Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
W o es e n b e r i es t.
Hof "ut Börse.

-- Will um? erkennen, was die neue napoleonische Aera
ans Frankreich gemacht hat, was sie ans ihm zu machen droht, so werfe man einen
Blick auf die Interesse", welche heute in Paris das öffentliche Leben --wen" dieser
Ausdruck "och erlaubt ist-- bewegen. Dieses französische Volk, dessen mächtiger Jnia-
tive el" großer Theil Europas seine politische Emaucipatio" verdankt, das seit langer
als einem Menschenalter Institutionen und eine Tribune besaß, deren geistige
Kämpfe die Welt bewegten, ist theils zu eine"? Spiel mit Nichtigkeiten herab-
gesunke", wie man sie in den >Caricatnren der kläglichste" Kleinstaaterei darzustellen
gewohnt ist, theils in den Schwindel einer Speculalionswnth gerissen, die nicht
minder die materielle", als die moralischen Verhältnisse zerrütten muß. Die
Masse", hoher" sie nicht in stumpfer Abhängigkeit von den Beamten "ut der
Geistlichkeit sich befinden, folgen dem Impuls, der von den gebildeteren Klassen
gegeben wird; die edleren Geister, die bessere" Charaktere habe" sich einem
Treibe" entzöge", dessen Ekel man höchstens dadurch überwinden kann, daß man
seine lächerlichen Seiten in's Auge faßt.

Die politische Arena, die früher so viele glänzende Talente zur Entwickelung
brachte, ist geschlossen; die Presse steht unter einem Zwange, der selbst über aus¬
ländische Fragen, wenn sie auch nur in der entferntesten Beziehung zu den fran¬
zösischen Zuständen stehen, keine einigermaßen freie Besprechung gestattet. Die
Hof- und Regierungsblätter führen ohne Entgegnung das große Wort, geriren
sich als Ausdruck der nationalen Meinung, und schmähen die niedergetretene"
Parteien; sie sind der Tummelplatz eines politischen Renegatenthnms, dessen
Cynismus jede Spur von Scham längst überwunden hat. Eine Presse ohne
ernsthafte und redliche Discussio" kann jedoch dem Publicum keine geistige Nah¬
rung bieten; die Staatskörper vollends sind zu einer Bedeutungslosigkeit herab-
gebracht, die keinem Manne von unabhängigem Charakter gestattet, darin Platz
zu nehmen. Ihre Zusammensetzung schon würde ihren Verhandlungen alles In¬
teresse, ihren Beschlüssen jede Wichtigkeit benehmen, wäre ihnen nicht die
Öffentlichkeit ganz oder zum großen Theile abgeschnitten.

Es bleibt daher, um die Neuigkeitssnckt der Franzosen, namentlich der Pariser,
zu befriedigen, nur noch der Hof übrig. Hier in der nächsten Umgebung des
Mannes, der mit unbeschränkter Macht über Frankreichs Wohl und Wehe ver¬
fügt, drängt sich alles Interesse zusammen. Die nichtigen Vorgänge des Hof-
lebens, der Klatsch der Couloirs des Palastes sind für das Publicum jetzt, was
früher die großen Staatsactionen. Die Ernennung eines neuen Kammerherrn
ist ein Ereignis;; die Frage, ob ein Pageninstitnt eingerichtet werden soll, nicht
minder; ein Ball in den, Tuilerien ist mindestens so viel, wie früher eine große


W o es e n b e r i es t.
Hof «ut Börse.

— Will um? erkennen, was die neue napoleonische Aera
ans Frankreich gemacht hat, was sie ans ihm zu machen droht, so werfe man einen
Blick auf die Interesse», welche heute in Paris das öffentliche Leben —wen» dieser
Ausdruck »och erlaubt ist— bewegen. Dieses französische Volk, dessen mächtiger Jnia-
tive el» großer Theil Europas seine politische Emaucipatio» verdankt, das seit langer
als einem Menschenalter Institutionen und eine Tribune besaß, deren geistige
Kämpfe die Welt bewegten, ist theils zu eine»? Spiel mit Nichtigkeiten herab-
gesunke», wie man sie in den >Caricatnren der kläglichste» Kleinstaaterei darzustellen
gewohnt ist, theils in den Schwindel einer Speculalionswnth gerissen, die nicht
minder die materielle», als die moralischen Verhältnisse zerrütten muß. Die
Masse», hoher» sie nicht in stumpfer Abhängigkeit von den Beamten »ut der
Geistlichkeit sich befinden, folgen dem Impuls, der von den gebildeteren Klassen
gegeben wird; die edleren Geister, die bessere» Charaktere habe» sich einem
Treibe» entzöge», dessen Ekel man höchstens dadurch überwinden kann, daß man
seine lächerlichen Seiten in's Auge faßt.

