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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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und das Gefäß, das sie berührt haben, wird zerbrochen oder weggeworfen. Bei
der Volkszählung werden sie ebenfalls nicht mit gerechnet, und was das Aller-
seltsamste ist, der Raum, den ihre Dörfer auf der Landstraße einnehmen, wird
als nicht vorhanden betrachtet, und der Reisende von der Post durch dieselbe"
gratis befördert.




Die bildende Kunst in München.
3.
K a u l b a es.

Wenn ich vom Meister sofort zu seinem berühmtesten Schüler übergehe, so
geschieht dies vorzugsweise darum, weil Viele unsrer gewiegtesten Kritiker Kaulbach
unmittelbar ueben Cornelius, andere ihn gar über denselben stellen wollen und
er vor dem größern Publicum viel mehr und vortheilhafter besprochen wird, als
der Letztere. Man kann ihm schwerlich einen schlimmern Dienst leisten, da diese
Ueberschätzung den Widerspruch hervorruft, der sich von Seiten der Künstler
schon mit zum Theil maßloser Heftigkeit erhebt. Wie Sie wissen, kenne ich Keinen
von Beiden persönlich, Sympathien und Antipathien ans dieser Quelle haben
auf mein Urtheil schwerlich bedeutenden Einfluß -- wenn ich Ihnen also meine
Eindrücke mittheile, so glaube ich wenigstens aus das Verdienst der Unbefangen¬
heit Anspruch machen zu dürfen. --

Allerdings befinden sich Kaulbach's bedeutendste neuern Arbeiten in Berlin,
aber einestheils habe ich dieselben früher gesehen, anderentheils siudet man hier
die Skizzen und Cartons zu den meisten derselben, so daß ein Urtheil über das
Ganze wohl erlaubt, wenn auch da und dort der Ergänzung bedürftig erscheinen
mag. --

Daß mau sich hier einer höchst bedeutenden künstlerischen Kraft gegenüber befinde,
läßt sich sofort erkennen, großer Blick, beträchtliche Herrschaft über die Mittel
der Darstellung, ein glänzendes Formeugedächtniß und eine viel ausgebildetere
Handhabung der Technik, als sie Cornelius eigen, das läßt sich keinen Augen¬
blick verkennen, -- so wenig als ein am Schönsten und Besten ausgezogener
Geschmack. Sehen wir nun zu, wie das Alles verwendet wird. --

Muß man als ersten Charakterzug bei den Productionen des Cornelius die
Größe der Anschauung erkennen, so erscheint mir als solcher bei Kaulbach die
Eleganz, er will groß sein, er will es aber vor allen Dingen auch scheinen.
Während Cornelius f.ir gar keine Zeit oder vielmehr für jede arbeitet, istKaulbach
durch und durch modern, skeptisch, ironisch und ungläubig, während der erste
sich gar nicht um den Beifall bekümmert, scheint ihn der zweite nicht einen


und das Gefäß, das sie berührt haben, wird zerbrochen oder weggeworfen. Bei
der Volkszählung werden sie ebenfalls nicht mit gerechnet, und was das Aller-
seltsamste ist, der Raum, den ihre Dörfer auf der Landstraße einnehmen, wird
als nicht vorhanden betrachtet, und der Reisende von der Post durch dieselbe»
gratis befördert.




Die bildende Kunst in München.
3.
K a u l b a es.

Wenn ich vom Meister sofort zu seinem berühmtesten Schüler übergehe, so
geschieht dies vorzugsweise darum, weil Viele unsrer gewiegtesten Kritiker Kaulbach
unmittelbar ueben Cornelius, andere ihn gar über denselben stellen wollen und
er vor dem größern Publicum viel mehr und vortheilhafter besprochen wird, als
der Letztere. Man kann ihm schwerlich einen schlimmern Dienst leisten, da diese
Ueberschätzung den Widerspruch hervorruft, der sich von Seiten der Künstler
schon mit zum Theil maßloser Heftigkeit erhebt. Wie Sie wissen, kenne ich Keinen
von Beiden persönlich, Sympathien und Antipathien ans dieser Quelle haben
auf mein Urtheil schwerlich bedeutenden Einfluß — wenn ich Ihnen also meine
Eindrücke mittheile, so glaube ich wenigstens aus das Verdienst der Unbefangen¬
heit Anspruch machen zu dürfen. —

Allerdings befinden sich Kaulbach's bedeutendste neuern Arbeiten in Berlin,
aber einestheils habe ich dieselben früher gesehen, anderentheils siudet man hier
die Skizzen und Cartons zu den meisten derselben, so daß ein Urtheil über das
Ganze wohl erlaubt, wenn auch da und dort der Ergänzung bedürftig erscheinen
mag. —

Daß mau sich hier einer höchst bedeutenden künstlerischen Kraft gegenüber befinde,
läßt sich sofort erkennen, großer Blick, beträchtliche Herrschaft über die Mittel
der Darstellung, ein glänzendes Formeugedächtniß und eine viel ausgebildetere
Handhabung der Technik, als sie Cornelius eigen, das läßt sich keinen Augen¬
blick verkennen, — so wenig als ein am Schönsten und Besten ausgezogener
Geschmack. Sehen wir nun zu, wie das Alles verwendet wird. —

Muß man als ersten Charakterzug bei den Productionen des Cornelius die
Größe der Anschauung erkennen, so erscheint mir als solcher bei Kaulbach die
Eleganz, er will groß sein, er will es aber vor allen Dingen auch scheinen.
Während Cornelius f.ir gar keine Zeit oder vielmehr für jede arbeitet, istKaulbach
durch und durch modern, skeptisch, ironisch und ungläubig, während der erste
sich gar nicht um den Beifall bekümmert, scheint ihn der zweite nicht einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/464>, abgerufen am 24.07.2024.