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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Carl R o t t in a n n.

Carl Rottmann, 1798 zu Handschuhsheim, einem Flecken bei Heidelberg,
geboren, entfaltete schon in früher Jngend ein glänzendes Talent zur Landschafts-
malerei. Seine Verhältnisse erlaubten ihm nicht, den Unterricht irgend eines
Meisters zu genießen; er war auf jenen zahllosen Irrwegen, die den Kunstjünger
zu verlocken drohen, sein eigener Rathgeber. Es ist bemerkenswerth, daß er sich,
auch später im Jahre 1822, durch keine Einflüsterungen der Münchner Professoren,
die ihm die Zügel ihrer Schule anlegen wollten, von der Bahn ablenken ließ,
die ihm sein Genius als die allein richtige bezeichnete. Er war einer jener
Wenigen, die einsahen, daß es sich bei einem landschaftlichen Gemälde darum
handle, die Stimmung des momentan aufgefaßten großen Naturlebens durch
Wiederspiegelung im Gemüthe des Beschauers hervorzurufen, und so einen Ge-
sammteindruck zu bewirken, dem sich unbedingt alle Einzelnheiten unterordnen.
Er verlor diesen Gesichtspunkt nie mehr aus dem Auge. Den unscheinbarsten
Gegenstand, z. B. einen Dornbusch, über den die letzten Strahlen der sinkenden
Sonne streifen, erhebt er durch die Kraft seines Meisterpinsels zum Hauptgegen-
stände des Bildes, das durch die edelste Einfachheit und durch die Harmonie der
Farben den Beschauer so fesselt, daß er sich kaum darüber Rechenschaft zu geben
vermag, wie es wol möglich sei, mit so geringen Mitteln einen so nachhaltigen
Effect hervorzubringen. Es liegt aber darin, daß Rvttmann wie kein anderer
versteht, das Unwesentliche bei Seite zu lassen, während viele unsrer modernen
Maler durch ein kleinliches Festhalten an Specialitäten ihre Bilder zerstören und
zerstücken.

Es dürste kaum ein zweiter Künstler gesunden werden, der wie er, von den
gigantischen Scenen der Alpenwelt, worin er eine bewunderungswürdige Farben¬
technik entwickelt, bis herab zum tiefsten, einsamsten Waldcswinkel, das Charak¬
teristische der Erdphysiognomie so treffend wiedergegeben hätte. Seine eigenthümlich
freie Behandlung des Stoffes verleiht seinen Gemälden eine Lebendigkeit, einen
Reiz, der durch ein anderes formelles Mittel gar nicht zu erzielen wäre. Darum
läßt sich aber nirgends eine Spur von jenem fälschlich sogenannten genialen
Wesen entdecken, hinter dem sich gewöhnlich die Unreife zu verbergen sucht.

Im Jahr 1825 ging der bereits in seinem Vaterlande gefeierte Künstler
nach Italien. Sein feiner Sinn für Formenschönheit war wie von selbst an den
Süden gewiesen, wo alles üppig in Wellenlinien sproßt und rankt, und die Gluth
des Himmels Lichtcffecte in's Leben ruft, die er früher wol geahnt, aber nicht
gesehen hatte. Ohne Zweifel jedoch war die bedeutendste Folge dieser Kunstreise
die, daß er sich unter den altrömischen Bauten mitten in das historische Element
versetzt fühlte, was auf seine Fortbildung einen entschiedenen Einfluß ausübte.


Carl R o t t in a n n.

Carl Rottmann, 1798 zu Handschuhsheim, einem Flecken bei Heidelberg,
geboren, entfaltete schon in früher Jngend ein glänzendes Talent zur Landschafts-
malerei. Seine Verhältnisse erlaubten ihm nicht, den Unterricht irgend eines
Meisters zu genießen; er war auf jenen zahllosen Irrwegen, die den Kunstjünger
zu verlocken drohen, sein eigener Rathgeber. Es ist bemerkenswerth, daß er sich,
auch später im Jahre 1822, durch keine Einflüsterungen der Münchner Professoren,
die ihm die Zügel ihrer Schule anlegen wollten, von der Bahn ablenken ließ,
die ihm sein Genius als die allein richtige bezeichnete. Er war einer jener
Wenigen, die einsahen, daß es sich bei einem landschaftlichen Gemälde darum
handle, die Stimmung des momentan aufgefaßten großen Naturlebens durch
Wiederspiegelung im Gemüthe des Beschauers hervorzurufen, und so einen Ge-
sammteindruck zu bewirken, dem sich unbedingt alle Einzelnheiten unterordnen.
Er verlor diesen Gesichtspunkt nie mehr aus dem Auge. Den unscheinbarsten
Gegenstand, z. B. einen Dornbusch, über den die letzten Strahlen der sinkenden
Sonne streifen, erhebt er durch die Kraft seines Meisterpinsels zum Hauptgegen-
stände des Bildes, das durch die edelste Einfachheit und durch die Harmonie der
Farben den Beschauer so fesselt, daß er sich kaum darüber Rechenschaft zu geben
vermag, wie es wol möglich sei, mit so geringen Mitteln einen so nachhaltigen
Effect hervorzubringen. Es liegt aber darin, daß Rvttmann wie kein anderer
versteht, das Unwesentliche bei Seite zu lassen, während viele unsrer modernen
Maler durch ein kleinliches Festhalten an Specialitäten ihre Bilder zerstören und
zerstücken.

Es dürste kaum ein zweiter Künstler gesunden werden, der wie er, von den
gigantischen Scenen der Alpenwelt, worin er eine bewunderungswürdige Farben¬
technik entwickelt, bis herab zum tiefsten, einsamsten Waldcswinkel, das Charak¬
teristische der Erdphysiognomie so treffend wiedergegeben hätte. Seine eigenthümlich
freie Behandlung des Stoffes verleiht seinen Gemälden eine Lebendigkeit, einen
Reiz, der durch ein anderes formelles Mittel gar nicht zu erzielen wäre. Darum
läßt sich aber nirgends eine Spur von jenem fälschlich sogenannten genialen
Wesen entdecken, hinter dem sich gewöhnlich die Unreife zu verbergen sucht.

Im Jahr 1825 ging der bereits in seinem Vaterlande gefeierte Künstler
nach Italien. Sein feiner Sinn für Formenschönheit war wie von selbst an den
Süden gewiesen, wo alles üppig in Wellenlinien sproßt und rankt, und die Gluth
des Himmels Lichtcffecte in's Leben ruft, die er früher wol geahnt, aber nicht
gesehen hatte. Ohne Zweifel jedoch war die bedeutendste Folge dieser Kunstreise
die, daß er sich unter den altrömischen Bauten mitten in das historische Element
versetzt fühlte, was auf seine Fortbildung einen entschiedenen Einfluß ausübte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/480>, abgerufen am 21.12.2024.