Die politische Arena, die früher so viele glänzende Talente zur Entwickelung
brachte, ist geschlossen; die Presse steht unter einem Zwange, der selbst über aus¬
ländische Fragen, wenn sie auch nur in der entferntesten Beziehung zu den fran¬
zösischen Zuständen stehen, keine einigermaßen freie Besprechung gestattet. Die
Hof- und Regierungsblätter führen ohne Entgegnung das große Wort, geriren
sich als Ausdruck der nationalen Meinung, und schmähen die niedergetretene»
Parteien; sie sind der Tummelplatz eines politischen Renegatenthnms, dessen
Cynismus jede Spur von Scham längst überwunden hat. Eine Presse ohne
ernsthafte und redliche Discussio» kann jedoch dem Publicum keine geistige Nah¬
rung bieten; die Staatskörper vollends sind zu einer Bedeutungslosigkeit herab-
gebracht, die keinem Manne von unabhängigem Charakter gestattet, darin Platz
zu nehmen. Ihre Zusammensetzung schon würde ihren Verhandlungen alles In¬
teresse, ihren Beschlüssen jede Wichtigkeit benehmen, wäre ihnen nicht die
Öffentlichkeit ganz oder zum großen Theile abgeschnitten.

Es bleibt daher, um die Neuigkeitssnckt der Franzosen, namentlich der Pariser,
zu befriedigen, nur noch der Hof übrig. Hier in der nächsten Umgebung des
Mannes, der mit unbeschränkter Macht über Frankreichs Wohl und Wehe ver¬
fügt, drängt sich alles Interesse zusammen. Die nichtigen Vorgänge des Hof-
lebens, der Klatsch der Couloirs des Palastes sind für das Publicum jetzt, was
früher die großen Staatsactionen. Die Ernennung eines neuen Kammerherrn
ist ein Ereignis;; die Frage, ob ein Pageninstitnt eingerichtet werden soll, nicht
minder; ein Ball in den, Tuilerien ist mindestens so viel, wie früher eine große


