese
auf wirkliche Traditionen des Volkes beziehen. Die Geschichten aus ,.Tausend und
Eine Nacht" sind bei uns ein Volksbuch geworden, und mit Recht, denn die schö¬
pferische Phantasie, die in denselben waltet, ist die allgemein menschliche, und die
Farbe und Stimmung ist so harmonisch, so auf einen bestimmten Kreis von Vor¬
stellungen bezogen, daß wir uus darin zu Hause fühlen, denn fremd ist uns nur,
was mit sich selbst nicht übereinstimmt.

Ganz kann man dieses von dem großen Epos der Perser nicht behaupten.
Es ist nicht wie die großen Heldensagen der übrigen Völker aus einer lebendigen,
unmittelbar angeschauter Tradition entnommen, wir finden darin vielmehr drei
verschiedene Zeitalter wieder, die ziemlich fern voneinander lagen, die aber alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/189>, abgerufen am 01.07.2024.