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186150"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> W o es e n b e r i es t.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Hof «ut Börse.</head>
            <p xml:id="ID_843"> &#x2014; Will um? erkennen, was die neue napoleonische Aera<lb/>
ans Frankreich gemacht hat, was sie ans ihm zu machen droht, so werfe man einen<lb/>
Blick auf die Interesse», welche heute in Paris das öffentliche Leben &#x2014;wen» dieser<lb/>
Ausdruck »och erlaubt ist&#x2014; bewegen. Dieses französische Volk, dessen mächtiger Jnia-<lb/>
tive el» großer Theil Europas seine politische Emaucipatio» verdankt, das seit langer<lb/>
als einem Menschenalter Institutionen und eine Tribune besaß, deren geistige<lb/>
Kämpfe die Welt bewegten, ist theils zu eine»? Spiel mit Nichtigkeiten herab-<lb/>
gesunke», wie man sie in den &gt;Caricatnren der kläglichste» Kleinstaaterei darzustellen<lb/>
gewohnt ist, theils in den Schwindel einer Speculalionswnth gerissen, die nicht<lb/>
minder die materielle», als die moralischen Verhältnisse zerrütten muß. Die<lb/>
Masse», hoher» sie nicht in stumpfer Abhängigkeit von den Beamten »ut der<lb/>
Geistlichkeit sich befinden, folgen dem Impuls, der von den gebildeteren Klassen<lb/>
gegeben wird; die edleren Geister, die bessere» Charaktere habe» sich einem<lb/>
Treibe» entzöge», dessen Ekel man höchstens dadurch überwinden kann, daß man<lb/>
seine lächerlichen Seiten in's Auge faßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_844"> Die politische Arena, die früher so viele glänzende Talente zur Entwickelung<lb/>
brachte, ist geschlossen; die Presse steht unter einem Zwange, der selbst über aus¬<lb/>
ländische Fragen, wenn sie auch nur in der entferntesten Beziehung zu den fran¬<lb/>
zösischen Zuständen stehen, keine einigermaßen freie Besprechung gestattet. Die<lb/>
Hof- und Regierungsblätter führen ohne Entgegnung das große Wort, geriren<lb/>
sich als Ausdruck der nationalen Meinung, und schmähen die niedergetretene»<lb/>
Parteien; sie sind der Tummelplatz eines politischen Renegatenthnms, dessen<lb/>
Cynismus jede Spur von Scham längst überwunden hat. Eine Presse ohne<lb/>
ernsthafte und redliche Discussio» kann jedoch dem Publicum keine geistige Nah¬<lb/>
rung bieten; die Staatskörper vollends sind zu einer Bedeutungslosigkeit herab-<lb/>
gebracht, die keinem Manne von unabhängigem Charakter gestattet, darin Platz<lb/>
zu nehmen. Ihre Zusammensetzung schon würde ihren Verhandlungen alles In¬<lb/>
teresse, ihren Beschlüssen jede Wichtigkeit benehmen, wäre ihnen nicht die<lb/>
Öffentlichkeit ganz oder zum großen Theile abgeschnitten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_845" next="#ID_846"> Es bleibt daher, um die Neuigkeitssnckt der Franzosen, namentlich der Pariser,<lb/>
zu befriedigen, nur noch der Hof übrig. Hier in der nächsten Umgebung des<lb/>
Mannes, der mit unbeschränkter Macht über Frankreichs Wohl und Wehe ver¬<lb/>
fügt, drängt sich alles Interesse zusammen. Die nichtigen Vorgänge des Hof-<lb/>
lebens, der Klatsch der Couloirs des Palastes sind für das Publicum jetzt, was<lb/>
früher die großen Staatsactionen. Die Ernennung eines neuen Kammerherrn<lb/>
ist ein Ereignis;; die Frage, ob ein Pageninstitnt eingerichtet werden soll, nicht<lb/>
minder; ein Ball in den, Tuilerien ist mindestens so viel, wie früher eine große</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] W o es e n b e r i es t. Hof «ut Börse. — Will um? erkennen, was die neue napoleonische Aera ans Frankreich gemacht hat, was sie ans ihm zu machen droht, so werfe man einen Blick auf die Interesse», welche heute in Paris das öffentliche Leben —wen» dieser Ausdruck »och erlaubt ist— bewegen. Dieses französische Volk, dessen mächtiger Jnia- tive el» großer Theil Europas seine politische Emaucipatio» verdankt, das seit langer als einem Menschenalter Institutionen und eine Tribune besaß, deren geistige Kämpfe die Welt bewegten, ist theils zu eine»? Spiel mit Nichtigkeiten herab- gesunke», wie man sie in den >Caricatnren der kläglichste» Kleinstaaterei darzustellen gewohnt ist, theils in den Schwindel einer Speculalionswnth gerissen, die nicht minder die materielle», als die moralischen Verhältnisse zerrütten muß. Die Masse», hoher» sie nicht in stumpfer Abhängigkeit von den Beamten »ut der Geistlichkeit sich befinden, folgen dem Impuls, der von den gebildeteren Klassen gegeben wird; die edleren Geister, die bessere» Charaktere habe» sich einem Treibe» entzöge», dessen Ekel man höchstens dadurch überwinden kann, daß man seine lächerlichen Seiten in's Auge faßt. Die politische Arena, die früher so viele glänzende Talente zur Entwickelung brachte, ist geschlossen; die Presse steht unter einem Zwange, der selbst über aus¬ ländische Fragen, wenn sie auch nur in der entferntesten Beziehung zu den fran¬ zösischen Zuständen stehen, keine einigermaßen freie Besprechung gestattet. Die Hof- und Regierungsblätter führen ohne Entgegnung das große Wort, geriren sich als Ausdruck der nationalen Meinung, und schmähen die niedergetretene» Parteien; sie sind der Tummelplatz eines politischen Renegatenthnms, dessen Cynismus jede Spur von Scham längst überwunden hat. Eine Presse ohne ernsthafte und redliche Discussio» kann jedoch dem Publicum keine geistige Nah¬ rung bieten; die Staatskörper vollends sind zu einer Bedeutungslosigkeit herab- gebracht, die keinem Manne von unabhängigem Charakter gestattet, darin Platz zu nehmen. Ihre Zusammensetzung schon würde ihren Verhandlungen alles In¬ teresse, ihren Beschlüssen jede Wichtigkeit benehmen, wäre ihnen nicht die Öffentlichkeit ganz oder zum großen Theile abgeschnitten. Es bleibt daher, um die Neuigkeitssnckt der Franzosen, namentlich der Pariser, zu befriedigen, nur noch der Hof übrig. Hier in der nächsten Umgebung des Mannes, der mit unbeschränkter Macht über Frankreichs Wohl und Wehe ver¬ fügt, drängt sich alles Interesse zusammen. Die nichtigen Vorgänge des Hof- lebens, der Klatsch der Couloirs des Palastes sind für das Publicum jetzt, was früher die großen Staatsactionen. Die Ernennung eines neuen Kammerherrn ist ein Ereignis;; die Frage, ob ein Pageninstitnt eingerichtet werden soll, nicht minder; ein Ball in den, Tuilerien ist mindestens so viel, wie früher eine große

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/274>, abgerufen am 26.12.2024.